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Ein gemüthliches Zwiegespräch auf dein Birnbaum.

um noch in seinen Garten entschlüpfen zu können. Denn Heentsch
war nicht allein ein guter Mann, sondern auch der eifrigste Obst-
züchter der ganzen Gegend. Er wußte an den vielen hundert
Obstbäumen seines Hausgartcns so zu schnitzen und zu sägen,
daß Niemand so schön gezogene und so wohlgepstegte Obstbäume
hatte, wie er. Wie hohe, stolze Dome ragten seine Aepfel-
und Birnbäume gen Himmel. Ihnen widmete er aber auch
jeden freien Augenblick.

Heentsch war zwar ein guter Mann, trotz dessen liebte er
die Geselligkeit, besonders wenn seine theure Eulalia nicht dabei
war, und ging so leicht keinem guten Mittagscssen aus dem
Wege. .So kam er eines Nachmittags von einem splendiden
Diner zurück und war nicht zum ersten Male ein ganz klein
wenig sehr stark angeheitert. In Folge dessen brachte er denn auch
j ein liebeathmendes und liebesehnendes Herz mit nach Hause,
j Aber auch ein guter Mensch kann einmal Pech haben. Als er
an dem Zimmer seiner Frau vorbei durch den Vorsaal, der zu
; seiner Arbeitsstube führte, selig und vergnügt wie eine Grille
im Sonnenschein dahin schritt, begegnet ihm just die Marie,
! das schelmische Hausmädchen. Das war aber sein Pech noch
nicht. Diese Marie war freilich ein anderes Gebäude als seine
Eulalia, ohne alle Ecken, Spitzen und Kanten, schlank und
: doch abgerundet nach allen Seiten und Richtungen, ihre schalkhaften
Augen wie zwei beim Abendsonncnschein hell glitzernde Gicbclfenster,
ihre Brust wie ein vorspringender runder Altan, ihr Leib wie eine
schlanke korinthische Säule, ruhend auf einem Piedestal, das für
die Ewigkeit gemacht zu sein schien ivie zwei Brückenpfeiler an
einer Rheinbrücke, — kurz und gut, er konnte das Mädchen
nicht ohne Bewunderung anschauen und da ihm gerade zu Muthc
war, als möchte er die ganze Welt umarmen, die ganze Welt
aber just nicht zur Hand war, so versuchte er's mit der Marie
| und drückte sie, begeistert von solchen architektonischen Bollkommcn-
I hciten, mit baumeisterlicher Inbrunst an sein Herz. Das war
! nun auch noch kein Pech. Aber daß das Mädchen dabei vor
Lust oder Unlust, >ver will es sagen, laut aufjauchzte oder auf-
schrie, ja das war Pech. Denn gleich darauf hörte er, wie
seine Frau, die er in ihrem Kaffeekränzchen glaubte, den Sopha-
tisch so heftig von sich rückte, daß er mit lautem Gepolter umfiel.

Heentsch war ein guter Mann, aber dabei klug und resolut.
Er roch sofort Lunte und ahnte zu rechter Zeit ein aufsteigendes
i Gewitter mit Blitz und Donnerschlag. Natürlich wich er
- aus, gab dem Mädchen einen freundschaftlichen Schlag —

| und war auf und davon. In seinem Arbeitszimmer ivarf
er den Bratenrock ab und den blauen Arbeitskittel an. Alles
im Fluge, griff nach seiner Baumsäge und stürzte hinaus in
seinen Garten. Es ivar die höchste Zeit; denn das schwarze
Gewitter mit Sturm und Regen zog in Gestalt seiner Gattin
rasch hinter ihm her. Bei einem sich entladenden Gewitter soll
man sich nicht unvorsichtig unter einen Baum stellen; drum re-
> solvirtc er sich kurz, legte eine Leiter an und stieg in den großen,
weit verzweigten Birnbaum hinauf, wo er in größter Harm-
losigkeit anfing, zu schnitzen und Wasscrreiser abzusügc». Dabei
beobachtete er durch eine Lücke in den Zweigen seine Gattin,
die einer schwer geladenen clectrischen Batterie glich und in ihrem

langschleppigen, schwer seidenen Gesellschaftskleide — denn sie hatte
ja eben in Gesellschaft gehen wollen — vor Aufregung und Zorn
zitternd zickzackartig wie ein Blitz in den Gängen des Gartens
hin und her raste, laut rufend: „Heentsch! Heentsch! schlechter
Mensch, wo bist Du? komm' nur hervor, cs hilft Dir nichts,
und wenn Du Dich wie Rinaldini in des Waldes düstern
Gründen verstecktest. O! Du sollst Deinem Lohne nicht ent-
gehen!" Dabei stöckelte sie mit dem langen spitzen Stiele ihres

gelben Sonnenschirms in alle Büsche und Stachclbeerstaude»
hinein, ivie ein Stcuerbcamter mit seiner spitzen Eisenstange >"
den Heuwagen. Er aber verhielt sich mäuschenstill i»
Zweigen. Endlich aber ersah sie die an den Baum gclet;nc
Leiter, an der sic in ihrer blinden Wnth schon einige Na'b
vorbeigcrannt war, und nun lvußte sie, >vo Barthel Most hoU^
Sic faßte Pvsto und sah hinauf. Aber Heentsch >var auch »ich
ans den Kopf gefalle» und lvußte sich wie ein Panther eng fll'
den Stamm geschmiegt so in den dichtbelaubten Aesten z» 1,c j

bergen, daß es selbst ihren Luchsauge» unmöglich war, >hv rtll'f
zufinden. „Heentsch!" rief sic mit nervös gellender Sti>"""
hinauf, „Heentsch! ich sehe Dich wohl, komm' nur he">"

Du Sardanapal!" Aber Heentsch rührte sich nicht. » :

kommst Du nicht, so will ich selber kommen und Dir mit wclNt^
Sonnenschirm das Vcrstcckenspiclcn schon verleiden."
erfaßte sie mit zitternder Hand die Leiter und stieg trotz c
Hindernisses ihres Schlcpplleidcs ganz ivüthig hinauf. H"" )( !
war ein guter Mann, aber ein tiessinnigcr Kopf. „l>e,ltU
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein gemüthliches Zwiegespräch auf dem Birnbaum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Versteck
Schirm
Birnbaum
Ehefrau <Motiv>
Karikatur
Ehekonflikt <Motiv>
Garten <Motiv>
Eifersucht <Motiv>
Leiter <Motiv>
Moralisches Handeln <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 62.1875, Nr. 1561, S. 194
 
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