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106

106 Er bringt s

Der Metzger warf' ihm einen bissigen Blick zu, denn wieder
war es die verdammte „vorsichtige" Art des Schmiedes, welche
ihn, wie immer, auch bei der Bürgcrmeisterwahl, aus dem Felde
schlug. Der Metzger wollte eben die Schärfe seines Blickes
durch ein schneidiges Wort unterstützen, als ihm das Maul
sprachlos offen stehen blieb.

Nachdem ein kleiner, eben so breitschulteriger als lächerlich
kurzfüßiger, dickbauchiger alter Diener in grauer Livree vom Bocke
gesprungen war, und die runde steife Ledcrkappc früher ehrer-
bietig abgenommen hatte, ehe er den Wagenschlag öffnete, stieg
ein mindestens sechseinhalb Schuh langer, magerer und furcht-
bar finster d'reinsehender Herr aus, dem ein ungeheuerlich
großer grauer Schnurbart die eingefallenen, fahlen Wangen
umsäumte, und lange Stahlsporen an den hohen Stiefeln
> klirrten. Es war eine so sonderbare und eigenthümlich markirte
! Erscheinung, daß dieselbe auch in einer Großstadt wenigstens
! vorübergehende Aufmerksamkeit erregen mußte. Wie erst in
Grüneck! Die Leute waren starr vor Erstaunen, wozu der
Kontrast zwischen Diener und Herrn nicht wenig beigetragen
haben mochte. Aber die Sache sollte, noch merkwürdiger kommen.

Hinter dem langen Herrn stieg noch eine zweite Person
aus, und zwar weiblichen Geschlechtes, was wir sogleich hinzu-
fügen müssen, denn als sie den Fuß aus dem Wagen aus den
Tritt setzte, sah man ihn mit einem Münnersticfcl bekleidet, an
dem ein Paar von den Grüneckern sogar ebenfalls .Sporen
bemerkt haben wollten. Bald aber rauschte schwarze Seide über
den Stiefel, und cs zeigte sich, daß er zur Reiscausrüstking einer
— Dame gehörte.

Es war eine dicke, kleine Frau von jenem zweifelhaften !
| Alter, das zwischen vierzig und fünfzig Jahren irre zu führen
pflegt. Sie hatte ein wahres Vollmondsgeficht, und die rothen
| Backen sahen wie geschminkt aus, obgleich sie es in der Thal
nicht waren. Auf ihre» Armen trug sie einen dicken Bolognescrhund,
von dem es sich später zeigte, daß er nur getragen durch die
Welt kommen konnte, denn das arme alte, offenbar überfütterte
Thier war an den Füßen gelähmt.

Endlich kam der Posthalter znm Vorschein. Er ward
dadurch länger als ihm lieb war, abgehalte», die unerwarteten
Passagiere gebührend zu empfangen, daß er. statt seines gänzlich
aus der Mode gekommenen schwarzen Sonntagrockes immer nur
| wieder eine seiner drei abgelegten schäbigen Hausjacken cr-
! wischte. Mit einem tiesen Bückling begrüßte er die Angekommenen.

Der lange Herr zog einen Brief aus der Brusttasche und
j übergab ihn dem Posthalter und Krämer.

Dieser sah, daß das Schreiben an ihn gerichtet und mit
J dem gräflich Neuthal'schen Wappen petschirt war, und hielt sich
für verpflichtet, auch vor diesem Briefe eine ehrerbietige Kopf-
neigung zu machen. Er öffnete das Schreiben und las:

„Lieber Mengfuttcr!

Mein Herr Graf beauftragt mich. Sie hiemit zu ver-
ständigen, daß von heute an das gräfliche Schlößchen Waldruh
in den Besitz des Herrn Barons Caspar von Senftencgg,
Pens. kgl. Majors, übcrgegangc». Sic werden daher die

seine Fra».

Schlüssel zu besagtem Schlößchen dem Herrn Major einhändigen,
sobald derselbe es verlangt.

Ihr ergebener Wnks,

gräfl. Neuthal'scher Sekretär.
Schloß Mauersheim, am ... .

Erst glaubte Mengfutter, seinen Augen nicht trauen zu
dürfen, denn er las das Schreiben dreimal durch, wobei er sich
immer wieder die. Zwickbrille säuberte, dann wußte er sich nicht
anders zu Helsen, als daß er vor dem Schreiben hochachtungs-
voll den Kopf neigte. Hierauf wandte er sich zu dem langen
Herrn: „Habe ich vielleicht die Ehre, Se. Hochwohlgeborcn,
den Herrn Major und Baron Senftencgg ..."

„Ja, bin's. Machen Sie die Sache kurz!" unterbrach
ihn der Gefragte in so militärischer Weise, daß Mengfutter um
so mehr seine Fassung verlor, als er eben im Zuge war, den
im Hintergründe lauernden Größen Grünecks zu zeigen, wie er
mit hohen Herren umzngehen wisse.

„Kurz!" . . . stotterte er . . . „Also nur die . . Schlüssel?"

„Nur die Schlüssel! Und zeigen Sie, wo das Eulenncst
eigentlich ist!" sagte oder vielmehr brummte der Major.

„Da drüben hinter dem Baumgang sieht eines von den
vier Thürmchcn hervor," erwiderte etwas pikirt Mengfntter.
„Wünschen vielleicht indeß Ihre Sachen in's Hütel ..."

„Dummes Zeug!" unterbrach ihn schon wieder der Fremde,
wobei er mit seiner Dame und dem Diener hinter sich auf das
eiserne Gitter losschritt, tvclchcs den Park, in dem „Waldruh"
verborgen lag, verschloß.

„Die Schlüssel!" wandte er sich ungeduldig nach Mcngsutter.

„Ich erlaube mir zu bemerken," wagte cs der Eingcschüchtcrte,
„daß das Schloß seit Jahr und Tag kein menschlicher Fuß be-
treten ..."

„Die Schlüssel!!" donnerte jetzt mit anfgezogcncn Augen- .
brauen der Major so entscheidend, daß selbst sein Diener ;
zusammcnfuhr, und die ausgestrcckten Finger an de» Kappen-
schirm legte.

„So —gleich!" stieß Mengfuttcr heraus. „Ich trage sic ja
nicht bei mir, weil sic dazu viel zu — groß wären" . - •

„Also holen!" fertigte ihn der Major ab, indem er sich
mit seinem Rücken an das Gitter lehnte.

Während sich Mengfuttcr nach seinem Hause wandte, n»>
die Schlüssel zu bringen, murmelte er ziemlich hörbar in sehe
ängstlichem Tone: „Wenn ich sic nur finde! Das wäre jetzt
eine saubere Wüsche!"

Während nun Mengfuttcr sich selbst wahre moralische
Folterqualen anthat, bis ihm die Schlüssel in die Hand fielen,
musterte der Major die ihn in einiger Entfernung anstarrcndcn
Bürger und Bürgerinnen Grünecks.

Wenn es wahr ist, daß Leute, denen cs an einem guten !
Gewissen mangelt, keinen scharfen Blick aushaltcn, so mußten
die Grünecker geradezu eine Bande von Verbrechern sein, denn j
kaum fühlten sie des Majors stechendes Auge, als sie sänimtlich
plötzlich überall hin, nur nicht nach dem Major sahen. Ja, b<c |
Gewalt dieses Blickes war so groß, daß die Herren und Damen j
von Grüneck sogar zur Erkenntniß gekommen schienen, der ganze ,
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