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Eine Virtuosin.

er Hulda, ihren Familiennamen, der an ein knusperiges Gebäck
erinnerte, zu latinisiren und den prosaischen Bretzel in ein
poetisches Bretzelius zu verwandeln. Bald las man in allen
deutschen Blättern von dem außerordentlichen Talente der Violin-
virtuosin und von deren an's Wunderbare grenzenden Lebens-
gange. Grünspecht hatte nämlich eine Biographie Hulda's er-
dichtet. In dieser Biographie hieß es, daß Hulda bereits in
ihrem fünften Jahre die Violine gespielt, ohne noch eine Note
lesen zu können, daß sie später durch Selbstunterricht cs auf
dem schweren Instrumente zu einer großen Meisterschaft gebracht
und daß sie nach kaum zurückgelegtem achten Jahre bereits ihre
Eltern ernährt.

Nichts ist schwerer, als die Menge von den einfachsten
Wahrheiten zu überzeugen; nichts aber ist leichter, als derselben
die unglaublichsten Dinge aufzubinden. Auf dem Markte des
Lebens versperrt der Charlatanismus dem besonnenen Urtheil
immer den Weg und behauptet den Platz. Grünspecht wußte
dies recht gut und log frisch darauf los. Dann ließ er auch
in die Journale setzen, was das Journal des Dcbats, die
Times und andere französische und englische Blätter über Hulda's
außerordentliches Talent gesagt, obgleich die französischen und
englischen Blätter von Hulda nicht mehr wußte», als der Teufel
vom Katechismus.

Noch ehe die Virtuosin sich in einer Stadt hören ließ,
wurde ihr lithographirtes, höchst idealisirtes Porträt in den
Schaufenstern aller Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen aus-
gehängt und auf diese Weise die Neugierde des Publikums er-
weckt. Dies Alles genügte jedoch dem unermüdlichen Grünspecht
noch nicht. Nachdem er der Virtuosin eine Biographie angcdichtet,
theilte er dem Publikum unaufhörlich allerlei Abenteuer mit, die
sic auf ihrer Kunstreise erlebt haben sollte. Bald war in ihrem
Zimmer eine Feuersbrunst ausgebrochen und sie hatte nur durch
ein Wunder dem Flammentod entgehen können. Bald war es
das entgegengesetzte Element, das die bewunderte Künstlerin zu
verschlingen gedroht, indem nämlich der Kahn, der sie und ihr
Glück trug, durch einen heftigen Windstoß umgcschlagen. Nach
diesen und ähnlichen Mittheilungcn fanden sich in den Blättern
lyrische Ergüsse über ihre Lebcnsrettung. Aber nicht nur die
Künstlerin selbst, sondern auch ihre Violine wurde von dem nie
rastenden Grünspecht zur Heldin nierkwürdigcr Erlebnisse ge-
macht. Ihm zufolge war die Violine ein ächter Stradivarius,
dem seit hundertundfünfzig Jahren von den unsterblichsten
Künstlerhänden die herzergreifendsten Töne entlockt worden. Wie
Homer alle Eigenthümer des Sccptcrs aufzählte, bevor dieser in
den Besitz Agamemnons gelangt war, so zählte Grünspecht alle
früheren Besitzer des besagten Instrumentes auf, siebzehn an der
Zahl und unter ihnen Haydn, Mozart und Beethoven. Alle
Blätter druckten den Lebenslauf dieser Geige nach, und das
Publikum hegte nicht den geringsten Zweifel an der Wahr-
haftigkeit des Grünspecht'schen Phnntasiegebildes.

Aber auch dabei ließ er es noch nicht bewenden. Er
gönnte dem Publikum keine Ruhe und zwang dasselbe, sich un-
ausgesetzt mit Hulda zu beschäftigen. Bald las man von Duellen,
welche das Genie Hulda's wider ihren Willen veranlaßt hatte.

bald von Geschenken, von kostbaren, mit Brillanten reich ver-
zierten Armspangen und Ketten, von diamantenen Ringen und
Ohrringen, die ihr von Fürsten und Fürstinnen, von Prinzen und
Prinzessinnen verehrt worden. Ja, man las sogar, daß sie die
herrlichsten Geschenke abgelehnt, weil sie bei deren Gebern ge-
wisse Absichten vermuthcte, die ihr weibliches Zartgefühl ver-
wundeten.

Grünspecht hatte eine Claque ganz eigenthümlicher Art
organisirt. Dieselbe war im Salon, in welchem Hulda sich
hören ließ, sporadisch vcrtheilt und vortrefflich einstudirt. Einige
hielten sich dicht an der Estrade, Andere unter den Damen,
wiederum Andere am Eingang und gaben bei passender Gelegen-
heit ihre Begeisterung auf die verschiedenste Weise kund. Der
Eine wollte während des Spiels vor Entzücken die Hände zu-
sammenschlagen, schien sich aber mit der äußersten Gewalt zu-
rückzuhaltcn und platzte erst bei der nächsten Pause heraus. Ein
Zweiter murmelte fortwährend vor sich hin: „Trefflich!"
„Unvergleichlich!" Ein Dritter wiegte beständig wonne-
schmunzelnd den Kopf von einer Schulter zur andern. Alle
miteinander aber schrieen, klatschten, trampelten nach jeder be-
endigten Leistung und vollendeten den Triumph.

In Folge der Anstrengungen Grünspechts war die Kunst-
reise Hulda's höchst ergiebig. Frau Bretzel hatte noch niemals
so viel Geld beisammen gesehen und wurde dadurch zu ansehn-
lichen Ausgaben hingerissen. Sie ließ sich ein vollständiges
Gebiß einsetzen, das sie fortwährend so sehr zur Schau trug,
als wollte sie dem Zahnarzt eine Rcclamc machen. Sic trug
seidene Kleider, die ihr nicht an der Wiege vorgesungen worden.
Hüte mit den buntesten Blüthen und Früchten, mit Rosen,
Nelken, Kirschen und Johannisbeeren, und sie war eben im
Begriff, sich eine kostbare hellblonde Haartour anfertigcn zu
lassen, um ihre Verjüngung zu vollenden, als die Dinge eine
unerwartete Wendung nahmen.

III.

Es ist bereits gesagt worden, daß Frau Bretzel in Grün-
specht ihren Meister fand. Diese Meisterschaft, so fruchtbringend
sie sich auch zeigte, wurde der Frau nach und nach sehr pein-
lich. Sie sah sich endlich ihres Einflusses ans Hulda gänzlich
beraubt und bildete das fünfte Rad an deren Triumphwagen.
Sie überhäufte nun ihre Tochter mit Vorwürfen, beschuldigte
sie des Undanks und erklärte sich für die unglückseligste
aller Mütter. Sic erklärte auch dabei, daß ihr ein Fremder
das Herz ihrer Tochter entrissen, und ihr Haß gegen Grünspecht
wurde mit jedem Tage glühender. Zn ihrem allcrbittersten
Verdrusse sah sic, daß ihre Tochter nicht nur diesen Haß nicht
theilte, sondern im Gcgcnthcil erklärte, sie könne nur an der
Seite Grünspechts glücklich sein und sic habe ihm ihre Hand
bereits zugesagt. Frau Bretzel knirschte mit den kostspieligen
Zähnen und drohte, allein nach der Heimath zurückzukehren.
Diese Drohung schmetterte indessen die geniale Hulda nicht zu
Boden; Hulda gab vielmehr durch ein freundliches Lächeln zu
verstehen, daß eine solche Trennung ihr keineswegs das Leben
kosten würde. Die arme Frau hatte nun den letzten Trumpf
ausgespielt und mußte sich ducken. Was Grünspecht, ihren !
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