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Rentier Bunkel

freuen wollte, mit Hilfe der magern Klepper des Botenfuhr-
manns zur Residenz zu pilgern. Dort waren zwei Größen,
welche ihn über Alles anzogen und denen zu Liebe er sicher
ganz nach der Hauptstadt gezogen wäre, wenn er nur Jemand
gefunden, der ihm Haus und Feld nach seiner Schätzung ab-
gekauft hätte.

Oskar Freund, der unübertreffliche erste Liebhaber, war
das Ideal aller Frauen und ihr vergötterter Liebling, während
die Männerwelt für den Komiker Ratterius schwärmte, obschon
sich die Meisten keine Rechenschaft darüber zu geben wußten,
weßhalb. Vielleicht geschah es nur des Gegengewichts halber.
Privatus Bunkel wußte allerdings, weßhalb er ihn hochschätzte.
Seiner kleinbürgerlichen Auffassungsgabe sagte die Posse im
Ganzen mehr zu. Warum sollte auch die Dekorationspracht und
der seine unnachahmbare Witz in „Robert und Bertram", „Flick
und Flock", „Alladins Wunderlampe" nicht mehr anmuthen,
als die hochgeschraubte Sprache der höheren Schauspielkunst?
War doch selbst in der Residenz, wenn „Flick und Flock" auf
dem Repertoir stand, das Theater schon am Tage vorher voll-
ständig ausverkauft, während in den sogenannten klassischen Stücken
nur das Auftreten des großen Damenlieblings die Plätze füllte.

Seit Privatus Bunkel „Flick und Flock" gesehen, war er
davon so berauscht worden, daß er in Jahresfrist wenigstens
zehnmal die beschwerliche Reise nach der Residenz unternahm, um
den Vorstellungen dieses Spektakelstückes beizuwohnen, und sein
höchster Wunsch war cs von da an, die persönliche Bekanntschaft
des Schusterhelden zu machen.

Wer nicht wagt, gewinnt nicht, dachte der Tippelswalder
Krösus und bestellte seinen Platz beim Fuhrmann. Glücklich
kam er in der Residenz an. Die Vorstellung nahm ihren ge-
wöhnlichen geräuschvollen Verlauf. Kaum war der Vorhang
zum Letztenmale gefallen, so war Rentier Bunkel diesmal schon
auf der Treppe und in wenigen Minuten außerhalb des Hauses.
Er hatte sich, um seinen Zweck nicht zu verfehlen, einen eignen
Feldzugsplan ausgedacht, der einfach darin bestand, an der Thürc
zu warten, durch welche die Schauspieler das Haus verließen,
und dem Gesuchten dann insgeheim zu folgen. Ob er ihn, den
er bis dahin nur im Costüm gesehen, wieder erkennen würde,
das fiel ihm jetzt schwer auf's Herz. Bunkcls Geduld ward
freilich auf eine um so härtere Probe gestellt, als der Regen
das Pflaster peitschte und der gerade den Theatcrplatz sehr heftig
bestreichende Wind es unmöglich machte, sich durch den Schirm
zu schützen. Minute um Minute verrann; es hatte dreiviertel
auf Zehn geschlagen, es schlug Zehn vom nahen Schloßthurm;
in der Nähe und Ferne hörte er das Horn des Wächters, cs
erschien Niemand; endlich öffnete sich die Thür für eine Anzahl
von Balleteusen und untergeordneten Mitwirkcnden; ihr folgte ein
Strom von jungen und älteren Frauen und Herren, alle bemüht,
so rasch als möglich über den zugigen Platz zu kommen. Wie
leicht konnte nicht der Erwartete unter ihnen sein. Er mischte
sich unter die Menge und begleitete sie eine Strecke; er fand
nicht, was er suchte und kehrte immer wieder an seinen Beob-
achtungsposten zurück. Da faßte sich endlich der Tippelswalder
ein Herz und redete den nächsten Besten an, ob der Herr Hof-

von Tippelswald.

schauspieler Ratterius bereits das Theater verlassen habe. Der
Angeredete konnte ein leichtes Lachen über den stotternden Frager
nicht unterdrücken, aber er bcschied ihn, daß derselbe schon fort
sein müsse, daß er ihn aber sicher in längstens einer halben
Stunde in Gehmayers Bierstube treffen werde.

„Be —be—besten Dank!" stammelte der glückliche Bunkel
und eilte seelenvergnügt spornstreichs über den Platz.

Nur mit Mühe war es ihm gelungen, in der stark be-
suchten Halle einen Platz zu bekommen, von dem ans er die
Eintretenden beobachten konnte. Menschen kamen und gingen,
im Bienenkörbe konnte es nicht lebhafter sein; daher war des
Rentiers Aufgabe auch hier keine leichte, und in seiner Acht-
losigkeit für alles Andere war er nahe daran, das Glas seines
Nachbars auszutrinken, wenn dieser ihm nicht energisch in den
Arm gefallen wäre. So unangenehm der Mißgriff war, so
brachte er doch das Gute mit sich, daß Bunkel diesem seinem
Nachbar sein Herz erschloß und dadurch Jemand zum Mitbeistand
gewann, der den Schauspieler gut genug kannte, um ihn bei
seinem Eintritte bezeichnen zu können.

„Da kommt er!" flüsterte der alte Herr und stieß Bunkel
in nicht mißzuverstehender Weise in die Seite.

In dem Ankömmling hätte unser Tippelswalder den bc-
rühnrten Bühnenhelden nimmer errathen. Man hätte ihn eben
so leicht in der That für das halten können, was er an diesem
Abend vorgestellt, für einen Schuster. Nachdem Ratterius seinen
Blick über die zahlreiche Versammlung hatte schweifen lassen,
musterte er die äußersten Ecken und da wirklich in einer derselbe»
noch ein unbesetzter Stuhl war, wendete er sich sofort nach dieser
Richtung und nahm von ihm Besitz.

Für Privatus Bunkel ward es nun Lebensaufgabe, in die
unmittelbare Nachbarschaft des gefeierten Mimen zu gelangen,
und die Aussicht ans ein gutes Trinkgeld brachte die bicrschcnkende
Hebe dahin, ihm dieselbe zu sichern. Wie der Geier auf seine
Beute, stürzte der Tippelswalder nach dem freigewordenen Platze.
Ratterius, der bis dahin schweigend und scheinbar in sich ver-
sunken vor seinem Glase gesessen, blickte bei dem jähen Einfall
scharf ans und musterte den Mann; den devoten Gruß desselben
erwiderte er mit einem flüchtigen Nicken des Kopfes.

„A—ach, i—ist das hei—hei—heiß hier!" begann er die
langersehnte Unterhaltung.

Der Angeredete antwortete nicht.

„Da —da—das Bier i—i—ist heu—heute gut!" fnhe
Bunkel fort, ohne wieder eine Antwort zu erreichen.

„We—wenn wi—wir doch in Ti—ti—tippelswa—wald
auch solchen Sto —stoff hätten!"

Der Mime schwieg noch immer. Der Rentier fühlte sich
dadurch keineswegs beleidigt, — er saß ja einem Manne gegenüber,
von dem er bereits gehört hatte, daß er sich nicht so leicht i»
ein Gespräch einließ. Wovon sollte er aber weiter sprechen?
Seine Bemerkungen waren bisher allgemein gewesen, er mußte
direkt ans sein Ziel losgehen. Sein Nachbar rauchte.

„Fa— fa — famose Ci—cigarrc, die Sic rau—rauchen!"

Bunkel sagte dies auf's Gcrathewohl, er durfte ja über-
zeugt sein, daß ein Mann mit so bedeutender Gage keine
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