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Ein gemüthliches Zwiegespräch auf dem Birnbaum.

Sie setzte nach diesem letzten Gallenerguß den Rückzug
fort. Aber freilich, bei einem Baume geht's wie bei einem
Felsen, leichter und gefahrloser hinauf als hinunter, besonders
wenn man nicht beide Hände frei hat und überdem vor Leiden-
schaft fast blind ist. Sie hätte besser gcthan, den hindernden
Sonnenschirm auf den weichen Rasen hinabfallen zu lassen;
aber nein! ein tapferer Krieger wirft selbst auf dem Rückzuge
Wehr und Waffen nicht von sich und der Sonnenschirm war in
ihrer Hand eine Uhlanenlanzc. Heentsch mußte von seinem
hohen Standpunkte die hunderterlei Verlegenheiten, mit denen
seine Gattin zu känipfen hatte, mitansehen, ohne ihnen abhelfen zu
können. Gewiß hat dabei sein Herz geblutet, denn er war ja ein guter
Mann; aber das Blut wird sich nach Innen ergossen haben, denn
äußerlich sah man keinen Blutstropfen. Er schloß unwillkührlich
die Augen, um die Roth seiner Frau nicht mitansehen zu müssen.
Denn bald schien sie das Gleichgewicht zu verlieren und hinab-
zustürzen, bald zappelte sic mit den Füßen, nach einem Aste
suchend, auf dem sie fußen könnte, bald verhedderte sich ihr mit
Schleifen und Bändern überladener Hut in den Zweigen, oder
ihr Sonnenschirm sperrte sich zwischen den Acstcn. Jndeffen
würde sie doch wohl den Boden unten glücklich erreicht haben,
denn sie konnte klettern wie eine Katze, wenn ihre unglückliche
Schleppe nicht gewesen wäre, und die Leiter fester gestanden
hätte. Sie hatte die oberste Sprosse der Leiter glücklich erreicht
und suchte eben mit Augen und Füßen die zweite, da merkte
sie, daß sie mit dem Kleide hinten festsaß. Roch immer in
leidenschaftlicher Stimmung drehte sie sich mit dem Oberkörper
rasch herum, um hinter sich das Hinderniß zu beseitigen, gab
sich dabei aber solchen Schwung, daß die nur lose angelehnte
Leiter oben vom Baume abzurutschen anfing. Nun machte sie
wieder eine Wendung und suchte mit den Füßen die Leiter fest-
zuhalten und wieder in die rechte Lage zu bringe»; aber sic
j that das Alles zu ungestüm, die Leiter rutschte immer mehr seit-
! würts und Platsch! fiel sie ihrer ganzen Länge »ach auf de»

! Rasen nieder, nämlich die Leiter; sic selbst aber hing ohne
! Stützpunkt für die zappelnden Füße wie ein fliegender Drache
in der Luft, krampfhaft sich mit der Linken an einen Zweig
| klammernd. Im ersten Augenblicke war sie vor Schreck und
j Angst sprachlos; aber bald fand ste de» Gebrauch ihrer Zunge
wieder. „Zu Hülfe! zu Hülfe, Mann!" stieß sie heraus, „sichst
Du meine Gefahr nicht? Willst Du zum Mörder Deiner
! Gattin werden? Setze rasch die Leiter an, sonst bin ich ver-
l loren und stürze hinab. Meine Hand kann nicht mehr fest-
! halten und meine Füße haben keinen Halt mehr!"

Heentsch war ein guter Mann. Rasch bog er die Zweige

auseinander und, die hülslosc Lage seiner Gattin gewahrend,
rief er hinab: „Na! das ist eine schöne Beschecrung! Halt
nur noch einige Augenblicke fest, gleich bin ich unten und schiebe
Dir die Leiter unter die Füße." Er war ein guter Turner
und getraute sich, den Boden auch ohne Leiter zu gewinnen.
Im Hinabklcttcrn raunte ihm zwar der Teufel zu: „Ei! laß
sic doch selbst sehen, wie sie wieder hinunterkommt; warum ist
sic hinaufgeklettcrt, Dir das Leben sauer zu machen." Die
Baumeister werden ja von jeher vom Teufel versucht, wie die

Sage von manchem Kirchcnban erzählt; sic schlagen ihm aber
immer ein Schnippchen und lassen ihn mit langer Nase abzichcn-
Nicht einen Augenblick gab er diese» Einflüsterungen Gehör;
aber er nahm sich vor, ihr wenigstens von unten aus erst
eine wohlverdiente Standrede zu halten: „Sieh, Weib!", wollte
er sagen, „so muß cs allen alten Drachen ergehen! Das hast
Du wohl verdient für Deine ewigen Plackereien ganz unberech-
tigter Eifersucht. Meine Geduld ist zu Ende, das merke Dir!"
Aber wie manche schöne Rede mit herrlichen Kraftstellen und
klingenden Phrasen ist schon ausgedacht, aber doch nimmer
gehalten worden. Heentsch war ein guter Mann; als er end-
lich mittelst eines langen Zweiges den Boden unten berührt hatte,
sagte er nur sanft und theilnehmend: „Ach! was bist Du wieder
einmal unvorsichtig gewesen, liebe Eula, und hast alle meine
Warnungen in den Wind geschlagen."

„Mache doch, böser Mann, und schaffe Hülfe! ich kann
nicht länger fcsthaltcn. Du willst mein Mörder werden,

ich sehe cs!" rief ihm die noch immer erboste Gattin zu und
stieß mit dem Sonnenschirm nach ihm. Aber er hatte sich lfl
schon gebückt, die Leiter auszuhcben, und eben wollte er sie
unter die Füße schieben, da, krach! brach der Zweig, an dem
sic sich bisher fcstgchaltcn. „Ach! Herrje!" weiter konnte sic vor
Schrecken nichts hervorbringcn. Er aber ließ instinctmäßig die Leiter
wieder fallen und stellte sich mit weit ausgebreitetcn Armen W*
radc unter sie, um sic aufzufangen. Aber da konnte er lange
warten. Zwei Fuß tief kam sic freilich hcrabgcscgclt, da aber
hing sie in der Luft; die verhängnißvollc Schleppe, die an einem
Aste festsaß, ließ sic nicht weiter fallen. Heentsch war ein gnter
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein gemüthliches Zwiegespräch auf dem Birnbaum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Absturz
Schrecken
Schirm
Birnbaum
Hut <Motiv>
Ehefrau <Motiv>
Karikatur
Ehekonflikt <Motiv>
Schleppe <Kleidung>
Birne <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 62.1875, Nr. 1562, S. 202
 
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