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Moralische Experimente.
lieben in der Stadt umschauen und Abends um sechs Uhr wieder-
kommen, um seinen Dienst in optima koriun anzutreten.
Als Franz das Zimmer verlassen hatte, blitzte cs eigen-
thümlich über Wallners Antlitz; er nahm einen tüchtigen Schluck
Arak und blies eine solche Rauchwolke vor sich hin, daß sie
in weiten, dicken Ringen das ganze Zimmer entlang zog.
Mehrere Monate waren rasch verstrichen, das Rad der
Zeit dreht sich ja ohne Unterlaß und während wir Alltags-
menschen noch an dem Heute kleben, ist bereits das Morgen in
voller oft unverhoffter Herrschaft eingetroffen. Bereits wehte
frische Herbstluft über die Stoppeln der Felder, und die Bäume
fingen an zu bleichen, ein welkes Blatt um das andere ent-
führte neckisch als willkommenes Spielzeug der lose Wind, und
näher rückte die trübe, tobte Zeit des öden Winters.
Wallner war mit seinem neuen Diener Franz mehr als
zufrieden; er halte sich unter der Hand in seiner Hcimath ge-
nau über ihn erkundigt, und Alles ward seiner eigenen Er-
zählung getreu befunden. Franz Miller war mehr das Opfer
des Verhängnisses als eigener Schlechtigkeit, und wenn ihn
auch jähe Hitze des Zornes zu einer Unthat hingerissen, so hatte
er gewiß genug dafür gelitten und gebüßt, und er verdiente
es, wieder glücklich zu werden.
Anfangs hatte sich Franz in den ihm so ungewohnten
Verhältnissen etwas hart gcthan; war ihm auch als Soldat
früher bereits seine bäuerische Eckigkeit und Steifheit abgestrcift
worden, so hatte doch noch sehr viel gefehlt, um ihm die Le-
bendigkeit und Gewandtheit eines so zu sagen fertigen Bedienten
zu geben. Seine, wenn ich mich dieses Wortes in seinem besten
Sinne bedienen darf, wirklich hündische Anhänglichkeit und Liebe
zu seinem Herrn jedoch ließ ihn rasch alle Schwierigkeiten über-
winden und wer ihn jetzt sah, hätte in ihm nicht mehr jenen
linkischen Bauernburschen erkannt. Ruhig und gesetzt folgte er
jedem Winke Wallners, so daß dieser seine Freude an ihm hatte.
Obwohl etwas still und zurückhaltend, konnte er doch sehr lustig
fein; oft aber überfiel ihn mitten in seiner Heiterkeit eine Art
Schwermuth, die dem geübten Blicke seines Herrn nicht verbor-
gen blieb.
Wallner fragte ihn nie darum, denn er schien ohnedies
in seiner Seele zu lesen, als lüge sie wie ein offenes Buch vor
ihm; ihn durchzogen ganz andere Gedanken und Pläne. Es
kitzelte ihn, nun auch Leni kennen zu lernen und mit ihr nach
seiner Manier zu experimentiren. Franz war für ihn bereits
zu alltäglich geworden; sein unruhiger, sonderlingartiger Geist
wollte gebieterisch neue und pikante, prickelnde Nahrung.
So trat denn Wallner eines Tages dem Anscheine nach
ziemlich verstört und niedergeschlagen in seine Behausung, warf
sich mürrisch auf den Divan, stampfte von Zeit zu Zeit mit
den Füßen auf den vor demselben ausgebreitctcn Teppich und
schien im höchsten Grade aufgeregt. Dann sprang er auf,
trommelte heftig an die Fenster, daß fast die Scheiben brachen,
schritt hastig das große Zimmer auf und ab, starrte zuweilen
fest den erschrockenen Franz an und warf sich daun wieder wie
verzweifelt auf den weichen Divan.
Franz hatte ihn von Anfang an aufmerksam und thcil-
nehmend betrachtet, that er ihm doch stets, was er ihm an den
Augen ansah; so aber, wie heute Abend, war der Herr noch
nie gewesen. Einige Male schwebte die Frage auf seinen Lippen,
was dem gnädigen Herrn fehle, aber wenn er den grimmen
Blick und die verstörte Miene desselben wieder sah, erstarb ihm
das Wort, und er wagte cs nicht, sich auch nur zu rühren.
Geduldig und bekümmert stand er da und harrte, ob wohl von
anderer Seite das für ihn so unheimliche Schweigen gebrochen
würde, und ihm ward so schwül, als sollte ein Blitz hernieder-
fahren, um sein ganzes bisheriges Glück zu zerstören. Er brauchte
nicht lange zu warten.
Wallner ward allmählig ruhiger, um so häufiger aber und
immer weicher ruhte sein dunkles Auge auf Franz, und es
schien, als wolle er ihm etwas sagen und zaudere immer und
immer, als käme es ihn selbst hart an, es aussprechen zu müssen,
leidlich streckte er ihm die Hand entgegen und ries in sanftem
Tone: „Franz, wir müssen uns trennen!"
Franz stand da, als hätte ihn in der That der Blitz ge-
troffen; betäubt starrte er mit weit aufgerissenen Augen auf j
Wallner, als könne er seinen Ohren nicht glauben, als müßten
sie falsch gehört haben, und er zuckte ganz zusammen, als sein
Herr fortfuhr: „Es ist so, leider! Heute erhielt ich die Nach-
richt, daß der Banquier, bei dem ich mein ganzes Vermögen
stehen hatte, Bankerott machte und nach Amerika entfloh: Nun
bin ich ein Bettler, und ein Bettler kann sich, wie Du wohl
selbst einsehen wirst, keinen Bedienken halten. Diese kleine Villa
hier, die ich verkaufen muß, trägt nicht so viel ein, meine lau-
senden Schulden zu bezahlen, und ich sehe daher nicht, wie ich
nur mich selbst erhalten kann."
Franz blieb sprachlos, so war ihm der Schrecken durch
alle Glieder gefahren, und er glaubte zu träumen. Wallner
fuhr ruhig weiter: „So hart es auch für mich sein mag, ge-
wohnt an die Gemächlichkeiten des Lebens, nun Allem entsagen
zu müssen, so ist doch wenigstens für Dich, der Du mir bis-
her mit solcher Anhänglichkeit, Treue und Liebe gedient hast,
gesorgt; ein guter Bekannter aus meinen glücklichen Tagen, Du
kennst ihn ja selbst, der reiche Herr von Freundstem, wünschte
schon lange einen Burschen wie Dich, und auf mein Ersuchen
hat er Dich sogleich in seinen Dienst genommen; Du erhältst
bei ihm alles wie bei mir, zudem noch jährlich zweihundert
Thaler Lohn; als Einstandsgeld gab er mir für Dich hundert
Thaler, hier sind sie! Packe also rasch Deine Sachen zusam-
men, Du mußt noch heute Abend bei ihm in Dienst treten,
da er morgen Früh nach Italien abreist."
Franz stand wie eine Bildsäule da; wären nicht heiße
Tropfen seinen Augen entfallen, man hätte ihn für tobt halten
können. Endlich, nach hartem Kampfe, ergriff er rasch Wallners
Hand, auf die er einen heißen Kuß drückte, und mit gepreßter
Stimme rief er: „Sie verlassen? nie, und gab’ man mir die ;
ganze Welt! Geben Sie ihm die hundert Thaler zurück, ich
kann nicht in seinen Dienst treten. Sind Sie wirklich so arm
geworden, Gott sei Dank, ich kann arbeiten, und ich mag ar-
beiten, Tag und Nacht will ich arbeiten, um so meine große
Schuld abzutragen; es soll Ihnen an nichts fehlen, ich verdien'
Moralische Experimente.
lieben in der Stadt umschauen und Abends um sechs Uhr wieder-
kommen, um seinen Dienst in optima koriun anzutreten.
Als Franz das Zimmer verlassen hatte, blitzte cs eigen-
thümlich über Wallners Antlitz; er nahm einen tüchtigen Schluck
Arak und blies eine solche Rauchwolke vor sich hin, daß sie
in weiten, dicken Ringen das ganze Zimmer entlang zog.
Mehrere Monate waren rasch verstrichen, das Rad der
Zeit dreht sich ja ohne Unterlaß und während wir Alltags-
menschen noch an dem Heute kleben, ist bereits das Morgen in
voller oft unverhoffter Herrschaft eingetroffen. Bereits wehte
frische Herbstluft über die Stoppeln der Felder, und die Bäume
fingen an zu bleichen, ein welkes Blatt um das andere ent-
führte neckisch als willkommenes Spielzeug der lose Wind, und
näher rückte die trübe, tobte Zeit des öden Winters.
Wallner war mit seinem neuen Diener Franz mehr als
zufrieden; er halte sich unter der Hand in seiner Hcimath ge-
nau über ihn erkundigt, und Alles ward seiner eigenen Er-
zählung getreu befunden. Franz Miller war mehr das Opfer
des Verhängnisses als eigener Schlechtigkeit, und wenn ihn
auch jähe Hitze des Zornes zu einer Unthat hingerissen, so hatte
er gewiß genug dafür gelitten und gebüßt, und er verdiente
es, wieder glücklich zu werden.
Anfangs hatte sich Franz in den ihm so ungewohnten
Verhältnissen etwas hart gcthan; war ihm auch als Soldat
früher bereits seine bäuerische Eckigkeit und Steifheit abgestrcift
worden, so hatte doch noch sehr viel gefehlt, um ihm die Le-
bendigkeit und Gewandtheit eines so zu sagen fertigen Bedienten
zu geben. Seine, wenn ich mich dieses Wortes in seinem besten
Sinne bedienen darf, wirklich hündische Anhänglichkeit und Liebe
zu seinem Herrn jedoch ließ ihn rasch alle Schwierigkeiten über-
winden und wer ihn jetzt sah, hätte in ihm nicht mehr jenen
linkischen Bauernburschen erkannt. Ruhig und gesetzt folgte er
jedem Winke Wallners, so daß dieser seine Freude an ihm hatte.
Obwohl etwas still und zurückhaltend, konnte er doch sehr lustig
fein; oft aber überfiel ihn mitten in seiner Heiterkeit eine Art
Schwermuth, die dem geübten Blicke seines Herrn nicht verbor-
gen blieb.
Wallner fragte ihn nie darum, denn er schien ohnedies
in seiner Seele zu lesen, als lüge sie wie ein offenes Buch vor
ihm; ihn durchzogen ganz andere Gedanken und Pläne. Es
kitzelte ihn, nun auch Leni kennen zu lernen und mit ihr nach
seiner Manier zu experimentiren. Franz war für ihn bereits
zu alltäglich geworden; sein unruhiger, sonderlingartiger Geist
wollte gebieterisch neue und pikante, prickelnde Nahrung.
So trat denn Wallner eines Tages dem Anscheine nach
ziemlich verstört und niedergeschlagen in seine Behausung, warf
sich mürrisch auf den Divan, stampfte von Zeit zu Zeit mit
den Füßen auf den vor demselben ausgebreitctcn Teppich und
schien im höchsten Grade aufgeregt. Dann sprang er auf,
trommelte heftig an die Fenster, daß fast die Scheiben brachen,
schritt hastig das große Zimmer auf und ab, starrte zuweilen
fest den erschrockenen Franz an und warf sich daun wieder wie
verzweifelt auf den weichen Divan.
Franz hatte ihn von Anfang an aufmerksam und thcil-
nehmend betrachtet, that er ihm doch stets, was er ihm an den
Augen ansah; so aber, wie heute Abend, war der Herr noch
nie gewesen. Einige Male schwebte die Frage auf seinen Lippen,
was dem gnädigen Herrn fehle, aber wenn er den grimmen
Blick und die verstörte Miene desselben wieder sah, erstarb ihm
das Wort, und er wagte cs nicht, sich auch nur zu rühren.
Geduldig und bekümmert stand er da und harrte, ob wohl von
anderer Seite das für ihn so unheimliche Schweigen gebrochen
würde, und ihm ward so schwül, als sollte ein Blitz hernieder-
fahren, um sein ganzes bisheriges Glück zu zerstören. Er brauchte
nicht lange zu warten.
Wallner ward allmählig ruhiger, um so häufiger aber und
immer weicher ruhte sein dunkles Auge auf Franz, und es
schien, als wolle er ihm etwas sagen und zaudere immer und
immer, als käme es ihn selbst hart an, es aussprechen zu müssen,
leidlich streckte er ihm die Hand entgegen und ries in sanftem
Tone: „Franz, wir müssen uns trennen!"
Franz stand da, als hätte ihn in der That der Blitz ge-
troffen; betäubt starrte er mit weit aufgerissenen Augen auf j
Wallner, als könne er seinen Ohren nicht glauben, als müßten
sie falsch gehört haben, und er zuckte ganz zusammen, als sein
Herr fortfuhr: „Es ist so, leider! Heute erhielt ich die Nach-
richt, daß der Banquier, bei dem ich mein ganzes Vermögen
stehen hatte, Bankerott machte und nach Amerika entfloh: Nun
bin ich ein Bettler, und ein Bettler kann sich, wie Du wohl
selbst einsehen wirst, keinen Bedienken halten. Diese kleine Villa
hier, die ich verkaufen muß, trägt nicht so viel ein, meine lau-
senden Schulden zu bezahlen, und ich sehe daher nicht, wie ich
nur mich selbst erhalten kann."
Franz blieb sprachlos, so war ihm der Schrecken durch
alle Glieder gefahren, und er glaubte zu träumen. Wallner
fuhr ruhig weiter: „So hart es auch für mich sein mag, ge-
wohnt an die Gemächlichkeiten des Lebens, nun Allem entsagen
zu müssen, so ist doch wenigstens für Dich, der Du mir bis-
her mit solcher Anhänglichkeit, Treue und Liebe gedient hast,
gesorgt; ein guter Bekannter aus meinen glücklichen Tagen, Du
kennst ihn ja selbst, der reiche Herr von Freundstem, wünschte
schon lange einen Burschen wie Dich, und auf mein Ersuchen
hat er Dich sogleich in seinen Dienst genommen; Du erhältst
bei ihm alles wie bei mir, zudem noch jährlich zweihundert
Thaler Lohn; als Einstandsgeld gab er mir für Dich hundert
Thaler, hier sind sie! Packe also rasch Deine Sachen zusam-
men, Du mußt noch heute Abend bei ihm in Dienst treten,
da er morgen Früh nach Italien abreist."
Franz stand wie eine Bildsäule da; wären nicht heiße
Tropfen seinen Augen entfallen, man hätte ihn für tobt halten
können. Endlich, nach hartem Kampfe, ergriff er rasch Wallners
Hand, auf die er einen heißen Kuß drückte, und mit gepreßter
Stimme rief er: „Sie verlassen? nie, und gab’ man mir die ;
ganze Welt! Geben Sie ihm die hundert Thaler zurück, ich
kann nicht in seinen Dienst treten. Sind Sie wirklich so arm
geworden, Gott sei Dank, ich kann arbeiten, und ich mag ar-
beiten, Tag und Nacht will ich arbeiten, um so meine große
Schuld abzutragen; es soll Ihnen an nichts fehlen, ich verdien'