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Fechheimer, Hedwig
Die Plastik der Ägypter — Berlin: Bruno Cassirer Verlag, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.59445#0015
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER MODERNEN UND ÄGYPTISCHEN KUNST 1

I.
Die künstlerische Entdeckung Ägyptens erfolgte aus zwei Ursachen: den
äußeren Anlaß bot die Expedition Napoleons, die eine Erkundung des
Landes und seiner Denkmäler einleiiete; den tieferen Grund sehen wir in
der Verwandtschaft, die das moderne Kunstempfinden mit künstlerischen
Grundanschauungen der Ägypter verbindet. Seit der Zeit, da Winckel-
mann und Goethe und nach ihnen die neuere Ästhetik bis auf Marees und
Hildebrand im klassischen Altertum und in der Renaissance die höchsten ja
bindenden Kunstäußerungen erkannten, hat sich das Kunstempfinden — sei es
durch das Berühren fremder bis dahin unbekannter Kunstkreise, sei es spontan
aus eigener Fähigkeit — erheblich verändert. Künstler suchen das lang vergessene
Elementare der Erscheinung und des Sehens auf: Die Maler verwerfen die
durch lange Tradition komplizierten Malmittel, sie verwenden reine Farben,
schalten den der Plastik entlehnten Gegensatz von Licht und Schatten aus, den
sie auf Farbenkontraste reduzieren, oder sie beschränken sich auf einfache
konstruktive Kompositionen. Die Architekten verzichten auf die äußerlich
erborgten Fassaden und Ornamente früherer Zeiten. Sie suchen einfach
und logisch zu konstruieren, die Einen auf wesentlich Neues gerichtet, die
Anderen bemüht, überkommene Formen den heutigen Aufgaben gemäß
weiterzubilden. Die Bildhauer streben statt der bewegten „malerischen" Form
die geschlossene, streng statuarische an. Auch in der Dichtung beginnt eine
reinere Kunstauffassung sich auszuwirken: man opfert ihr das genaue, den
Naturwissenschaften entlehnte Beschreiben von Vorgängen und Situationen,
die spannende Erfindung, die psychologische Analyse, jedes Beiwerk, das von
der Einheit der Kunstschöpfung ablenkt. Und wenn auf dem musikalischen
Gebiet das Brechen mit der überlieferten Tonalität, das Ringen um neue
Klangwirkungen und Instrumentation, die einem neuen Ausdrucksbedürfnis
dienen sollen, alle bisherigen Regeln und Bindungen eher aufzulösen scheinen,
so erleben doch gerade die Menschen dieser Zeit leidenschaftlich bewußt die
strenge Architektonik der alten Musik.
So mußte auch unser Verhältnis zu den Kunstwerken der Vergangenheit
sich ändern. Der Klassizismus des 19. Jahrhunderts, der Goethe zu den an-
fechtbarsten Urteilen über Giotto und Dürer verführte, Schopenhauer die
Gotik verachten ließ und eine Reihe nicht unbegabter Künstler unproduktiv,

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