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Der allegorische Marzipan.

Und dann der Empfang! Die Familie war im Wohn-
zimmer versammelt, und sah mich vom Fenster aus. Ich winkte
ihnen meinen Gruß zu und flog hinauf.
Der ehrwürdige Greis reichte mir die Hand und klopfte
mit der andern auf meine Schulter. Seine Mienen sprachen
deutlicher als Worte seine Befriedigung aus.


Mütterchen, das in seinem Armstuhle saß, und ungeachtet
ihres Alters immer so rein und nett aussah, wie ein schneeweißes
Kätzchen, drückte, als ich mich zu ihr beugte, mein Haupt an
sich, küßte mir die Stirne und sprach: „Willkommen."
Und Hulda? Als ich in ihre klaren Augen blickte, aus
denen ihr ganzes Herz zärtlich zu mir aufsah, wurde es mir
erst unbeschreiblich selig zu Muthe und die Brust war mir bei-
nahe zu eng. Sie war größer und schöner geworden und
reichte mir Me beiden Händchen dar.
Die Reihe schöner Tage, die jetzt anbrachen und das, was
sie Angenehmes mit sich führten, näher zu schildern, ist über-
flüssig, da die geselligen Vergnügungen, Ausflüge und kleinen
Feste dieselben waren, wie früher, nur daß wir uns dabei
insgesammt näher kennen lernten und täglich lieber gewannen.
Ich und Hulda gingen vertraulich miteinander um, wie Ge-
schwister.
Als nun die zwei Monate wieder mit Schnelligkeit dahin-
gegangen waren und es zum Abschiednehmcn kam, da berief
mich dießmäl der Präsident auf sein Zimmer. Er legte beide
Hände auf meine Schultern, sah mich eine Weile gütig an und
sprach: „Gerade heute vor einem Jahre sind Sie, so wie jetzt,

fortgezogen, damals in die Ihnen unbekannte große Stadt, ohne
Bekanntschaften, ohne Hilfsmittel, denn die unbedeutende Geld- j
summe, die Sie besaßen, war nicht der Rede Werth. Hulda j
und meine Frau hatten mich in der letzten Zeit unausgesetzt !
bestürmt, ich möge doch Ihren Pfad etwas ebnen. Ihnen unter ^
die Arme greifen und für die ersten Monate wenigstens Beihülfe ;
leisten. Ich schlug dieß Begehren rundweg ab, blieb fest bei meiner
Weigerung und nahm zugleich den Beiden das Versprechen ab, ,
meinen Absichten nicht vielleicht im Geheimen entgegenzuarbeiten.
Wenn ich mich damals so hart zeigte, so hatte ich gute Gründe
dazu. Ich wollte sehen, Gustav, wie Sie den Kampf um Ihre
Existenz aufnehmen und bestehen würden. Ich ließ Sie dabei, !
so weit es möglich war, nicht aus den Augen. Verzeihen Sie
es einem alten Manne, der in seinem langen Leben nicht selten
bitter getäuscht wurde, wenn er Sie sogar beobachten ließ.
Einmal haben Sie den alten Kaspar dabei ertappt. Sie haben
aber die Probe gut bestanden. Alles, was ich über Sie erfahren
habe und auch das Urtheil einiger Ihrer Professoren, mit denen !
ich persönlich bekannt bin, lautet günstig für Sie."
Er trat bei diesen Worten zu dem Schreibtische und zog
aus einem Fache mehrere Briefe heraus, in die er mich einen
Einblick thun ließ. „Von nun 'an betrachte ich Sie als ein
Familienglied", fuhr der alte Herr fort. „Sie bleiben jetzt
einer der Unsrigcn und besitzen mein Vertrauen. Sie sollen !
jetzt nicht mehr Entbehrungen ausgesetzt sein und auch mit dem
mühsamen Lectioncngeben Ihre Zeit nicht verzetteln. Ich will
bis zu dem Tage Ihrer Selbstständigkeit Ihren Lebensunterhalt
bestreiten, und Sie versprechen mir dafür, daß Sie ohne Prüderie
und ohne je davon zu sprechen, dieses kleine Geschenk Ihres
väterlichen Freundes annehmen werden. Wie? Geben Sie mir
Ihre Hand daraus."
Ich faßte tief gerührt seine Rechte, und drückte sie mit
meinen beiden Händen.
„Sie erhalten an jedem Ersten der folgenden Monate",
schloß er, „die Hälfte jener Summe, die sie letzthin in dem
anonymen Schreiben bekamen."
„Also Sie sind der räthselhafte Geber", rief ich, „der
unbekannte Freund und Schuldner meines seligen Vaters?"
Der ehrwürdige Greis lächelte bejahend. „Uebrigens
wurde ich in Wahrheit mit Ihrem Herrn Papa bekannt. Nach der
Beschreibung und Charakteristik, die Sie uns von demselben
öfters gegeben hatten, war es mir, als müßte ich eine ähnliche ^
Persönlichkeit irgendwo getroffen haben. Ich forschte in meinen
Erinnerungen nach und fand, daß ich wirklich vor ungefähr
zehn Jahren eine Reise in Gesellschaft eines österreichischen -
Officiers gemacht habe, der sich mir bei einem mehrtägigen ;
Unwohlsein in wahrhaft unschätzbarer Weise gefällig und sorg-
lich erwiesen hat. Ich fand neulich in meinen Tagebuchs-
notizen seinen Namen. Er hieß Gustav Hell, wie Sie; !
Sic sehen also, daß wir uns auch von dieser Seite her nicht
mehr fremd sind."
Wir schieden. Dießmal ging ich mit leichtem Herzen nach
Wien. Es war jetzt aber auch ein ganz anderes Studircn,
da ich für meine materiellen Bedürfnisse nicht mehr zu arbeiten
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der allegorische Marzipan"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1470, S. 90
 
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