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186

Goldhaars N

den Finger, küßte ihn derb und innig und legte ihn dann
sorglich zwischen graues, grobes Fließpapier, das er sodann in
seiner Brusttasche verbarg.

„Leb' wohl, Gretel, behüt' Gott Dich tausendmal!" rief
herzlich, wenn auch mit unsicherer Stimme, der Franz, ein
Thränenschauer aus seinen treuen, braunen Augen überfluthete mich
und lang ehe noch der Mond hinter die Wolken zog, um dem
Tagesgrauen Platz zu machen, diente ich noch als Thränen-
schleier den lieblichen blauen Augen der Gretel, die sich schier zu
Tode grämen wollten um den Geschiedenen.

Eiskalt war's. Der Schnee schlug prasselnd an die
kleinen Fensterscheiben, der bleigrauc Himmel sah aus wie ein
ungeheuer großes Leichentuch und die schwarzen Dohlen, die
hier und dort die Luft durchzogen, mahnten an die Todtenvögel.

„Jesus, Maria!" zitterte die arme Gretel, wenn ein
dichter Schnecschauer so recht derb ans Fensterchen wirbelte, und
ängstlich blickte das arme Mädchen hinaus in die graue Land-
schaft, während ihre alte Mutter emsig in der Bibel las.

Da kam die Dorel aus der Nachbarschaft, bleich und er-
regt und brachte ein Zeitungsblatt, worin mit haarsträubender
Deutlichkeit zu lesen war, was die armen Soldaten in Frank-
reich zu leiden hätten in dem schrecklichen, dermalen wüthendcn
Kriege, an Entbehrungen, Kälte und Strapazen.

„Und Weihnachten ist vor der Thür," schrie sie, „Gretel,
Weihnachten, wir sitzen warm hier, haben Kuchen und Rauch-
fleisch und die draußen nur Roth, Elend und den nahen Tod!"

Gretel aber rang schluchzend die Hände und ich selbst
konnte nichts thun für sie, als mich innig und schmeichelnd
an ihr armes Köpfchen drücken.

Die Dorel aber war nicht umsonst gekommen.

„Gretel," sprach sie energisch, „wir müssen unseren
Liebsten was zu Weihnacht senden; ein Christgescheuk aus der
Hcimath, das wird ihnen ein ivcnig hinwcghclfe» über ihre
elendige Existenz."

„Aber wie denn?" schluchzte Gretel trostlos, „haben wir
denn einen blanken Silbergrosche» im Vermögen?"

Die Dorel sah sie lächelnd an mit ihren großen, runden
schwarzen Augen, dann löste sie ihre üppigen Flechten, daß
diese wie ein Mantel um ihre Schultern sich legten, schüttelte
ihr Prachthaar und auf dasselbe deutend sprach sie ener-
gisch: „Das ist mein Kapital!" der fremde Pcrükenmachcr, der
seit gestern drüben im Adler wohnt, will mir's verwerthen, — für
meinen Peter geb' ich gern das Bissel Zier, — kommst Du
mit, Gretel?"

Und ohne Zaudern, ohne Bedenken lief die Gretel mit
hinüber in den Einkehrhof, wo der Fremde Ernte hielt mit
seiner grimmigen Scheerc. Bald fielen die schwarzen Flechten
der breitschulterigen hübschen Dorel geräuschlos unter seinen
Händen und einige Minuten später fühlte auch ich meinen
Lebensfadcn an der Wurzel abgeschnittcn. Kalt lag ich in der
rohen Faust des berechnenden Friseurs, während die arme
Gretel, mein zweites Ich, vor der kleinen Spiegelscheibe stehend,
sich schaudernd die lieblichen Züge verhüllte und dabei weinend

a ch t g e d a n k e n.

flüsterte: „Für fünf Silbergnlden — und Er hat doch mein
Goldhaar so lieb gehabt!"

Prachtvolle Gaskandelabcr erleuchteten die Garderobe der
berühmten Schauspielerin Wanda. Sie sollte heute das „Grctchcn"
spielen und das Theater war demzufolge ausverkauft. Wohl
zählte sie lange nicht mehr sechzehn und auch über die Zeit
der naiven Schuldlosigkeit war sie längst hinaus, doch ihr Talent
war ebenso bedeutend wie ihr Geschick, dasselbe zu verwerthen.

Wanda hatte schwarze Haare und Augen von unbestimmbarer
Couleur; Gleichen aber sollen unter allen Umständen mit blonden
Flechten erscheinen, und da Wanda, seit längerer Zeit der verab-
scheuungswürdigen Mode des Haarfärbens huldigend, überhaupt
stets in Goldblond erschien, bedurfte sic heute nur ein paar neuer
langer Zöpfe um ein — identisches Gleichen vorzustcllen.

Eine halbe Stunde vor dem Anfang der Vorstellung wun-
derte ich, in den Händen des Friseurs, den Weg nach der
Theatergarderobe, in einer schwarzen goldgeränderten Papp-
schachte! sittig postirt.

Was ich von dem Momente meiner Trennung von Gretel
bis zur Annexion Gretchens durch Dressiren gelitten, möge mir zu
beschreiben erlassen sein. Daß mich aber die schuldlose Gretel für
5 fl. ablassen mußte, während mich das in Schulden nicht
unbewanderte Grctchen für 50 fl. erstanden, darf ich wohl be-
schämt hier eingestcheu.

Um drciviertcl nach 6 Uhr legten mich die gewandte»
Hände des Friseurs auf der Künstlerin Haupt, da ruhten if)rc
wcißgctüuchtcii Finger kalt und fest ans mir, ein: „Verfluchte
Nadel!" schob mich unsanft hin und her, endlich trat ich
hinaus vor die Lampen und wurde mit ihr angejubelt und be-
wundert. Wieder küßten mich bärtige Lippen, doch war hier b>e
Liebe ebenso geheuchelt wie der Bart, der mich berührte. Funfl
fühlte nicht wie Franz von ehedem n»d ich wieder fühlte nicht"
als die eisernen Klammern um und über mir.

Und als uns später der Soldat Valentin verfluchte wegen
unserer Schuld und Sitteulosigkcit, da hätte ich weinen und
hellaut aufschreien mögen ob solch' unerhörter Ungerechtigkeit,
denn eben meine Gretel hatte ja ihr Bestes hingegeben für den
Liebsten, ohne ihre Ehre dabei zu schädigen, ihre Eitelkeit »bei
völlig verleugnend — und der abscheuliche Valentin . - • •

Mitternacht war's. Das Grctchcn saß lachend und Champagne
trinkend in ihrem Boudoir, zu ihre» Füßen ein mit heiler Ho"
der Börscnkrisc entronnener Jüngling antrs trois oii — quatre •

Die Gemüther waren vom Wein erhitzt, eine mein"
Flechte» löste sich gerade zufällig, da griffen die dürren, 1111
Brillanten bedeckten Finger des in der hausse Machenden 1111J
mir, seine schmalen verlebten Lippen hefteten sich gedankenlos,
wenn auch sinnverwirrt auf mich und während ich i»> tiefste
Innern schaudernd zurückbebtc vor solcher Berührung, rief cr
mit künstlich erregter Stimme dem ci-devant Grctchcn zu:

„Hundert Louisd'or — für eine Locke!"

Und Grctchcn, mit schamlosem Cynismus mich von ihr
reißend, schleuderte mich ihm in die Arme und erwiderte hellauflachen -
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