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Der allegorische Marzipan.

brauchte. Was meine Wohnung betrifft, so blieb ich auch unter
diesen verbesserten Glücksumständen meinem alten Stübchen bei
Meister Haberbcck getreu; die guten Leute verdienten es. Zum
Theil auch wollte ich mich dadurch in der Genügsamkeit be-
festigen.
Was soll ich den freundlichen Leser noch mit der ferneren
Schilderung meiner Lehrjahre bemühen!
Genug, die Monde kamen und gingen vorüber, ich legte
mein erstes Staatsexamen ab und nach Ablauf von vier Semestern
das zweite. Als leuchtende Festzciten im Kalender roth angc-
strichen, standen mir immer die Tage, die ich in Maximiliansruhe
zubringen sollte. Ich rechnete dabei schon von dem Datum, wo
ich mich zur Reise rüstete. Später begab ich mich regelmäßig
auch zur Weinachts- und Osterfeier dahin.
Kehrte ich dann zurück, so begleiteten mich überall in der
großen Stadt, ans allen meinen Wegen in's Getümmel der Welt, und
in's einsame Stübchen, die Gestalten meiner abwesenden Lieben.
Hulda's bezaubernde, liebreizende Erscheinung leuchtete besonders
hervor. Die Erinnerung an sie war der Talisman, der mich
jene schlüpfrigen Pfade nicht betreten ließ, welche junge Männer
meines Alters nicht selten wandeln. O wie entwickelte sie sich
von einem Zeitraum, wo ich sie wiedersah, zum andern, immer
schöner und herrlicher! Treffliche Bücher und die Natur waren
^ ihre Lehrerinnen. Ueberdieß hatte sie die letzten zwei Jahre
hindurch noch den Unterricht einer ältlichen Erzieherin genossen,
die durch Charakter und Kenntnisse meine volle Achtung
gewann.
Aber in meinen Beziehungen zu Hulda waren nicht unbe-
deutende Veränderungen eingetreten. Es herrschte nicht mehr
die Unbefangenheit und geschwisterliche Vertraulichkeit zwischen
uns, wie einst. Zwar sie selbst war im Grunde so gut und
freundlich geblieben, wie früher, dagegen war ich ein anderer
geworden. Ich wagte es nicht mehr den Ton vergangener
Zeiten anzuschlagen; mir, dem man niemals allzugroße Schüchtern-
heit hatte vorwerfen können, flößte sie jetzt Ehrfurcht ein, ich sah
> zuweilen zu ihr wie zu einem höheren Wesen auf und war
manchmal versucht, anbetend mein Knie vor ihr zu beugen. Und
war nicht auch sonst zwischen uns alles anders geworden? War
sie nicht die Enkelin meines größten Wohlthäters, und wie ich
nach und nach erfuhr, die reiche Erbin? Wie durfte ich, der
! Unbemittelte, Hcimatslose, meine Blicke zu ihr erheben? Galt
es nicht, das Vertrauen zu verdienen, das man in mich setzte?
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo ich mich um einen
Staatsdienst hätte bewerben können. Der Präsident rieth mir
vorläufig davon ab, und war der Meinung, ich möge mich früher
um den juridischen Doktorgrad bemühen. Er kam so meinen
geheimen Wünschen zuvor. Ich unterzog mich also nach einer-
emsigen Vorbereitung von vielen Monaten der Promotion und
war dann Doctor beider Rechte geworden.

Nun wird aber der geduldige Leser mit Recht fragen:
Wie, um Alles in der Welt! kommt diese Geschichte zu dem
Titel: der allegorische Marzipan, da doch bisher weder von
einem Marzipan, noch von einer anderen Lebkuchengattung ein

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Sterbenswörtchen gesagt wurde? Ich beeile mich, darüber
Aufschluß zu geben.
Als neugebackener Doctor war ich ans das Land gekommen.
Es war die letzte Sejour, die ich, noch frei von eines Amtes
Last und Würden, im trauten Kreise hier zubringen sollte.
Am nächsten Sonntag, als die Nachmittagshitze bereits abge-
nommen hatte, bat mich Hulda, sie in das benachbarte Dorf zu
begleiten, wo das Kirchweihfest abgehalten wurde. Wir machten
uns auf den Weg.
Als wir eine Weile so fortgeschritten waren, und über
allerlei Dinge geplaudert hatten, sagte Hulda plötzlich zu mir:
„Wissen Sie denn schon, daß ich Braut bin?"
Ein Beben ging durch meinen Körper. Mein Arm, in
welchem der ihre lag, zuckte. Sie sah mich an.
Ich mußte kreideweiß geworden sein.
„Wirklich?" frug ich.
„Ja", sagte sie, „Großältern haben gestern ihre Einwillig-
ung gegeben."
Wir gingen weiter. Mir war auf einmal Alles gleichgültig
geworden, Welt und Leben. Auch die Natur schien mir ohne
jeden Reiz. Es war, als wenn jetzt ein feuerspeiender Berg
ringsum auf Fluren und Hügel seine Lavaflnten ausgegossen
und Alles aschgrau eingehüllt hätte.
Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich meiner. Dieses
Ercigniß kam so unerwartet. Man hätte mich doch früher in
die Sache einweihen, mir einige Andeutungen machen können.
Und wo war der Schleicher, der hinter meinem Rücken sich um
Hulda bewarb und diese kostbare Perle für sich gewann? Hatte
ich ihn doch nie gesehen! Gewiß konnte er sie nicht so schätzen
und ans den Händen tragen als ich! Zum ersten Male regte
sich etwas wie Menschenhaß in meiner Brust.
Ich wandelte wie ein Automat an ihrer Seite. Im Dorfe
bei der Tanzhütte blieb sie stehen und besah sich die Paare,
welche lustig im Reigen herumflogen. Dann kamen wir zu den
Buden, wo die üblichen Näschereien feilgeboten wurden. Mechanisch
griff ich in die Tasche und kaufte dort ein großes Herz aus
Marzipan, welches mir zuerst in die Augen gefallen war. Ich
steckte es zu mir, und wir gingen weiter.
Am Nachhauseweg war sie müde geworden. Der Fußpfad
neben dem Bache führte uns an einem moosigen Felsstück vor-
über. Sie setzte sich. Aus der Ferne sahen uns schon die
reinlichen Gebäude unserer Behausung entgegen. Ein stiller
feierlicher Abend war angebrochen, man hörte nichts als das
Rieseln der Wellen neben uns und das Zirpen der Grillen.
Am Himmel waren schon die ersten Lichter angezündet.
Sie fragte, warum ich so einsilbig sei. Jetzt schien es
mir an der Zeit, meiner beengten Brust Luft zu machen. „Ach
mein Fräulein", gab ich zur Antwort, „das müßige Leben -be-
hagt mir dießmal nicht; die Zukunft steht ernst mahnend vor
mir; ich will mich bei Zeiten um ein Amt, um eine Berufs-
thätigkeit umsehen; bald, morgen schon, kehre ich in die Stadt
zurück. Ich werde wohl kaum der Feier Ihrer Vermählung
beiwohnen können."
Nun wollte ich recht pathetisch werden und auf eine be-

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