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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0113
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BAULICHE VERÄNDERUNGEN

7851ATaler und war nominal zwar etwas höher als
die Einrichtungskosten des Saales, der 1803 er-
hoffte große Nutzen für die Kämmerei hatte sich
jedoch nicht eingestellt. Die Anzahl der Bälle nahm
immer mehr ab, zumal ab 1832 auch konkurrie-
rende Veranstalter mit eigenen Räumlichkeiten auf-
traten. 1838 fand sich kein Pächter mehr für den
Saal. So wurde beschlossen, auf eine Nutzung als
Ballsaal künftig zu verzichten.
Dennoch fanden noch vereinzelt Bälle im Rat-
haussaal statt, z.B. anläßlich der Hochzeit des
Kronprinzen Georg V. mit Prinzessin Marie von
Sachsen-Altenburg im Jahre 1843, der Versamm-
lung des Provinzialvorstandes des Mäßigkeitsver-
eins oder zum Schützenfest. Insgesamt verlor der
Tanzsaal immer mehr an Bedeutung, auch die Be-
zeichnung verschwand. Bei der Renovierung des
Rathauses in den Jahren 1902 bis 1904 wurden mit
dem Abbruch der Orchesterempore die sichtbaren
Zeichen dieser Nutzung des großen Saales besei-
tigt-


108 Dieses 12,5 x 7,5 cm kleine Gemälde, mit dem der Deckel
einer Tabakdose dekoriert wurde, ist wahrscheinlich die
älteste Abbildung des Rathauses. Es ist noch mit der
Treppe an der Ostseite der Laube dargestellt, die 1821 bis
1823 abgebrochen wurde. Diese Tabakdose mag bald nach
1800 hergestellt worden sein. Auch wenn die Darstellung
in den Proportionen und in der Anordnung der Bauglie-
der unzutreffend ist, vermittelt sie doch einen Eindruck
von einigen heute nicht mehr vorhandenen Bauteilen, wie
dem Treppenvorbau an der Ostseite und dem angebauten
Schutzdach vor der Laube.

Die Reparatur des Westgiebels
Als im Jahre 1533 auch der westliche Teil der
Nordfront des Saalbaues um ein Fachwerkgeschoß
erhöht wurde und man das dafür benötigte Dach
durch Auflegen neuer Sparren auf die vorhandene
Dachkonstruktion errichtet hatte, wurde der vor-
handene Westgiebel nicht aufgemauert, um ihn der
veränderten Situation anzupassen. Das nicht vom
Giebel abgeschlossene höhere Dachteil wurde 1539
nur mit Brettern geschlossen. Auch die im 17. Jahr-
hundert auf der Südseite des Saalbaues angefügten
70 Fachwerkbauteile wurden an das Dachwerk des
71 Saalbaues nur mit einer zusätzlichen Sparrenlage
107 angeschlossen. Eine Zeichnung des Westgiebels be-
legt, daß diese durch die Dacherhöhungen entstan-
dene Giebelsituation bis zum Anfang des 19. Jahr-
hunderts noch nicht verändert worden war.
Die Bestandsbezeichnung aus dem Jahre 1806
zeigt den ursprünglichen, gotischen Treppenstu-
fengiebel mit den Schäden, die den Anlaß zu einer
Veränderung des Giebels gaben. Aus dem Mauer-
werk des Giebels sind zwar jetzt noch Anhalts-
punkte auszumachen — vom Dachraum deutlicher
als von außen —, daß ein Treppengiebel überbaut
wurde, aber ein deutliches Bild der Stufenfolgen ist
aus der Substanz nicht zu gewinnen. So ist diese
Zeichnung ein wertvoller Beleg für die ursprüngli-
che Architektur des gotischen Saalbaues, aber auch
für das Ausmaß der Schäden: von den Stufen ausge-
hende Risse ins Mauerwerk hinein hatten einzelne
Stufen abgesprengt.
1806 erstellte Distriktbaumeister Bosse einen
Kostenvoranschlag zur „Abänderung und Wieder-
herstellung des durch gefährliche Risse beschädig-
ten massiven Rathhaus Giebels in der Scharren

Straße (. . . .), damit das fernere Hinunterfallen gro-
ßer, gefährliche Folgen mit sich führender Steine
verhindert wird“. Wegen Geldmangels wurden die
Reparaturarbeiten jedoch nicht ausgeführt.
Erst 1819 erfolgte eine erneute Besichtigung
durch den Magistrat. Er bestätigte die Schäden und
plädierte für eine Reparatur des Giebels wegen der
Gefährdung der in der Scharrenstraße stattfinden-
den Scharrentage der Metzger durch herabfallende
Steine und der auf dem Dachboden lagernden Zins-
früchte durch Regen und Sturm.
Maurer Joseph Nolte wurde mit der Durchfüh-
rung der Reparatur nach dem Kostenanschlag und
der Zeichnung von 1806 beauftragt. Er sollte im
Nordteil den Giebel bis unters Dach aufmauern
und im Südteil bis auf Dachhöhe abtragen. Bei der
Abnahme der fertigen Arbeiten am 5. November
1819 wurde besonders der Schutz der Dachböden
durch den massiven Spitzgiebel hervorgehoben.
Außer den Angaben zur baulichen Ausbildung
des Rathauses auf seiner Westseite bringen die
schriftlichen Unterlagen noch zwei andere Fakten
ins Bewußtsein: Einmal sind Anfang des 19. Jahr-
hunderts die Naturalabgaben der Bauern noch
nicht durch Geldzahlungen abgelöst worden, so
daß die Fachwerkgeschosse des Rathauses noch
immer den gleichen Zweck erfüllten, zu dem sie im
16. Jahrhundert errichtet worden waren. Zum an-
deren erfahren wir etwas über die Scharren der
Metzger in der am Westgiebel vorbeiführenden
Straße, die ihren Namen „Scharrenstraße“ von die-
sen ständig an das Rathaus angebauten Verkaufs-
ständen erhalten hatte. Dreimal in der Woche wur-
den Scharrentage abgehalten, an denen der Fleisch-
verkauf — für den eine Scharrenpflicht bestand —

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