Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Fliegende Blätter — 55.1871 (Nr. 1355-1380)

DOI Heft:
Nr. 1358
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4929#0031
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Uhrmacher von Straßburg.

alsbald die Reste des Mahles ab, denn der Tisch sollte jetzt,
da man im Hause der Frau Margareth den Müßiggang nicht
kannte, statt der Schüsseln und Flaschen Gertruds Arbeit tragen.
Auch die Großmutter holte sich alsbald das Brautkleid der
Enkelin herbei; cs war die höchste Zeit, cs zu vollenden, denn
heute über acht Tage sollte ja die Hochzeit sein. Mariechen
aber durfte hinunter auf die Straße gehen, »m dort gemein-
schaftlich mit einigen Nachbarskindern zu spielen.

Ein Stündchen etwa mochten die Frauen gearbeitet haben,
da plötzlich polterten hastige Schritte die Treppe herauf und
herein trat athcmlos und erhitzt der als Martin Ringler ver-
kleidete Junker Zcttlitz.

„Um Gott, Martin, was ist Euch? Was bringt Ihr
Gutes?" frug erschrocken Frau Margareth, indem sic die Brille
auf der Nase zurecht setzend das verstörte Aussehen des Ein-
getretenen erblickte.

„Leider nichts Gutes, Frau Margareth," erwiderte Zcttlitz
mit düsterem Tone, „wollte Gott, ich könnte Euch bessere Kunde
bringen. Mathias liegt draußen vor dem Stadtthore schwer
verwundet; Spitzbuben, seine ehemaligen Zechbrüder, haben ihn
überfallen, niedergeschlagen und rein ausgeplündert. Doch ich
erkannte die Schurken — sie sollen ihrer Strafe nicht entgehen!"

„Heiliger, gerechter Gott!" riefen jetzt wie in einem Athem
die beiden Frauen, „o führt uns doch hin zu ihm, um ihm
zu helfen!"

„Deßhalb bin ich gekommen; Mathias braucht Hülfe und
zwar schleunige Hülfe — nehmt etwas Ocl und Leinwand,
Jungfer Gertrud — Frau Margareth, es ist ziemlich weit, Ihr
könnt nicht so rasch gehen, als es nöthig ist; bereitet deßhalb
Alles für die Ankunft des Verwundeten vor, in einer Stunde
längstens werden wir hier sein — sorget dann, daß ein Arzt
zur Stelle ist!"

„Ja, guter Martin, Ihr habt Recht! Herr des Himmels,
mein armer Mathias," schluchzte die Alte, „eile Dich, Gertrud,
sonst verblutet ja Dein Bruder auf der Landstraße!"

Das bestürzte Mädchen raffte eilends das Nöthigstc zum
Verbände des Verwundeten zusammen, schlang sich selbst ein
warmes Tuch, ein Geschenk ihres Verlobten, uni die Schultern
und verließ an der Seite ihres drängenden Begleiters die Wohn-
ung. Im ersten Schrecken hatten beide Frauen vergessen, sich
zu erkundigen, wo denn der Verletzte sich befände; jetzt erst vor
das Haus gekommen, that sie wie mechanisch diese Frage.

Zcttlitz war hierauf vorbereitet. Gerne hätte er zwar
größerer Sicherheit wegen eine entgegengesetzte Richtung ange-
geben, allein sicher Hütte das Mädchen Verdacht geschöpft, wäre
er dem bezeichncten Wege nicht gefolgt; zudem war sie jetzt, da
sie ihm zu folgen entschlossen war, schon völlig in seiner Ge-
walt. Er erwiderte deßhalb, Mathias liege vor dem Metzger-
thore in einer einsam stehenden Schenke, deren Schild er jedoch
nicht kenne.

„Mutter Gertrud, nimm mich mit Dir!" rief jetzt plötz-
lich das Sümmchen der kleinen Marie, die vor dem Hause
spielend die vorüber eilende Pflegemutter erblickt hatte.

Gertrud hielt an, nahm das Kind aus die Arme und

27

sprach, es liebkosend: „Mariechen, Du kannst nicht mitkommen, !
es ist zu weit!"

„Wo gehst Du denn hin?" frug die kleine Neugierige.

„Vor das Metzgerthor in eine einsame Schenke — den
Oheim Mathias holen — er ist krank!"

Zcttlitz biß sich auf die Lippen; wie froh war er jetzt,
daß er in seiner Unvorsichtigkeit den Namen des Schildes wenig-
stens verschwiegen hatte. Er drängte wiederholt zur Eile, da
es ja schon zu dämmern beginne und der Verwundete sehnlichst
Hülse erwarte. Gertrud setzte das Kind wieder zur Erde nieder
und empfahl ihm, zur Großmutter zu gehen, weil es bald
dunkel werde und sonst der Nachtrabe komme, der die kleinen
Kinder auf der Straße zusammcnfange — dann folgte sie dem
immer unruhiger Drängenden. Beide langten nach kurzer Frist
an Ort und Stelle an.

Der Wirth stand unter der Thüre und wies stumm die
Ankommenden die Treppe hinauf. Zettlitz schritt voraus einen
finstern Gang entlang und öffnete endlich eine Thüre. Mit einem
ihr unerklärlichen Schauer schritt Gertrud über die Schwelle;
das Gemach war hell erleuchtet, doch zu ihrer Ueberraschung
— leer. Noch mehr aber wuchs ihr Erstaunen, als sic wahr-
nahm, wie ihr Begleiter alsbald die Thüre verschloß und den
Schlüssel in die Tasche steckte.

„Um des Himmels willen, Martin, was beginnt Ihr?"
rief die Unglückliche, die plötzlich eine entsetzliche Angst überfiel,
„was habt Ihr mit mir vor?" schrie sie und rüttelte wie wahn-
sinnig an der verschlossenen Thüre.

„Gertrud," begann der Junker jetzt mit ruhiger Stimme,
indem er die Widerstrebende an der Hand zu fassen suchte,
„Gertrud, verzeiht mir die List, die mir die heißeste Liebe cin-
gab, um Euch hierher — in meine Gewalt zu bekommen!"

Entsetzt taumelte Gertrud einige Schritte zurück und starrte j
den Sprechenden an, der in seiner Eitelkeit die Ueberzeugung !
hegte, daß die Gefangene erst toben, doch nach und nach sich
in ihr Schicksal fügen werde und der deßhalb ruhig lächelnd
vor ihr stand. „Elender!" rief sie jetzt von ihrem Entsetzen zur !
Wuth übergehend, „Ihr wagt es, mir diesen Schimpf zuzu- !
fügen — mir, der Braut eines braven Mannes, der Schwester
Eueres Freundes?!"

Ueberlegen lächelnd knöpfte Zettlitz das verhüllende grobe |
Wannns auf und warf cs ab. In feinem ritterlichem Kleide
von blauem Sammt, reich mit Gold und Seide nach dem Ge-
schmacke der damaligen Zeit verziert, stand jetzt der entpuppte
Geselle vor seinem Opfer und begann wiederum: „Gertrud,
ich bin nicht der, für den Du mich hieltst; ich bin nicht Martin
Ringler, der Geselle — sondern Junker Hans von Zettlitz, der
Dich liebt bis zum Wahnsinn, der Dir seinen Reichthum zu
Füßen legt, um Dir ein Leben voll Freude und Glück zu bieten,
wenn Du Dich entschließen kannst, seine Gefühle zu erwidern.

O Gertrud," schloß er, indem er einen Versuch machte, das
Mädchen in seine Arme zu schließen, „verzeihe der Liebe, waS
die Liebe sündigte, sei mein als — —"

(Fortsetzung folgt.)

4
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen