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Fliegende Blätter — 47.1867 (Nr. 1147-1172)

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Nr. 1147
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https://doi.org/10.11588/diglit.3292#0007
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Der verhängnißvolle Regenschirm.

Kanone an dem Protzkasten. — Also Glück auf die Reise!
Und nicht allein ans die Hochzeitsreise, sondern auf die Reise
durch das ganze Leben! Haltet treu zusammen in Freud und
Leid; unfern Segen habt ihr und damit Punktum. Hoch
dem Brautpaare! Hoch und abermals hoch!" —

Nachdem noch Rede und Gegenrede diesem drollig derben
Trinkspruche gefolgt war, entstand eine allgemeine Bewegung unter
den Hochzeitsgästen. Händedruck und Kuß, Gruß und Wunsch
don Freunden und Verwandten umschwirrte das scheidende
Brautpaar, nochmals fallen Tochter und Mutter einander in
die Arme, da tritt der Vater mit soldatischer Entschiedenheit
dazwischen: „geschieden muß sein!" ruft er mit Nachdruck
und drängt das junge Pärchen zur Thüre hinaus, es bis zum
Wagcnschlage begleitend. ■— Noch ein letztes, grüßendes Winken
mit den Tüchern von den Fenstern herab, der Wagen rollt
über das Pflaster dahin und — fort waren sie. Eine Viertel-
stunde später trug sic der schnaubende Dampfwagen hinaus in
den sonnigen und wonnigen Maitag. Wald und Fluren,
Thal und Hügel zogen im Fluge vorüber; tausend süße Er-
innerungen knüpften sich an die wohlbekannte Gegend. Dort
auf jener waldigen Höhe hatte man sich zum ersten Male
begegnet; in jenem freundlichen Dörfchen gar manchmal ge-
tanzt. Wunsch und Hoffnung vergangener Tage hatte heute
so herrliche Erfüllung gefunden. Da ertönte schrillend der
Pfiff der Lokomotive, die Bremsen knirschten, der Zug stand
still. In weitem Schwünge flogen die Wagenthüren auf,
das sonnengebräunte, mit einem gewaltigen Schnauzbart ver-
zierte Antlitz eines Zugführers drängte sich herein und mit
der vollen Kraft gesunder Lungen ertönte der Ruf: „Station
B., 10 Minuten Aufenthalt, nach A. und F. aussteigen!"
Da Heinrich mit seiner jungen Frau die letztere Richtung
cinschlagcn wollte, stiegen sie aus. — In einer Fensternische
des Wartsaales zu B. harrten sie traulich plaudernd der Zeit
des Weiterfahrens. — Schon klingelte es >vieder. „Nach A.
und F. Ansteigen!" dröhnte der Ruf durch des Wartsaales
geräumige Hallen. — Ungestüm drängte sich die beträcht-
liche Anzahl der harrenden Reisenden durch die weitgeöffneten
Flügelthürcn; unser Pärchen war herzlich froh zwei Plätze
neben einander zu erobern. Weiter ging es in fliegender
Eile. Heinrich und Louise richteten sich möglichst wohnlich
ein, Shawl und Handgepäck wurden entsprechend untergebracht,
Heinrich verwahrte die Billets, Ivährend Louise eine Muster-
ung des Reisegepäcks vornahm. Da überzog plötzlich dunkle
Röthe ihr Antlitz, hastig suchte sie oben und unten, zur
Rechten und zur Linken. „Heinrich," rief sie mit erregter
Stimme, „um's Himmels willen, Heinrich, Ivo ist mein Re-
genschirm?" Richtig, er war verschwunden. Heinrich dachte
nach, und wie Blitzschlag fiel es ihm ein, im Wartsaale zu B.
hatte er ihn in die Fensternische gelehnt und beiin eiligen
Aufbruche mitzunehmen vergessen. — Der Regenschirm war
zum Unsterne die Gabe einer wunderlichen Tante von großer
Geltung in Louisens Familie, die nichts empfindlicher berühren
konnte, als eine Vernachlässigung ihrer Geschenke, die zu geben
ihrem Geize stets eine große Ueberwindung kostete. So

senkte sich die erste Sorge wuchtig auf die Herzen des jungen
Ehepaares, und sie berathschlagten mit bekümmerten Mienen,
was zu thun sei. — Da kam Heinrich auf den klugen Ein-
fall bei der nächsten Station auszusteigen und dem treu-
losen Regenschirm auf telegraphischem Wege einen Steckbrief
nachzusenden. Gesagt, gethan. Behend sprang Heinrich zum
Wagen hinaus, drückte mit warmer Zärtlichkeit die Hand
seines lieben Louischcns, drehte sich mit freundlichem Kopf-
nicken um und nochmals uni, als gelte es eine Trennung für
viele Wochen und erkundigte sich alsdann in der ihm be-
scheidenen Weise nach dem Telegraphenmnte. Dasselbe war
ziemlich entlegen und schwer zu finden. Der Weg dahin
führte über lange Gänge und Vorplätze, Treppen auf und
ab; endlich stand Heinrich am Ziele. Es war keine Kleinig-
keit für ihn, die Personalbeschreibung des vermißten Reise-
gefährten, seinen wahrscheinlichen Aufenthaltsort, die Höhe
des Trinkgeldes für den redlichen Finder, die Bestimmung
des Abgabeorts in den knappen ungewohnten Sthl einer
telegraphischen Depesche znsammenzudrängen. Eben schickte sich
Heinrich an, seine Depesche nochmals abzuschreibcn, als ein
gellender Pfiff, wie ein zweischneidiges Schwert durch seine
Seele fuhr. Er warf Feder und Depesche hin, griff eiligst
zum Hute, sprang die Teppe hinunter, die langen Gänge
hindurch, kam an einen Unrechten Ausgang, stürmte nochmals
zurück, da pfiff es ein zweites Mal und Heinrich kam gerade
recht, um den Zug mit immer rascherem Laufe zum Bahnhofe
hinansrollen zu sehen. — Eine weit zum Fenster hinausge-
bengte Gestalt vom Dufte der Entfernung lieblich umflossen,
erfüllte ihn mit der lebendigen Ahnung, daß dies seine liebe,
nunmehr flüchtige Louise sei. Niedergeschmettcrt stand der
junge Gatte da. Ach, wenn der gestrenge Schwiegervater
das ahnen würde! Und solches Mißgeschick um eines albernen
Regenschirmes willen, der ganz geeignet war, das Tragische
seiner Lage in's Lächerliche zu ziehen! Aerger und Scham
fielen gleich hungrigen Geiern über die festlich hohe Stim-
mung seiner Seele und zerrissen sie in zuckende Fetzen. Doch
bald ermannte er sich. • Zn seiner größten Freude erfuhr
Heinrich, daß er heute noch mit dem um 7 Uhr Abend ab-
gehenden Zuge nach F. gelangen könne. — Louise wußte, wo
sie abzustcigcn hatte, denn der besorgte, junge Ehemann hatte
im Voraus ein Zimmer im Gasthofe zu den 3 Kronen be-
stellt. Wie die Sonne nach kurzem Gewitterregen doppelt
schön am blauen Himmel steht, so mußte nach kurzem Un-
gemach die Wonne des Wiedersehens folgen. In dieser an-
genehmen Hoffnung eilte Heinrich zum zweiten Male ans das
Telegraphenamt und hatte diesmal Muße genug seine Depesche
sachgemäß niederzuschreiben. Die Uhr in der Hand, so stand
er nunmehr vor dem aufgehängten Fahrplane und verfolgte
Louise in Gedanken von Ort zu Ort. In welcher qual-
vollen Unruhe mochte sich die Arme befinden! Doch Ende
gut, Alles gut! Heute Abend sollten sie ja alle Drei wieder
beisammen sein: Heinrich, Louise und der Regenschirm! Dann
hatten sie doch ein Abenteuer erlebt, das sie gemeinsam be-
lachen konnten. Das aber mußte ihm Louise versprechen,
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