Eine angenehme Sommerfrische.
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dauer ihrer Zunge gekräftigt. Sic schlug mir einige Arznei-
mittel anö einem homöopathischen Handbuche vor, in welchem
sic während ihrer theilnehmenden Rede blätterte. Die sieben
Töchter setzten sich in sichtlicher Aufregung aus die Kisten
und Nachtsäcke und schienen mich und meine Bagage mit
theilnehmenden Blicken verschlingen zu wollen. Ich war dem
Ersticken nahe, meine Niedergeschlagenheit rang mit nervöser
Aufregung. Die dicke Dame lud mich zum Nachtessen ein.
Als ich dankend, meiner Erschöpfung halber, ablehnen wollte,
ergoß sich die Suade der Hausfrau wie ein brausender Wald-
strom über meine aufgeregten Ohren, die sieben Töchter
flöteten, zirpten und lispelten so theilnehmcnd alö möglich;
— ich sank auf mein Kissen zurück und nickte zustimmcnd.
Die dicke Dame drückte mir theilnchmend die linke Hand,
ging an die Thüre, knirte und verschwand; die sieben Töchter
blickten verschämt zu Boden, knirten und folgten ihrer ver-
wittwctcn Mutter. Amalaswinde ging zuletzt, sie warf einen
vielsagenden Blick auf mich und meine Koffer, lächelte sehr
sanft, knirte noch einmal, seufzte und ging. Ich nahm ein
zweites niederschlagendes Pulver.
Acnßerst angegriffen machte ich mit Hilfe meines Johann
vor dem halberblindeten Spiegel Toilette. Johann versicherte
stets, ich sähe blaß, aber sehr interessant aus. Während
, des Ankleidens bemerkte ich, daß die schüchterne Clotilde vor
meinen Fenstern auf- und abpromenirte, und schüchterne Blicke
auf mich und meine Kisten schleuderte. Ach! das Hans war
ja nur ebenerdig und mein Zimmer hatte keine Gardinen,
j Um 8 Uhr rief man mich zur Tafel.
Meine theilnehmende Hausfrau stieß einen Herzensschrei
! aus, als sie mich en toilette sah! „Ach, wie wohl Sie jetzt
aussehen, lieber Herr von X.! Sie scheinen ja gar nicht
mehr angegriffen von der Reise zu sein! Ach! wie gewählt
die Toilette! da sieht man den Herrn aus der Residenz!
! Ich habe Ihnen aus Fürsorge Krankenkost bereiten lassen.
Setzen Sie sich, zwischen mich und Amalaswinden, meiner
ältesten Tochter! Thun Sie, als ob Sie bei unS zu Hause
wären!" Hiermit goß sie in eine breite Tasse eine dunkle
Flüssigkeit und einige Tropfen Milch. Als ich davon kostete,
j wußte ich nicht, ob eS Thee oder Kaffee wäre, und blickte
! nackdcnklich umher. Clotilde, welche sich mir gegenüber
gesetzt hatte, fing meinen Blick auf und lächelte schüchtern,
i Amalaswinde drückte mir verstohlen die linke Hand, und
lispelte: „Herr von X., ach, Ihr Thee wird ja kalt!"
Jetzt wußte ich, wie ich daran war, und da ClotildcnS
schüchterne Blicke und Amalaswindens verstohlene Hände-
drücke mich immer mehr und mehr cinengten, raffte ich
meine sinkenden Lebensgeister zusammen und leerte ver-
zweifelnd die Tasse bis zum Grunde.
Das zweite Krankengericht bestand auS eingemachten
Knochen. Die theilnehmende Hausfrau sagte mit Herzlich-
keit: „Das Eingemachte ist eine leichte Speise, und kann
Ihnen gewiß nicht schaden!" Sie suchte mir theilnchmend
jene Knochen heraus, an welchen das wenigste Fleisch zu
finden war, und verzehrte mit gutem Appetit die schweren,
verdaulichen Fleischstücke. Die Töchter mußten sich mit ge-
ronnener Milch begnügen und stillten ihren Hunger mit
großer Decenz.
Nach dem „Souper" ging Amalaswinde an den Flügel,
und sang die große Arie: ,,Ernaui, Ernani, invola mi,“
mit herzzerreißendem Ausdrucke. Bei dem Worte: „Ernani,"
fiel ihr heißer Blick auf mich, und ihre 30 jährigen Gesichts-
züge nahmen den Ausdruck häuslicher Verzweiflung an.
In diesem Augenblicke wurde mir mancher ihrer verstohlenen
Händedrücke klar und mein gepreßtes Gemüth erleichterte sich
durch einen tiefen Seufzer. Die schüchterne Clotilde sing
diesen Seufzer auf, seufzte gleichfalls, und blickte sanft lächelnd
auf mich. Sie erhob sich und setzte sich an meine linke
Seite, auf Amalaswindens Stuhl. Da nahm das Porta -
mento von Amalaswindens Gesang merklich an Schnelligkeit
zu, ein tromolo stellte sich ein, die Töne verirrten sich, die
Arie wurde durch leises Schluchzen unterbrochen, während
Amalaswindens Hände mechanisch weiter klimperten.
Die Mama hatte sich während dieser Gcmüthsbewegungen
in häusliche Gespräche mit ihren übrigen fünf Töchtern ein-
gelassen, welche, als noch unter fünfundzwanzig Jahren auch
noch unter strengerer Aufsicht standen.
Die vierundzwanzigjährige Hildegunde feierte des andern
Tages ihr Geburtsfest und die fürsorgliche Mama wollte
dasselbe durch einen solennen Schmaus feiern. Ick wurde
eingcladcn, daran Theil zu nehmen. Nachniittags sollte ein
Spaziergang durch den Wald zu den Ruinen des Schlosses
Adelstein gemacht werden. In gedrücktester, widerstands-
loser Stimmung nickte ich ein „Ja".
Amalaswindens Schluchzerarie war beendigt. Sie näherte
sich ihrem Stuhle und ihrer innner weniger schüchtern werden-
den Schwester mit giftigen Blicken. Clotildc lobte lächelnd
meine modische Cravatte und vergaß, daß in der Reihe ihrer
Pcrlenzähne sich zwei Lücken sichtbar machten.
Ich erhob mich und ging auf Hildegunde zu, um ihr
meinen innigsten Glückwunsch darzubringen. Dieses Mädchen
hatte wenig schwärmerischen Sinn. Sie sagte kurzweg: „Herr
von X., mir ist wenig zu gratulieren! Ein Frauenzimmer
ist nur dann glücklich, wenn sic einen hübschen, reichen Mann,
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dauer ihrer Zunge gekräftigt. Sic schlug mir einige Arznei-
mittel anö einem homöopathischen Handbuche vor, in welchem
sic während ihrer theilnehmenden Rede blätterte. Die sieben
Töchter setzten sich in sichtlicher Aufregung aus die Kisten
und Nachtsäcke und schienen mich und meine Bagage mit
theilnehmenden Blicken verschlingen zu wollen. Ich war dem
Ersticken nahe, meine Niedergeschlagenheit rang mit nervöser
Aufregung. Die dicke Dame lud mich zum Nachtessen ein.
Als ich dankend, meiner Erschöpfung halber, ablehnen wollte,
ergoß sich die Suade der Hausfrau wie ein brausender Wald-
strom über meine aufgeregten Ohren, die sieben Töchter
flöteten, zirpten und lispelten so theilnehmcnd alö möglich;
— ich sank auf mein Kissen zurück und nickte zustimmcnd.
Die dicke Dame drückte mir theilnchmend die linke Hand,
ging an die Thüre, knirte und verschwand; die sieben Töchter
blickten verschämt zu Boden, knirten und folgten ihrer ver-
wittwctcn Mutter. Amalaswinde ging zuletzt, sie warf einen
vielsagenden Blick auf mich und meine Koffer, lächelte sehr
sanft, knirte noch einmal, seufzte und ging. Ich nahm ein
zweites niederschlagendes Pulver.
Acnßerst angegriffen machte ich mit Hilfe meines Johann
vor dem halberblindeten Spiegel Toilette. Johann versicherte
stets, ich sähe blaß, aber sehr interessant aus. Während
, des Ankleidens bemerkte ich, daß die schüchterne Clotilde vor
meinen Fenstern auf- und abpromenirte, und schüchterne Blicke
auf mich und meine Kisten schleuderte. Ach! das Hans war
ja nur ebenerdig und mein Zimmer hatte keine Gardinen,
j Um 8 Uhr rief man mich zur Tafel.
Meine theilnehmende Hausfrau stieß einen Herzensschrei
! aus, als sie mich en toilette sah! „Ach, wie wohl Sie jetzt
aussehen, lieber Herr von X.! Sie scheinen ja gar nicht
mehr angegriffen von der Reise zu sein! Ach! wie gewählt
die Toilette! da sieht man den Herrn aus der Residenz!
! Ich habe Ihnen aus Fürsorge Krankenkost bereiten lassen.
Setzen Sie sich, zwischen mich und Amalaswinden, meiner
ältesten Tochter! Thun Sie, als ob Sie bei unS zu Hause
wären!" Hiermit goß sie in eine breite Tasse eine dunkle
Flüssigkeit und einige Tropfen Milch. Als ich davon kostete,
j wußte ich nicht, ob eS Thee oder Kaffee wäre, und blickte
! nackdcnklich umher. Clotilde, welche sich mir gegenüber
gesetzt hatte, fing meinen Blick auf und lächelte schüchtern,
i Amalaswinde drückte mir verstohlen die linke Hand, und
lispelte: „Herr von X., ach, Ihr Thee wird ja kalt!"
Jetzt wußte ich, wie ich daran war, und da ClotildcnS
schüchterne Blicke und Amalaswindens verstohlene Hände-
drücke mich immer mehr und mehr cinengten, raffte ich
meine sinkenden Lebensgeister zusammen und leerte ver-
zweifelnd die Tasse bis zum Grunde.
Das zweite Krankengericht bestand auS eingemachten
Knochen. Die theilnehmende Hausfrau sagte mit Herzlich-
keit: „Das Eingemachte ist eine leichte Speise, und kann
Ihnen gewiß nicht schaden!" Sie suchte mir theilnchmend
jene Knochen heraus, an welchen das wenigste Fleisch zu
finden war, und verzehrte mit gutem Appetit die schweren,
verdaulichen Fleischstücke. Die Töchter mußten sich mit ge-
ronnener Milch begnügen und stillten ihren Hunger mit
großer Decenz.
Nach dem „Souper" ging Amalaswinde an den Flügel,
und sang die große Arie: ,,Ernaui, Ernani, invola mi,“
mit herzzerreißendem Ausdrucke. Bei dem Worte: „Ernani,"
fiel ihr heißer Blick auf mich, und ihre 30 jährigen Gesichts-
züge nahmen den Ausdruck häuslicher Verzweiflung an.
In diesem Augenblicke wurde mir mancher ihrer verstohlenen
Händedrücke klar und mein gepreßtes Gemüth erleichterte sich
durch einen tiefen Seufzer. Die schüchterne Clotilde sing
diesen Seufzer auf, seufzte gleichfalls, und blickte sanft lächelnd
auf mich. Sie erhob sich und setzte sich an meine linke
Seite, auf Amalaswindens Stuhl. Da nahm das Porta -
mento von Amalaswindens Gesang merklich an Schnelligkeit
zu, ein tromolo stellte sich ein, die Töne verirrten sich, die
Arie wurde durch leises Schluchzen unterbrochen, während
Amalaswindens Hände mechanisch weiter klimperten.
Die Mama hatte sich während dieser Gcmüthsbewegungen
in häusliche Gespräche mit ihren übrigen fünf Töchtern ein-
gelassen, welche, als noch unter fünfundzwanzig Jahren auch
noch unter strengerer Aufsicht standen.
Die vierundzwanzigjährige Hildegunde feierte des andern
Tages ihr Geburtsfest und die fürsorgliche Mama wollte
dasselbe durch einen solennen Schmaus feiern. Ick wurde
eingcladcn, daran Theil zu nehmen. Nachniittags sollte ein
Spaziergang durch den Wald zu den Ruinen des Schlosses
Adelstein gemacht werden. In gedrücktester, widerstands-
loser Stimmung nickte ich ein „Ja".
Amalaswindens Schluchzerarie war beendigt. Sie näherte
sich ihrem Stuhle und ihrer innner weniger schüchtern werden-
den Schwester mit giftigen Blicken. Clotildc lobte lächelnd
meine modische Cravatte und vergaß, daß in der Reihe ihrer
Pcrlenzähne sich zwei Lücken sichtbar machten.
Ich erhob mich und ging auf Hildegunde zu, um ihr
meinen innigsten Glückwunsch darzubringen. Dieses Mädchen
hatte wenig schwärmerischen Sinn. Sie sagte kurzweg: „Herr
von X., mir ist wenig zu gratulieren! Ein Frauenzimmer
ist nur dann glücklich, wenn sic einen hübschen, reichen Mann,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine angenehme Sommerfrische"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 45.1866, Nr. 1118, S. 186
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg