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Eine Vi

Grünspecht merkte die Absicht und ward verstimmt, was
sie noch mehr zu satyrischen Bemerkungen veranlaßte, die jedoch
Niemand als ihr Gatte verstand. Er biß die Zähne zusammen
und spielte mit dem Theelöffel, um seinen Unmuth nicht zu
verrathen.

Noch mehrere Monate vergingen auf diese Weise. Grün-
specht hatte Alles zur Erreichung seines Zweckes versucht und
sah endlich ein, daß ihm doch nur noch das einzige Mittel,
vor dessen Anwendung er so lange zurückgeschrcckt war, zur Ab-
schüttelung seines Joches übrig blieb. Er sah endlich ein, daß
in dem Kampfe mit seiner Gattin kein Sieg möglich war. Ec
warf daher wie weiland Hora; den Schild von sich und ergriff
die Flucht; und wie weiland Horaz gestand er dieselbe, zwar
nicht in Versen, doch in Prosa. Er ließ nämlich einen Brief
zurück, in welchem er seiner Gattin mittheilte, daß sie ihn nie-
mals wieder an ihrer Seite sehen würde, wo er statt der ge-

hofften Paradiescsfrcuden die furchtbarsten Höllenleiden gefunden.

Obgleich nun Hulda ihren Wunsch auf's vollkommenste
erreicht hatte, war sic doch im ersten Augenblick außer sich vor

Wuth, und sie stand schon ini Begriff, den Brief in tausend

Fetzen zu zerreißen. Sie besann sich jedoch sogleich eines Bessern
und bewahrte das Dokument sorgfältig wie eine Hundert-Pfund-
Banknote unter sicherm Verschluß. Und als sich noch an dem-
selben Tage zwei Freundinnen bei ihr einfanden, theiltc sic den-
selben seufzend, schluchzend und unter dem Siegel der Verschwie-
genheit die Entfernung des Gatten und den zurückgelassenen
Brief mit. Dabei verfehlte sie auch nicht — ebenfalls unter
dem Siegel der Verschwiegenheit — das sorgfältig bewahrte
Fragment zu zeigen, das ihr Gatte einst auf seinem Schreib-
tische hatte liegen lassen und durch welches er ihre Eifersucht
erwecken gewollt. Sie stellte sich natürlich dabei, als ob sic
von seinem sträflichen Vcrhältniß zu einer Julia auf's festeste
überzeugt wäre und hielt sich das Schnupftuch vor die Augen,
um einen Thräncnstrom vermuthen zu lassen.

Die zwei Freundinnen saßen wie auf Nadeln. Das
Siegel der Verschwiegenheit brannte auf ihren Lippen. Sie
suchten Hulda so gut wie möglich zu trösten, indem sic alle
Schalen des Zornes über den treulosen Gatten ausgossen, und
ciltcn von dannen. Auf der Straße angelangt, wandte sich die

Eine nach Osten, die Andere nach Westen, und Beide er-
zählten dann ihren Freundinnen unter dem Siegel der Ver-
schwiegenheit und mit vielerlei Ausschmückungen das Ereignis;.
Die Freundinnen im Osten und Westen, denen dasselbe unter
dem Siegel der Verschwiegenheit mitgethcilt worden, trugen es
ihrerseits, und zwar ebenfalls unter dem Siegel der Verschwie-
genheit, thcils nach Norden, thcils nach Süden, und bevor noch
die Sonne sich zu Bette legte, war das Gehcimniß so bekannt,
als ob cs Grünspecht ausgetrommelt hätte.

Wohin aber hatte sich Grünspecht vor seiner Gattin ge-
flüchtet ? Das wußte diese nicht. Sie sprengte aus, daß er
auf seiner Flucht alle durch ihre Kunst erworbenen Werthgcgen-
flände mitgenommen und sie hülflos zurückgelaffen. Sie ge-
berdete sich als ein Opfer der härtesten Grausamkeit, des
aller schwärzesten Undanks; und als sie ihre Mobilien versteigern

rtuosin. 147 '

ließ, drängten sich die Käufer herbei und bezahlten dieselben
mit hohen Preisen, um ihr die Abreise zu erleichtern.

Inzwischen war in gar manchen Häusern der Stadt ein
heftiges Donnerwetter ausgebrochen. Was nämlich Julia hieß
und noch nicht über das Schwabenalter hinaus war, ob j
verheirathet oder unverheirathet, unterlag dem Verdachte, in
Grünspecht den Romeo angebctct zu haben. Hulda nahm daher
auf ihre Reise die Verwünschungen mehrerer Dutzend Julias mit.

V.

Es war au einem mondhellen Sommerabcnd, als Frau
Hulda Grünspecht-Bretzelius in ihrer Vaterstadt anlangte und
aus dem Wage» steigend in die Arme der Frau Bretzel fiel.
Die Tochter klagte über den schwarzen Undank des Gatten; die
Mutter klagte über den schwärzer» Undank der Tochter und des
Schwiegersohnes zugleich, vor dessen abscheulichen Charakter, wie sie
mehrercmale hintereinander versicherte, sie leider vergebens geloarnt.

„Ich dachte, daß es so kommen würde!" rief sie mit
einem tiefen Seufzer und fügte daun mit einem noch ticfern !
Seufzer hinzu: „In unserer Familie haben die Frauen kein
Glück in der Ehe. Meine Mutter war das Opfer meines
Vaters; Deine Mutter ist das Opfer Deines Vaters und Du
selbst bist ein Opfer des Mannes, dem Du alles, selbst Deine
Mutter geopfert hast."

Frau Bretzel sprach dann noch viel, ohne zu seufzen,
während die Tochter seufzte, ohne zu sprechen. (Schluß folgt.)

Wahrheit und Lüge.

Von der Wahrheit nie zu weichen
Mußt du philosophisch stark sein.

Deine Seele, Noth zu tragen.

Muß erfüllt vom Heldenmark sein.

Bist du aber ach, ein Schwächling,

Mußt du mit „konventionellen"

Schirmen dich verseh'n, die Wahrheit
Nicht zu stark in's Licht zu stellen.

Nimm dabei nur sehr in Acht dich,

Daß nicht hinter dem Verstecke
Nur allein zuletzt die — Lüge
Dich begleite, dir zum Schrecke!!

Au ferst rhu ng.

Was uns in der warmen Jugend
Ganz das Herze hat erfüllt,

Wird uns ach, in heißen Tagen
Unsers Sommers dicht verhüllt!

Doch wenn wir den Berg erklommen,

Wenn cs wieder abwärts geht,

Uns im Innern, nur geklärter.

Unsrer Jugend Traum ersteht.

Jetzt erst unsre Seele jener
Tage stillen Keim begreift,

Und, daß eben das „dazwischen"

War, damit — die Blume reift! Dr. Maroth.

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