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154

Eine Virtuosin.

VI.


Der Wirth „Zur goldenen Gans" war einer der ge-
riebensten Gastwirthe in deutschen Landen. Er schien jeden
seiner Gäste als einen Freund zu betrachten und gab sich das
Ansehen, als ob er mit Hintansetzung seines eigenen Vortheils
dessen Wohl im Auge hätte. Verlangte ein Gast eine Flasche
Deidesheimer, so raunte er ihm in's Ohr: „Ich rathe Ihnen
nicht zu dem Deidesheimer. Er ist etwas herb. Ich empfehle
Ihnen vielmehr meinen Rüdesheimer. Das ist ein kostbares
Gewächs!" Der Gast war natürlich hoch erfreut über diese
Aufrichtigkeit und bestellte den Rüdesheimer. Wenn nun ein
anderer Gast den Rüdesheimer bestellen wollte, sagte er ihm
ebenfalls leise in's Ohr: „Ich rathe Ihnen.nicht zum Rüdcs-
heimer. Es ist zwar ein vortrefflicher Wein, er hat indessen
einen unangenehmen Beigeschmack. Ich empfehle Ihnen viel-
mehr den Deidesheimer. Ich Habe nichts Besseres in meinem Keller."

Der Gast, der den Deidesheimer trinken gewollt, trank
mit Vergnügen den Rüdesheimer, und der andere Gast, der
den Rüdesheimer trinken gewollt, trank mit ebensoviel Vergnügen
den Deidesheimer, obgleich der Rüdesheimer wie der Deides-
heimer weder von Deidesheim, noch von Rüdesheim stammte.

Die Bewohner der Stadt kannten die diplomatischen
Kniffe und Pfiffe des Ganswirthes sehr wohl; sie besuchten
jedoch gern seine Wirthschaft, da er ein heiterer, aufgeräumter
Mann war und durch seine Einfälle den sauer» Wein zwar nicht ver-
süßte, aber die Säuere vergessen ließ. Heute war er indessen
aufgeräumter als jemals und zwar aus Gründen, die wir so-
gleich erfahren werden.

I

Als er die Frau Bretzel anlange» sah, lief er gleich an

den Wagen und zählte die drei Koffer, die drei Hutschachteln
und die zwei Nachtsäcke nicht ohne Schmunzeln.

Er gab dann einem der Kellner den Befehl, ihr ein vor-
treffliches Zimmer mit der Aussicht auf den Dom anzuweisen
und war die Liebenswürdigkeit selbst.

Frau Bretzel betrachtete diese Liebenswürdigkeit als eine
gute Vorbedeutung, begab sich in das ihr angewiesene Zimmer
und trat nach zwei Stunden in einem himmelblauen Kleide, in
einem mit Blüthen und Früchten reich gesegneten gelbe» Hute
und mit einem grünseidenen Sonnenschirm in der Hand, heraus.

Sie knüpfte ein langes Gespräch mit dem Ganswirth an
und suchte, da sie ihm nicht den Zweck ihrer Reise mittheilen
wollte, auf tausend Umwegen etwas Genaueres über Grünspecht
zu erfahren. Endlich hatte sie seinen verhängnißvollen Namen
über die Lippen gebracht und fügte dann hinzu: „Er heißt
jetzt Specht, er nannte sich aber früher Grünspecht."

„Er ist, wenigstens in Bezug auf seinen Namen, ein
höchst ökonomischer Mann," bemerkte der Ganswirth. „Er nannte
sich bald Grün, bald Specht und zu gewissen Zeiten auch
Grünspecht. Wie man munkelt, hat er auch schon die Namen:
Walther, Wild und Roderich getragen."

„Wäre es möglich!" rief Frau Bretzel.

„Er macht cs mit seinem Namen wie mit seiner Wäsche,"
fuhr der Ganswirth fort. „Er wechselt dieselben, sobald sie
schmutzig geworden, was eben sehr schnell geschieht. Sie kenne» ihn?"

„Er ist hier Kanzleirath?" fragte Frau Bretzel.

„Gewesen!" antwortete Jener.

„Warum gewesen?"

„Der Kanzleirath ist vorgestern von hier verschwunden,"
sagte der Ganswirth mit sichtbarem Vergnügen.

Bei diesen Worten ließ Frau Bretzel den grünseidenen
Sonnenschirm zu Boden falle». Sie faßte sich jedoch schnell
und sagte dann mit erzwungener Gleichgültigkeit: „Und warum
ist er verschwunden?"

„Aus gar mancherlei Gründen," erwiderte .der Andere.
„Der Hauptgrund aber ist die Nichte des Wirlhes „zum
Karpfen". Der Karpfenwirth hat sich alle nur erdenkliche
Mühe gegeben, ihn als Stammgast bei sich zu sehen in der
Hoffnung, dadurch die Zahl seiner Gäste bedeutend zu vermehren
und mir einen Schabernack zu spielen; den» der Karpfenwirth
ist mein Feind. Und er ist mein Feind, weil sein neidisches
Herz das Gedeihen meines Etablissements nicht ertragen kann.
— Der Karpfenwirth tischte dem Kanzleirath das Beste aus,
sah auch seine Wirthschaft in allen Blättern empfohlen und
rieb sich vor Freude die Hände. Jetzt schlägt er sie vor Wuth
zusammen. Seine Nichte nämlich, seines verstorbenen Bruders
Tochter, ein Gänschen, das den lieben langen Tag mit Roman-
lcsen zubringt, ließ sich von dem Kanzleirath den Hof mache».
Dies Verhältniß wurde zum Stadtgespräch. Der Karpfenwirth
machte seiner Nichte heftige Vorstellungen und verbat sich die
ferner» Besuche des Kanzleiraths, den er sich doch so sehr in's
Haus gewünscht hatte. Kurz, das Ende vom Lied lvar, daß
vorgestern der Kanzleirath mit dem säubern Nichtchen verschwunden
und daß man ihnen bis jetzt noch nicht ans die Spur gekommen.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine Virtuosin"
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Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gepäck
Begrüßung <Motiv>
Karikatur
Frau <Motiv>
Reise <Motiv>
Mutter <Motiv>
Handgeste
Gastwirt <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 62.1875, Nr. 1556, S. 154
 
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