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Fliegende Blätter — 60.1874 (Nr. 1485-1510)

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Nr. 1500
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https://doi.org/10.11588/diglit.4935#0127
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Ein moderner Heirathskandidat. 123

besaß unter den Gegenständen, welche ihm seine ehrsame Mutter
hinterlassen, einen alten blauen Rock, ein großes graues Umhäng-
tuch und eine jener Brillen, die das halbe Gesicht verdecken,
ber Nase aber Laute entlocken, die man auch „Schnöseln" nennt.
Besagter Gegenstände bediente sich Isidor Heulmeier, indem er
sich verkleidet jeden Abend auf das Postbureau begab um die
Liebesgaben seiner Schönen in Empfang zu nehmen.

Der Postbeamte, ein alter mürrischer Bär, war zu gries-
grämig, sich um den Schalk zu kümmern, der da täglich seine
Beute holen kam, und das lauernde Weibervolk, das hier und
da an der Straßenecke nach der Persönlichkeit guckte, die ein
wohlbekanntes Päckchen forttragen sollte, wagte sich nicht an die
häßliche Alte mit der großen Brille, die, wie cs schien, auch
uoch stocktaub war.

So schwelgte denn Isidor durch drei Wochen hindurch in
einem Meer von Leckerbissen aller Art, bis er auf den Culmi-
uatiouspunkt des Genusses gekommen, von welchem er schwindelnd
i» den Abgrund der Uebersättigung stürzte. Isidor Heulmeier'n
wurde plötzlich schlecht, sehr schlecht, mit Ekel wies er die letzt-
geholtcn Pallete, wie ihren süßen Inhalt von sich, um einige
jener bitteren Kügelchen zu nehmen, die den inneren Menschen
in restauriren im Stande sein sollen; gleichzeitig auch suchte
er sein Lager auf, und blieb auf selbem liegen, einen Tag
um den andern, bis zur heiligen Sylvesterfeier.

Da endlich hatte seine gute Natur den Sieg davongctragen;
neues Leben pnlsirte in Isidor Heulmeier's Adern und ein
furchtbarer Drang, die leeren Räume seines Magens auszufüllen,
machte sich in seinem Innern geltend. Aber — o Schrecken!
Isidor Heulmeier's Geldmittel waren erschöpft, die Tage der
Krankheit hatten ja an Medikamenten aufgezehrt, was er sonst
bcr Garküche zuzuführen Pflegte und seine Gage konnte er erst
um nächsten Tage erheben.

„Die Post!" fiel es zündend in seinen Gehirnkasten, als
er eben vom Lager ausgestanden war, um sich anzukleiden.
Gleichzeitig aber wurde Isidor bleich wie der Tod, die Hände
Uor's Gesicht schlagend fiel er zurück in seines Lagers Kissen
und schaudernd flüsterte er: „Also wieder Mehlspeisen — ?
Herrgott, mir graut vor ihnen!"

Der knurrende Magen aber ließ sich nicht so leicht beruhi-
gen und quälte und zwickte seinen armen Besitzer, bis dieser
energisch cmporsprang, den Hut ergriff und nach dem Post-
gebäudc lief. Diesmal hatte er vergessen, seine Maske anzu-
legcu; es war aber auch kein Wciblcin da, ihm aufzulauern,
denn am Tage der Sylvesterfeicr hatte Jedes daheim zu thun
und der Postbeamte hatte einen Gehülfen und Beide waren
so vollauf beschäftigt, daß sie Isidor Heulmeier dessen Packete
hinschobcn und ihn kurzweg gehen hießen.

Besagte Pallete waren alle ziemlich leicht an Gewicht, bis
N"f eines, das in ordinäres Löschpapier gebunden, ein Gefäß
«ns Thon zu enthalten schien. Heulmeier rannte mit seiner
Ladung wie besessen heim, machte schnell Feuer in dem kleinen
eisernen Ofen seines Stübchens und ging daran, die Packete
Sn öffnen. Wieder waren es Leckerbissen der verschiedensten Art,
die ihm geboten wurden, Süßigkeiten und immer wieder Süßig-

keiten. Mit Abscheu schob der Jüngling Strudel und Torten,

Kuchen und Waffeln von sich, sein übersättigter Gaumen wollte
nichts mehr wissen von dein einst so heiß Begehrten. Wieder
aber knurrte der rebellische Magen Heulmeier's und bäumte
und drohte, sich zu wenden. Da griff Isidor nach dem letzten
Packete, dem schweren, legte seine große Hand auf dasselbe und
flüsterte mit schmerzlichem Blick nach Oben:

„Was immer auch du enthalten magst, du sollst das
Thier in meinem Innern zum Schweigen bringen!"

Und resignirt riß er das Löschpapier entzwei: Ein schwarzer
alter Topf ward sichtbar, aus welchem gar merkwürdige Düfte
sich langsam cntlvickclten.

Nichts von Vanille oder Orangen, von Zimmt oder Nelken
war da herauszufinden, auch nicht das Liebliche von Himbecren-
oder Aprikosenmarmelade, dagegen zog es säuerlich zu den Gc-
ruchsnerven Heulmeier's empor und wie zartes Wehen von einer
Knoblanchknospe. Isidor Heulmeier's Augen begannen zu funkeln,
die Adern an seiner Stirne schwollen mächtig an und das Ge- !

säße jubelnd an die Nase führend schrie er: „Sauerkraut mit
Leberknödel — — Herrgott, ich lobe Dich!"

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein moderner Heirathskandidat oder Eine Heirath auf dem Weg der Mehlspeisen"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Nahrungsaufnahme
Ekel
Fund
Lediger
Topf
Gunstbeweis
Brille <Motiv>
Freude <Motiv>
Tisch <Motiv>
Knödel
Übelkeit
Sauerkraut
Übersättigung
Schüssel
süß
Karikatur
Mehlspeise
Sitzen <Motiv>
Postsendung
Taschentuch <Motiv>
Satirische Zeitschrift

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Fliegende Blätter, 60.1874, Nr. 1500, S. 123

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