Eine angenehme
ein volles Haus und eine Stube voll Kinder und Mägde
hat. Dann weiß man, wofür man da ist. Der ledige
Stand ist mir schon herzhaft verdrießlich!"
Die Mama lachte hell auf, Amalaswinde warf auf
Hildegunden einen Flammenblick, Clotilde lächelte sanfter als
je, und die jüngern Sprößlinge des Hauses kicherten. Ich
machte eine stumme Verbeugung und ging auf's äußerste
angegriffen in mein einsames Gemach. Ich nahm ein nieder-
schlagendes Pulver, während sich mein Johann im Vorgemache
an dem mitgebrachten kalten Braten und wie mir schien auch
an einer Flasche meines Weines gütlich that.
Erschöpft legte ich mich zu Bette und entschlummerte.
So endete der erste Tag meines Erholungsaufenthaltes.
Der nächste Morgen brachte mir wenig Gutes. Ich
lag noch in meinem Bette, — da klopfte cs leise an mein
gardinenloses Fenster. Ich hüllte mich tiefst in meine Decke
und hielt mich ganz stille.
„Herr von X.," flötete Clotildcns sanfte Stimme.
Ich zuckte zusammen.
„Herr von X.! Eilen Sie herauszukommen! Der Morgen
ist Lonenhaft schön. Der holde Thau glitzert auf Sträuchern,
Bäumchen und Gräsern, die Blumen des Waldes wiegen
sich auf sanften Zephyrsflügeln. Ach, bester Herr von X.!
Wie können Sic so lange schlummern! Haben Sie kein
Gefühl für die Schönheiten des Morgens?"
Meine Nerven waren sehr erschüttert; ich nahm heim-
lich ein nicderschlagendes Pulver, und hielt mich ganz stille.
„Herr von X.," fuhr die schüchterne Clotilde fort,
„hören Sie mich doch! Schon schwirrt die Lerche im äonen-
hastcn Blau deS Himmels. Die Glöckchen des Waldes
erheben ihre Glocken und läuten zur Feier der; Natur. Herr
von X.! Hören Sie doch! — Meine Schwester Amalaswinde
ist int Begriff, Sie zu einer Promenade in den Wald abzu-
holcn. Sie blättert in ihrem Notenhefte, um einige Liedchen
daraus zu wählen, welche sie Ihnen im Walde Vorsingen
L-ommerfrische. 187
will. Amalaswinde ist eine Närrin. Fliehen Sie in meinen
Schutz!»
Ich fuhr in die Höhe, nahm ein zweites niederschlagen-
des Pulver, schellte meinem Johann, kleidete mich rasch an,
und eilte hinaus zu Clotilden, welche mich vor meiner
Zimmerthüre schüchtern, mit niedergeschlagenen Augen, be-
grüßte. Das hagere Mädchen hing ihren Arm in den
meinigen und wir entfernten uns eiligst von dein Hause.
Wir waren kaum hinter den ersten Büschen geborgen, als
wir Amalaswindens Lcibaric aus „Ernani“ trällern hörten.
Mir lief der Angstschweiß über die Stirne.
Clotilde setzte sich auf einen vom Thau noch sehr nassen
Stein und sprach: „Herr von X.! Sie haben mich armes
Mädchen zur Glücklichsten aller Sterblichen gemacht. Und
ich sage Ihnen im keuschen Lichte des Morgens, — ich
crwicdere die stille Zuneigung, die Sie mir weihen. Ich
habe gestern Abends Ihre Blicke, Ihre Seufzer verstanden."
„O Gott, mein verehrtes Fräulein!" rief ich betroffen
aus, „dieser Stein ist so naß, Sie werden — gewiß, Sic
werden sich erkälten. Hier im Schatten ist es noch erstaun- 1
lich kühl. Ach, ich fühle mich so unwohl, so — —, ich
bitte, wollen wir nicht zurückkehrcn? Der Arzt hat mir
strenge verboten, früh morgens in's Freie zu gehen."
Clotilde sah mich mit einem Blicke an, welcher Liebe,
stille Verachtung, tiefe Kränkung und Verzeihung zugleich
ausdrückte und sie sagte sehr sanft: „Herr von X., unsere
Situation ist höchst pittoresk; ich empfinde das Aeguivoke
derselben, aber wir dürfen unö durch die Conventionen des
modernen Lebens nicht fesseln lassen. Ich fühle mich eine
geistige Johanna d'Arc im Gewühle strittiger 8avoir vivro
Angelegenheiten. Darum sage ich Ihnen offen und klar:
— sprechen Sie mit meiner Mutter!"
Stutzend blieb ich eine Weile stehen und wußte mir im
Drange des Augenblickes nicht zu helfen. Da trat wie ein
rettender Engel Amalaswinde mit einer Guitarre aus den
Büschen hervor und grüßte mich mit Herzlichkeit, indem sie
der verstummenden Clotilde einen Flammenblick zuwarf. Das j
Bewußtsein, vor den Actionen der geistigen Johanna d'Arc !
für den Augenblick gerettet zu sein, gab meinem Gesichte j
den heitersten Ausdruck. Amalaswinde empfand, daß sie
willkommen sei, und ihre Herzlichkeit schien mit jedem
Momente zu wachsen.
„Sie loser Mann!" rief sie schelmisch, „so früh also
dem warmen Stübchen entflogen? Wie muß ich morgen
eilen, die Erste unter meinen Schwesterchen zu sein, welche
Sie zu einer Morgenparthie bestimmt. Gewiß, rechnen Sie
darauf, mich morgen um 8 Uhr vor Ihrer Thüre zu finden."
Amalaswinde setzte sich auf einen gefällten Baumstamm,
begann ihre Guitarre zu stimmen, sah mich bedeutungsvoll
an, hob die wasserblauen Augen gegen Himmel und fing an
ihre Leibarie: „Ernani, Ernani, invola mi" zu singen.
Ich nahm einen tüchtigen Schluck Rum aus meiner
Feldflasche, um meine Magennerven zu stärken und zwei
niederschlagende Pulver, um meine übrigen Nerven zu be-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine angenehme Sommerfrische"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
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Auftrag
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Fund/Ausgrabung
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Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 45.1866, Nr. 1118, S. 187
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg