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Ja" und „Nein".

bewundert das Ballet und hält theuere Rennpferde, weil es so
guter Ton ist. Er trinkt mäßig, wie die meisten Franzosen.
Seit seine Mutter vor wenigen Jahren gestorben ist, liebt er
Niemanden, seit sich sein alter pedantischer Gouverneur bei seinem
Eintritt in die Armee auf ciii kleines Landgut im Midi zurück-
gezogen hat, haßt er auch Niemanden mehr. Doch, doch, er
haßt Jemanden. Da uns dieß jedoch zu weit führen würde, !
wollen wir diesen dunklen Fleck in seinem Charakter einstweilen
lieber übergehen. Es genüge, daß dieser Haß aus seiner Knaben-
zeit stammt, mit ihm groß gelvorden ist und nach und nach
ganz bedenkliche Dimensionen angenommen hat.

Indessen ist Victurnian bei der geistreichen und schönen
Marquise de Viroflay angelangt und wird eben von ihr empfangen.

„Also, Sie wollen reisen?" — „Jawohl, morgen, gnädige
Frau!" — „Und wohin, wenn es keine Jndiscretion ist?"—
„Ich gehe nach Deauville." — „Wollen Sie rennen?"

„Ja." — „Und Sie gehen allein?" — „Gewiß!" -. „Wollen j

Sie eine charmante Frau kennen lernen?" - „Mit dem größten
Vergnügen!" — „Gut, ich will Ihnen eine Empfehlung an
meine Schwägerin mitgebeu." — „Ihre Frau Schwägerin?"
— „Ja, die Baronin de la Haussage, meines Bruders, des
Admirals Wittwc." — „Die Dame lebt in Deauville?" -
„Nein in Trouville, aber das ist ja keine Entfernung." —
„Sic werden mich durch die Empfehlung zu großem Danke
verpflichten." — „So nehmen Sie heute den Thee mit uns;
ich werde Sie Florestinen als den liebenswürdigsten Cavalier
schildern, und sie wird Ihnen ihren mütterlichen Schutz gern
angedeihen lassen."

Es wäre unhöflich gewesen, Hütte Victurnian diese liebens-
würdige Offerte, die ihm mit schelmischem Lächeln gemacht
wurde, zurückweisen wollen, daher erschien er Abends zum Thee
bei der Marquise. —

Am folgenden Tage verließ der Vicomte Paris mit dem
Mittagstrain; seine Pferde und Jockey's waren schon vorher
nach ihrem Bestimmungsort abgegangen.

Deauville hatte eine glänzende Saison; der Prinz von
Wales, die Herzöge von Mouchy und Montmorency ilnd wie
sie alle hießen, die großen Herren bildeten den Mittelpunkt der
Gesellschaft; trotzdem verließ Thianges Deauville bereits nach
dem ersten Renntage, um sich nach Trouville und dort ganz
unter den „mütterlichen Schutz" der Admiralin Florestine de
la Haussage zu begeben. Er that dies nicht etwa aus Galanterie
gegen seine schöne Freundin Viroflay, sondern weil er bei Ueber-
gabe des Empfehlungsbriefes gesehen hatte, daß es sich in Trou-
ville bei der einen Baronin weit besser leben würde, als bei
dem in Deauville herrschenden embarras de noblesse.

Seit seiner Uebersicdeluug nach Trouville waren drei Wochen
vergangen. Wir brauchen uns kein Gewissen daraus zu machen,
daß wir den Vicomte so lange allein gelassen haben, er war
bei Madame Florestiue vortrefflich aufgehoben.

Die Admiralin saß an einem heißen Augusttage in ihrem
Salon und langweilte sich; doch nein, das wäre ebenso ungenau
wie ungalant, denn eine geistreiche Frau langweilt sich nie,
wenn sie allein ist und für geistreich hält man die schöne

Wittwc allgemein. Sagen wir also, sic sehnte sich nach Gc-
sellschast und Unterhaltung.

. Vor einer halben Stunde war der Friseur von ihr gegangen,
dann hatte sie einige Takte aus dem Erardffchen Flügel gespielt,
ein paar Zeilen im „Figaro" gelesen und schließlich ein kleines
Blümchen in der feinen Pointsstickerei vollendet. Zwischen den
Papilloten und Brcnnscheeren des redseligen Haarkünstlers jedoch,
durch die lnnghalsigen Noten des Chopin'schen Walzers und
die geistreiche Plauderei Albert Wolfffs, ja sogar aus bent
graziösen Blattwerk ihres duftigen Spitzenmusters hatte sic fort-
während ein schönes, uns wohlbekanntes Männerantlitz ange-
tächelt; cs wollte auch jetzt noch nicht aus ihren Gedanken
weichen, als sie träumend, die Hände im Schooß gefaltet, vor
sich hinstarrte. Der scharfsinnige Leser ersieht hieraus, daß die
Empfehlung der Marquise Viroflay ihre Wirkung nicht verfehlt hat.

Aber Florestiue wollte sich vor dcni Verfolger retten; schnell
entschlossen erhob sie sich und setzte den Haustelegraphen in Arbeit,
um ihr Kammermädchen herbeizurufen. Sie wallte Toilette
machen und dann, um ihren Gedanken eine solidere Richtung
zu geben, ihr Dejeuner in einem der vornehmen Baderestaurants
am Strande einnehmen.

Die Thüre öffnete sich, Clairette trat ein, und über ihren
schmalen Schultern lächelte dasselbe Gesicht, dem die Baronin
zu entfliehen bemüht war. Dieses Mal sah sic jedoch den schönen
Vicomte nicht nur mit ihrem verliebten Herzen und ihrer leb-
haften Phantasie, sondern ganz klar und deutlich mit ihren
glänzenden blauen Augen.

Clairette zog sich sofort wieder in gerechter Würdigung der
Verhältnisse bescheiden zurück.

„Was bringen Sie mir Neues, lieber Vicomte?" fragte
die Baronin sich erhebend und ging ihm entgegen. — „Nichts
Neues", meinte er klagend mit zärtlichem Blick und küßte ihre
Hand, „daß ich Sie liebe, ist ja schon eine alte Geschichte."

— „Sie lieben mich also wirklich?" fragte sie zweifelnd.

„Mehr als mein Leben!" - „Und ivie lange wird diese Liebe
dauern?" — „Ewig, elvig!" -- „Ewig!" wiederholte die
schöne Frau sinnend, „ivie schnell sind die Männer immer mit 1
diesem Wort bei der Hand, tvenn sie von Liebe sprechen. Wissen
Sie denn auch, mein theurer Freund, was Sie da sagen?
Ewig — ewig, das ist, meiner Meinung nach, doch ein Be-
griff, der einer kurzen Ueberlegung wohl werth ist. Sagen >vir
nun. Sie täuschen sich in mir oder in Ihren Gefühlen für mich
und müßten „ewig" eine Fessel schleppen, die Sie aus Leichtsinn
für Rosenketten gehalten haben, müßten „ewig" neben mir >vie
ein Galeerensträfling neben seinem Nachbarn angeschmiedet leben!"

„Ich täusche mich weder in Ihnen noch in meinen Gefühlen,
Florestine", versicherte Victurnian.

„Also, Sic wollen mich heirathen?"

„Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn ich das erreichte!"

„Nun, einstweilen tvollen ivir uns setzen", meinte die
Admiralin lächelnd, nahm ihren Platz wieder ein iitib wartete,
bis Victurnian ihr gegenüber saß.

„Ich habe ein passables Vermögen", fuhr sie dann fort,
„mein Palais de Haussage in Paris, in dem meine Schwägerin
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