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Wohn im gsnoth.
im nächsten Augenblicke schwebte sie über eine Sessellehne ans
den nahe stehenden Tisch, von da herunter auf einen andern
Stuhl und gleich darauf stand sie auf dem Fußboden. — Als
Müller sah, daß ihr keine Gefahr mehr drohte, war sein Ent-
schluß gefaßt, sie zu wecken. Er war ans dem Bette gesprungen,
hatte sich schnell angeklcidct, ging ans sie zu, und faßte sie sanft
bei der Hand. Er fühlte ein leises Zucken, sie schlug die Augen
auf, ihr Blick traf ihn wie ein Blitz, — bald hätte er selbst einer
Stütze bedurft, diese großen, schwarzen, glänzenden Angen durch-
bohrten ihn, — eine glühende Röthe überflog ihr noch kurz vorher
so bleiches Gesicht, Schrecken, Zorn, Scham, Angst und Ver-
zweiflung malte sich in ihren Zügen, ein tiefes Stöhnen entrang
sich ihrer wogenden Brust - und ohnmächtig sank sie in seine
Arme. Er sah und fühlte in diesem Augenblicke nicht die Reize
des schönen, zarten Körpers, wie ein Heiligthnm trug er die
süße Last auf sein Bett und deckte sie bis an den Hals zu.
Auf seinem Waschtische stand eine Flasche reines Wasser, er
netzte ein Tuch damit, eilte wieder zu ihr und bestrich ihr
Stirne, Angen und Schläfe damit; eine Mutter hatte mit
ihrem Kinde nicht zarter umgehen können. Müller war trotz seines
Leichtsinnes ein Mensch von unverdorbenen Sitten, deßhalb war
ihm die Ohnmächtige die Erscheinung eines Engels, dessen göttliche
Reinheit er unwillkürlich fühlte, dessen Erwachen er ersehnte und
fürchtete. --- Ja fürchtete! Er machte sich Vorwürfe über ihre
Situation, die er zwar nicht selbst geschaffen, bei der er aber
mitgewirkt, und er hätte gerne ihr gegenüber das Bewußtsein
gehabt, daß er sich dabei nntadelhaft benommen; darüber war
er sich nicht klar. — Das waren nicht geordnete Gedanken
oder Worte, die er sich sagte, nein, das waren nur seine
innersten Empfindungen, welche stürmisch eine die andere ver-
drängten.
Endlich gelang es seinen Bemühungen, sie zu sich zu
bringen, sie schlug die Augen auf, — ein schmerzlicher Seufzer
entrang sich ihrer Brust, sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden
Händen und rief: „Ach diese unglückselige Krankheit!" darauf
verfiel sic in ein heftiges Weinen.
Müller stand wie vernichtet vor ihr, mit aufgehobenen
Händen bat er sic, sich zu beruhigen. „Verzeihen Sie mir,"
rief er ihr zu, „befehlen Sie über mich! Sie sind in keine
schlechten Hände gerathen! Ich that, was ich glaubte, thnn
zu müssen! Wo ist Ihre Mutter, ich bringe sie hierher, sie
wird Ihnen bcistchen, und ich will mich für immer entfernen!"
Sie hörte auf zu weinen, langsam zog sic die Hand vom
Gesicht, ihr thrünenumflortcs Auge flehentlich auf ihn richtend,
und mit matter, schmerzlicher Stimme sprach sic: „Ich kenne
diese Räume nicht, — wo bin ich?"
Miller beeilte sich, zu erklären: „Ich bin hier ein Fremder
und bewohne die Zimmer des Hauptmanns Mallik, wahr-
scheinlich Ihres Nachbarn; mein Fenster stand offen und Sic
kamen über das Gesimse herein."
„Entsetzlich!" entgegnete sie mit kaum hörbarer Stimme,
»man ließ mich unbewacht, ich wohne nebenan bei meiner Tante;
kutte, holen Sie sie herüber und schließen Sie das Fenster!"
Müller rief: „Ich eile. Alles, wie Sie befehlen, soll
geschehen!" und schnell that er auch, wie sie es gewünscht. —
Als er an der Thüre war, um sich zu entfernen, sah er sich
besorgt um nach ihr; da begegnete er ihrem Blick, der ihm
ein schmerzliches Lebewohl zu sagen schien. Schnell stürzte er
hin zu ihr, faßte ihre Hand, drückte sie zärtlich an seine Lippen
und rief: „Darf ich.Sie Wiedersehen?!"
Sie entzog ihm ihre Rechte nicht, aber mit der Linken
bedeckte sie schweigend ihre Augen.
Müller drückte noch einen Kuß auf ihre Hand und rief:
„Ich verstehe! nicht jetzt!" Dann eilte er hinaus. — Die
Straße war still und menschenleer, er suchte nicht erst und lief
z» dem anstoßenden letzten Hanse der Straße, er pochte an, daß
das Echo durch die ruhige Nacht schallte, und es rührte sich
Niemand; aber der in dieser Stadt ungebührliche Lärm lockte
den Nachtwächter herbei, um den Ruhestörer zurecht zu weisen.
Mit vorgehaltenem Spieß trat er gravitätisch langsam gewohnten
Schrittes auf ihn zu, damit der Jnknlpat auch Zeit hätte,
davon zu laufen. Aber der lief nicht davon, sondern lärmte
noch mehr und zeigte gar keinen Respekt vor der nächtlichen
Obrigkeit. — Im Gegentheil, Müller rief ihr noch zu: „Was
steh'n Sie denn da mit Ihrem dummen Spieß? Helfen Sie mir!"
Jetzt erkannte der Nachtwächter seinen ehemaligen Bett-
kompagnon und sagte: „Zum Teufel! Herr Müller, was
treiben Sie denn da in der Nacht, Sie wohnen ja daneben
beim Hauptmann. Gehen S' endlich schlafen!"
„Ich muß hier hinein!" schrie Müller, „wer wohnt hier?"
„Das geht Ihnen nichts an," antwortete der Nachtwächter,
„gehen S' schlafen!"
Müller pochte fort und schrie: „Ich muß die Leute wecken,
ein Unglück ist geschehen!"
„Was, Unglück, ich Hab' die ganze Nacht nichts bemerkt,
Sie haben einen Rausch! gehen S' schlafen."
„Ich glaube, die Leute schlafen auf beiden Ohren!"
„Das Lärmen dahier nützt Ihnen nichts, gehen S' schlafen !"
„Es wird schon nützen!"
„Nichts, gar nichts! Da vorn ist Niemand, die Leute
schlafen alle rückwärts. Gehen S' lieber schlafen."
Müller war nun rasch entschlossen, er riß dem Nachtwächter
den Spieß aus der Hand und sagte: „Gut, so muß ich durch's
Fenster hinein!" und stieß das Fenster ein, daß die Scherben
mit snmmt deni Fenstcrkrenz klirrend auseinander flogen, schwang
sich hinauf und stand im Augenblick im ebenerdigen Zimmer.
Der Nachtwächter war entsetzt und rief: „Mein Spieß!
Na warten S'! Das hätt' ich von Ihnen nicht geglaubt! Ein-
brechen in der Nacht! Und noch dazu mit solchem Lärm!
Aber ich krieg Ihnen schon!" —
Unter diesen Ausrufungen kroch er ihm mühselig nach;
als er aber im Zimmer sich befand, war Müller durch die
Thüre schon hinausgctappt und stand in der finstern Hausflur.
(Fortsetzung folgt.)
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Wohn im gsnoth.
im nächsten Augenblicke schwebte sie über eine Sessellehne ans
den nahe stehenden Tisch, von da herunter auf einen andern
Stuhl und gleich darauf stand sie auf dem Fußboden. — Als
Müller sah, daß ihr keine Gefahr mehr drohte, war sein Ent-
schluß gefaßt, sie zu wecken. Er war ans dem Bette gesprungen,
hatte sich schnell angeklcidct, ging ans sie zu, und faßte sie sanft
bei der Hand. Er fühlte ein leises Zucken, sie schlug die Augen
auf, ihr Blick traf ihn wie ein Blitz, — bald hätte er selbst einer
Stütze bedurft, diese großen, schwarzen, glänzenden Angen durch-
bohrten ihn, — eine glühende Röthe überflog ihr noch kurz vorher
so bleiches Gesicht, Schrecken, Zorn, Scham, Angst und Ver-
zweiflung malte sich in ihren Zügen, ein tiefes Stöhnen entrang
sich ihrer wogenden Brust - und ohnmächtig sank sie in seine
Arme. Er sah und fühlte in diesem Augenblicke nicht die Reize
des schönen, zarten Körpers, wie ein Heiligthnm trug er die
süße Last auf sein Bett und deckte sie bis an den Hals zu.
Auf seinem Waschtische stand eine Flasche reines Wasser, er
netzte ein Tuch damit, eilte wieder zu ihr und bestrich ihr
Stirne, Angen und Schläfe damit; eine Mutter hatte mit
ihrem Kinde nicht zarter umgehen können. Müller war trotz seines
Leichtsinnes ein Mensch von unverdorbenen Sitten, deßhalb war
ihm die Ohnmächtige die Erscheinung eines Engels, dessen göttliche
Reinheit er unwillkürlich fühlte, dessen Erwachen er ersehnte und
fürchtete. --- Ja fürchtete! Er machte sich Vorwürfe über ihre
Situation, die er zwar nicht selbst geschaffen, bei der er aber
mitgewirkt, und er hätte gerne ihr gegenüber das Bewußtsein
gehabt, daß er sich dabei nntadelhaft benommen; darüber war
er sich nicht klar. — Das waren nicht geordnete Gedanken
oder Worte, die er sich sagte, nein, das waren nur seine
innersten Empfindungen, welche stürmisch eine die andere ver-
drängten.
Endlich gelang es seinen Bemühungen, sie zu sich zu
bringen, sie schlug die Augen auf, — ein schmerzlicher Seufzer
entrang sich ihrer Brust, sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden
Händen und rief: „Ach diese unglückselige Krankheit!" darauf
verfiel sic in ein heftiges Weinen.
Müller stand wie vernichtet vor ihr, mit aufgehobenen
Händen bat er sic, sich zu beruhigen. „Verzeihen Sie mir,"
rief er ihr zu, „befehlen Sie über mich! Sie sind in keine
schlechten Hände gerathen! Ich that, was ich glaubte, thnn
zu müssen! Wo ist Ihre Mutter, ich bringe sie hierher, sie
wird Ihnen bcistchen, und ich will mich für immer entfernen!"
Sie hörte auf zu weinen, langsam zog sic die Hand vom
Gesicht, ihr thrünenumflortcs Auge flehentlich auf ihn richtend,
und mit matter, schmerzlicher Stimme sprach sic: „Ich kenne
diese Räume nicht, — wo bin ich?"
Miller beeilte sich, zu erklären: „Ich bin hier ein Fremder
und bewohne die Zimmer des Hauptmanns Mallik, wahr-
scheinlich Ihres Nachbarn; mein Fenster stand offen und Sic
kamen über das Gesimse herein."
„Entsetzlich!" entgegnete sie mit kaum hörbarer Stimme,
»man ließ mich unbewacht, ich wohne nebenan bei meiner Tante;
kutte, holen Sie sie herüber und schließen Sie das Fenster!"
Müller rief: „Ich eile. Alles, wie Sie befehlen, soll
geschehen!" und schnell that er auch, wie sie es gewünscht. —
Als er an der Thüre war, um sich zu entfernen, sah er sich
besorgt um nach ihr; da begegnete er ihrem Blick, der ihm
ein schmerzliches Lebewohl zu sagen schien. Schnell stürzte er
hin zu ihr, faßte ihre Hand, drückte sie zärtlich an seine Lippen
und rief: „Darf ich.Sie Wiedersehen?!"
Sie entzog ihm ihre Rechte nicht, aber mit der Linken
bedeckte sie schweigend ihre Augen.
Müller drückte noch einen Kuß auf ihre Hand und rief:
„Ich verstehe! nicht jetzt!" Dann eilte er hinaus. — Die
Straße war still und menschenleer, er suchte nicht erst und lief
z» dem anstoßenden letzten Hanse der Straße, er pochte an, daß
das Echo durch die ruhige Nacht schallte, und es rührte sich
Niemand; aber der in dieser Stadt ungebührliche Lärm lockte
den Nachtwächter herbei, um den Ruhestörer zurecht zu weisen.
Mit vorgehaltenem Spieß trat er gravitätisch langsam gewohnten
Schrittes auf ihn zu, damit der Jnknlpat auch Zeit hätte,
davon zu laufen. Aber der lief nicht davon, sondern lärmte
noch mehr und zeigte gar keinen Respekt vor der nächtlichen
Obrigkeit. — Im Gegentheil, Müller rief ihr noch zu: „Was
steh'n Sie denn da mit Ihrem dummen Spieß? Helfen Sie mir!"
Jetzt erkannte der Nachtwächter seinen ehemaligen Bett-
kompagnon und sagte: „Zum Teufel! Herr Müller, was
treiben Sie denn da in der Nacht, Sie wohnen ja daneben
beim Hauptmann. Gehen S' endlich schlafen!"
„Ich muß hier hinein!" schrie Müller, „wer wohnt hier?"
„Das geht Ihnen nichts an," antwortete der Nachtwächter,
„gehen S' schlafen!"
Müller pochte fort und schrie: „Ich muß die Leute wecken,
ein Unglück ist geschehen!"
„Was, Unglück, ich Hab' die ganze Nacht nichts bemerkt,
Sie haben einen Rausch! gehen S' schlafen."
„Ich glaube, die Leute schlafen auf beiden Ohren!"
„Das Lärmen dahier nützt Ihnen nichts, gehen S' schlafen !"
„Es wird schon nützen!"
„Nichts, gar nichts! Da vorn ist Niemand, die Leute
schlafen alle rückwärts. Gehen S' lieber schlafen."
Müller war nun rasch entschlossen, er riß dem Nachtwächter
den Spieß aus der Hand und sagte: „Gut, so muß ich durch's
Fenster hinein!" und stieß das Fenster ein, daß die Scherben
mit snmmt deni Fenstcrkrenz klirrend auseinander flogen, schwang
sich hinauf und stand im Augenblick im ebenerdigen Zimmer.
Der Nachtwächter war entsetzt und rief: „Mein Spieß!
Na warten S'! Das hätt' ich von Ihnen nicht geglaubt! Ein-
brechen in der Nacht! Und noch dazu mit solchem Lärm!
Aber ich krieg Ihnen schon!" —
Unter diesen Ausrufungen kroch er ihm mühselig nach;
als er aber im Zimmer sich befand, war Müller durch die
Thüre schon hinausgctappt und stand in der finstern Hausflur.
(Fortsetzung folgt.)
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