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Beiblatt der Fliegenden Blätter — 114.1901 (Nr. 2892-2917)

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https://doi.org/10.11588/diglit.5247#0444
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Das Geheimnis des Veziers


gSSarun al Raschid, bcr bc-
rühmtcste aller Chalifcn,
war soeben von einem nächt-
lichen Bummel durch die Straßen
Bagdads, wie er solchen incog-
nito öfters zu unternehmen
pflegte, zurückgekehrt und dehnte
verdrießlich die Glieder, da er
sich recht zerschlagen und abge-
spannt fühlte. Er hätte sich gern
einem nachträglichen Schlummer-
stündchen-überlassen, wenn nicht
die Negierungsgeschäfte und sein
Vezier Omar gewartet hätten!

Ja, dieser Omar! Er war
bald um 10 Jahre älter als der
Chalif und trotzdem vertrug er
eine derartige Nachtschwärmerei
stets besser als sein als abgehärtet geltender Herrscher.

Wenn er nach seinen nächtlichen Spaziergängen mit dem Chalifcn
einen kurzen Abstecher nach Hause gemacht hatte, um die zu den Streifereien
benutzten abgetragenen Kleider eines Bettlers mit seinem Staatsgcwandc
zu vertauschen, und dann kurze Zeit darauf vor dem Gebieter erschien, so
bot er ein Bild strotzender Gesundheit und Frische und jede Müdigkeit
schien von ihm gewichen. -

So auch heute! Ordentlich neidisch blickte Harun ans das fröhliche Ge-
sicht seines Vertrauten, und seine erste Frage, welche er demselben vorlegtc,

bezog sich nicht auf
die Erledigung von
Staatsgeschäften,
sondern auf das
Zaubermittcl, wel-
ches nach seiner
Meinung Omar
anwenden müsse,
um eine derartige
Elastizität des Kör-
pers zu bewahren.

Der Vezier er-
schien über die bar-
sche Frage des Cha-
lifcn nicht wenig
zu erschrecken, doch
schwor er beim
Barte des Pro-
pheten, daß er kein
Geheimmittel an-
wendc, selbst, als

ihm der Herrscher mit seiner Ungnade drohte, blieb er verschwiegen. Der
Chalif mußte ihn entlassen, ohne seine Neugier befriedigen zu können,
beschloß indessen, im Geheimen Nachforschungen anzustellen, da er dem
schlauen Omar nicht traute.

Da er als Menschenkenner wußte, daß kein Weib ein Geheimnis
bewahren könne, steckte er sich hinter seine Gemahlin Znbeidah, welche mit
Fatme, der Lieblingsfran des Veziers, eng befreundet war, und bat sie,
herauszubekommen, ob Omar irgendwelche unbekannte Mittel zur Pflege
seines Körpers anwende.

Weiberlist geht eben über alles, auch schon zu Zeiten Haruns, des
weisesten aller Chalifcn.

Nach einigen Wochen konnte ihm die kluge Znbeidah berichten, daß
Omar alle Morgen ein Vicrtclstündchcn in einem Gemach verweile, welches

sich in einem abgelegenen Häuschen seines Gartens befand, und welches
er stets streng verschlossen halte, so daß Niemand wisse, >vas er darin
treibe. Merkwürdiges Geräusch habe man allerdings gehört, aber keiner
wage, den strengen Gebieter danach zu fragen.

Dem Chalifcn war es nun ein Leichtes, Omar zu überraschen.

Mit Hilfe der überredeten Fatme wurde ein doppelter Schlüssel zu
dem geheimnisvollen Gemach angefertigt und eines schönen Morgens
drang der Herrscher in das Sanktuarium seines Vertranten. Doch wav
erblickte er? Omar — badeteI Er badete, allerdings nicht in gewöhn-,
lichem, sondern in kaltem Wasser, welches in einem eigentümlich geform-
ten Behälter durch die gymnastische Thntigkeit Omars in fortwährender !
starker Bewegung gehalten wurde, ähnlich dem Meere, wenn der Passat- .
wind darüber streichet.

Omar schien es mit den Fischen zu halten, welche sich ja auch u>i !
bewegten Wasser wohler fühlen als im ruhigen Element.

Nachdem sich sein erstes Erstaunen gelegt hatte, überhäufte Harun den
armen Vezier mit Vorwürfen, daß er ihn so schmählich betrogen habe'

Omar versicherte indessen hoch und teuer, daß er sich keiner Unwahrheit
schuldig gemacht habe, da er kein Geheim- oder Zaubermittel besitze, denn
das reine Wasser könne doch nicht dafür gelten. Den neuartigen Gebrauch
des Bades habe er einer alten Aufzeichnung des im Altertum hochbe-
rühmten Arztes Asklepiades, welcher vor bald tausend Jahren gelebt
hätte, und die er zufällig in der Sammlung des Chalifcn aufgestöbert,
zu verdanken.

Der Chalif ließ sich besänftigen, und lange Jahre noch gebrauchte»
er und fein getreuer Vezier das eigentümliche Morgenbad znin Segen
ihres Körpers. Sie hielten übrigens das einfache Mittel streng geheim,

so daß nur noch die Sage davon zu erzählen weiß.■ •

Also berichtete Abdullah, der alte Märchenerzähler, den Staun»- j
gästen des Cafäs in der ältesten.Straße des alten Kairo und lebhafter
Beifall lohnte seine Erzählung. Nur der blonde Franke ans Dschcr-
manistan, der sich täglich unter den Zuhörern Abdnllah's befand um sich
angeblich im Volksdialekt zu üben, hatte geschwiegen. Ein Gedanke,
zündend wie ein Blitz, war bei dem Schluß der Erzählung durch sein
Hirn gefahren. Sollte er, der arme Mediziner, der nur als Reisebegleiter

des reichen Bankiers
dieWunderdesOrients

zu sehen bekam, das
Mittel gefunden ha-
ben, der leidenden
Menschheit und " !
sich zu helfen?

Jedenfalls ist es
Thatsache, daß nach
einigen Tagen ein
dicker Einschreibebrief j
an das Kaiserliche
Patentamt in Berlin
abging und so
entstand das
 
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