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Geschriebene Bilder.

O wie plump und groß sind diese Schlüssel, die manchen
Schmetterling gefangen halten, und wie selbstbewußt sie rasseln!
An der Pforte, die nach den unterirdischen Gelassen führt, bleibt
der Schließer mit dem Gefangenen stehen, und sucht unter den
rostigen Schlüsseln den rostigsten heraus.
Der schöne, lebensfrische, junge Bursche lehnt sich an die
Mauer und wirft noch einen Blick den ziehenden Wolken nach.
Die Sonne beleuchtet und umschmeichelt zum letztenmale seine
vollen Lippen, seine rosigen Wangen und die Hellen Augen, die
nicht verzagen können.
Dann hat der Schließer den rostigsten, richtigsten Schlüssel
gefunden, und schiebt den Jüngling auf die Treppe hinab. Der
athmet noch einmal auf aus voller Brust. . .
Jahr um Jahr vergeht. Der alte Schließer verliert seine
alte Ehehälfte, und schluchzt über ihrem Grabe und rasselt mit
seinen rostigen Riesenschlüsscln acht Tage hindurch wie besessen.
Dann stirbt ihm sein Sohn, der schon Beamter ist in einer
Kreisstadt. Aber der Schließer selber wird so alt, daß man sich
zuraunt, er sei verhext, wie die Raben auf dem Felde. Endlich
aber stirbt er doch auch, und ein neuer Schließer, ein quiescirter
Feldwebel, kommt an seine Stelle, und rasselt mit den alten
Schlüsseln und steigt die dunkle Treppe hinab und wieder herauf,
Morgen für Morgen, Abend für Abend. Und er heirathet die
Magd, um derentwillen er den Dienst verlassen und diese Stelle
verlangt hat, und erbekommt Familie, und seine Kinder werden groß.
Da kommt eines Tages die Vermählung eines Fürsten-
gliedes auf's Tapet, und die offizielle Zeitung verkündigt eine
Amnestie, und die Kerkerpforten des Strafhauses öffnen sich
weitaus, wie gähnend nach einem langen Schlafe.
Es ist wieder ein Heller, lieblicher Julitag, über welchen
sich ein azurner Himmel spannt, so rein und so unergründlich
tief, ohne das kleinste Wölkchen, so daß das Auge keinen Halt
findet am ganzen weiten Firmamente, wie die Taube, als sie
zum erstenmal die Arche verließ. Die hohen Gefängnißmauern
gränzen den Himmel scharf ab. Sträflinge füllen den Hof;
man nimmt ihnen die Ketten ab, und manche versuchen einen
Hurrahruf, aber der ist heiser, schwach und krank.
Die Meisten weinen, sie haben nicht die Kraft, sich anders zu
freuen. Viele zittern und jammern vor Angst: denn sie er-
schrecken davor, wie sie ihre Heimath wiederfindcn werden: die
Gattin, die Mutter, die jugendliche Schwester, den häuslichen
Heerd. Wer von den Lieben wird gestorben sein? Wen wird
die Armuth in die Schande getrieben haben? Ist die heimath-
liche Hütte zerstört und in Trümmer gesunken? Schreckliche
Fragen, die sich in Gebeten nach aufwärts drängen, und die
keinen Halt und keine Antwort finden in dem wolkenlos-
blöden, blicklosen Azur dieses Tages.
Viele sind so schwach, daß sie sich nicht mehr erheben
können von dem Stein, auf welchem man ihnen die Ketten äb-
gcnommen hat. Und wenn man sie aufstcllt, lehnen sie sich matt
an die Wand, und ächzen hilflos.
Jetzt kommt der letzte Freigelassene die Treppe herab, und
hinter ihm der Schließer.

Hat man jemals ein schrecklicheres Gesicht gesehen? Die
gelbe Haut hängt wie Leder über den spitzen Knochen; die Augen
liegen tief in den schwärzlichen Höhlen und haben keinen Blick
mehr, sondern sind verglast wie die eines Todten. Die Lippen
haben nicht mehr die Kraft, die Zähne zu verdecken, und dieses
Zähneblecken gibt dem Todtengesichte einen schrecklich-komischen
Ausdruck des Grinsens. Die Gestalt ist gebeugt, als hätte sic
das Rückgrat gebrochen. Er erstaunt nicht, wie man ihm die
Fesseln abnimmt. Der Schließer sagt ihm, daß er frei sei,
und er freut sich nicht. Man frägt ihn, wo er hingehen wolle,
und er starrt den Frager an, und deckt dann die Knochenhand
über die thränenden Augen und murmelt: „Zu licht. Licht
thut weh."
Er ist unheilbar blödsinnig. Die gutherzige Schließersfrau
will ihm ein Winkelchen ihrer Wohnung anweisen, bis man cr-
erfahren hat, was mit ihm geschehen solle. Aber er ist scheu
und ungeberdig; die Sonne macht ihn ganz wirr und blind.
Er fürchtet sich vor den Kindern. Man muß ihn wieder in's
Gefängniß zurückbringen, und der Schließer fragt behördlich an,
was mit ihm werden solle.
Er war ein junger Mensch gewesen, eine Waise, als er
den „Hochverrath" beging. Und er hat keine Familie. Man
deliberirt lange, ob ihm noch die Gcfängnißkost gebühre; man
schlägt vor, ihn einfach auf die Straße zu setzen. Was kümmert
Einen ein entlassener Sträfling, man hat ja Gnade geübt, in-
dem man ihn losließ! — Endlich aber dringt ein gutherziger
Finanzrath durch mit seinem Vorschläge, daß man den Armen
im Gefängniß lasse — im Gnadenwege, und daß er seine
tägliche Ration verzehren dürfe im Kerker, wie Einer, der noch
Recht darauf habe.
Und wie stolz ist nian im Rathc über diesen Zug der
eigenen Mildthätigkeit! Und so darf denn der arme Blöde im
Kerker bleiben, bis er einst stirbt, und seine Verköstigung steht im
Contobuche der Regierung als: „Almosen aus der Privatchatulle
für einen Hochverräther."
Hochverrath! Der Hochverrath des jungen Menschen war
ein Spottgedicht gewesen, welches er auf einen Prinzen des
regierenden Hauses gemacht hatte, dem man nachsagte, daß er
fast ein Cretin sei. Dieser gute Prinz mit dem verkümmerten
Bartflaum um die Lippen, welcher nie zum Barte werden wollte
und mit den lichten Fischaugen, der den ganzen Tag über nichts
that, als in seinem Schlafsessel sitzen, manchmal ein Buch ver-
kehrt in der Hand halten und manchmal seinen Sekretär an-
hören, ohne denselben zu verstehen; dieser gute Prinz war durchaus
nicht beleidigt gewesen über jenes Gedicht; er hatte es nie
gelesen, und nur der Staatsanwalt hatte pflichtschuldige Rache
geübt für ihn; er hatte auch keine Ahnung davon, daß um
seinetwillen ein junger, schwärmender, geistvoller Mensch im
Kerker langsam zu dem gemacht worden sei, was er selber war.
Zum Trottel, dem das Sonnenlicht wehthat und der sich vor
Kindern fürchtete. Und er wußte nicht, daß es das Lied dieses
armen Verbrechers sei, welches ihm an einem schönen Julitag
in einer Liedersammlung in die Augen fiel, und dessen letzte
Strophe lautete:
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