ARCHITEKTUR
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der ägyptischen Architektur keineswegs der bildenden Kunst voran, es bestand
vielmehr eine innere Ähnlichkeit ihres Bildungsgesetzes. Die ersten Merk-
zeichen künstlerischer Synthese in Ägypten sind Ornament und Mythus.
Im Mythus ruhen bereits die Elemente der Poesie, und die ersten plan-
mäßig geordneten Figuren erscheinen auf Tonvasen, der abstrakten Schönheit
des Gefäßes dienend, die in ihren Linien wiederklingt. Die ägyptischen
Künstler kamen vielleicht in den Reliefs, die ihre bildnerische Natur besonders
rein spiegeln, am frühesten zu Kunstleistungen. Die ersten Reliefs, von der
Bilderschrift noch nicht streng geschieden, finden sich auf Grabsteinen, Sieges-
tafeln und Vasen der ältesten Könige. Der Mittel und Grenzen dieser
Kunst noch ungewiß, versuchte man verschiedene Arten der Reliefbildung
und der Komposition. Man kann deutlich die Bemühungen verfolgen, die
zu dem endgültigen Stil führten, der manche tüchtigen Züge — eine kräftigere
Innenzeichnung und frischere Umrisse — der erstrebten Bildeinheit opferte.
Unter der Regierung des Menes etwa ist dieser Stil gefestigt, dessen hohen
Rang die auf Tafel 99 abgebildeie Grabstele anzeigt. Erst in der III. Dynastie
war die Architektur soweit, um selbst der Bilder zu bedürfen: Man bezieht
das Relief in den Baugedanken ein, dem es sich niemals wieder entfremdete
und der es zu seiner reichen Entfaltung bewegte.
Die Architektur, die auch die anderen Bildkünste, Rundplastik und Malerei,
sich verband, stimmte in Ägypten wie in Griechenland auf eine fast wunder-
bare Art mit der Landschaft zusammen; beide ergänzen einander zu einer
Gesamtheit. Die Architekten fanden sich vor die schwierige Aufgabe gestellt,
ihre Bauwerke und Denkmäler gegen ferne, ausgebreitete Horizonte auf-
zurichten. Hinter ihnen dehnen sich wellig ansteigende Sandhügel oder erhebt
sich das Felsplateau. Tiefer unten die breite Furche des Stromes. Darüber
hängt das reine Blau der Luft, ohne Farbenabstufung, ohne Wolkenschatten.
Es gelang ihnen, in ihre Konzeptionen diese übermächtige Landschaft mit den
großen ruhenden Formen, den starken gesonderten Farben und dem intensiven
Licht, das die Gestalten weder verwischt noch überspannt, hineinzunehmen.
Sie beherrschten mit ihren Kunstvorstellungen diese Landschaft, die wiederum
alle künstlerischen Formen gleichsam aufgelöst enthält. Diese Natur gab ihren
Geschöpfen die Fähigkeit, groß zu sehen. Denn es bildet sich an den immer
wiederkehrenden Formen einer Landschaft — zumal in Ägypten — ein fester
Besitz an Formvorstellungen, ein bestimmtes Proportionsgefühl. Michelangelos
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der ägyptischen Architektur keineswegs der bildenden Kunst voran, es bestand
vielmehr eine innere Ähnlichkeit ihres Bildungsgesetzes. Die ersten Merk-
zeichen künstlerischer Synthese in Ägypten sind Ornament und Mythus.
Im Mythus ruhen bereits die Elemente der Poesie, und die ersten plan-
mäßig geordneten Figuren erscheinen auf Tonvasen, der abstrakten Schönheit
des Gefäßes dienend, die in ihren Linien wiederklingt. Die ägyptischen
Künstler kamen vielleicht in den Reliefs, die ihre bildnerische Natur besonders
rein spiegeln, am frühesten zu Kunstleistungen. Die ersten Reliefs, von der
Bilderschrift noch nicht streng geschieden, finden sich auf Grabsteinen, Sieges-
tafeln und Vasen der ältesten Könige. Der Mittel und Grenzen dieser
Kunst noch ungewiß, versuchte man verschiedene Arten der Reliefbildung
und der Komposition. Man kann deutlich die Bemühungen verfolgen, die
zu dem endgültigen Stil führten, der manche tüchtigen Züge — eine kräftigere
Innenzeichnung und frischere Umrisse — der erstrebten Bildeinheit opferte.
Unter der Regierung des Menes etwa ist dieser Stil gefestigt, dessen hohen
Rang die auf Tafel 99 abgebildeie Grabstele anzeigt. Erst in der III. Dynastie
war die Architektur soweit, um selbst der Bilder zu bedürfen: Man bezieht
das Relief in den Baugedanken ein, dem es sich niemals wieder entfremdete
und der es zu seiner reichen Entfaltung bewegte.
Die Architektur, die auch die anderen Bildkünste, Rundplastik und Malerei,
sich verband, stimmte in Ägypten wie in Griechenland auf eine fast wunder-
bare Art mit der Landschaft zusammen; beide ergänzen einander zu einer
Gesamtheit. Die Architekten fanden sich vor die schwierige Aufgabe gestellt,
ihre Bauwerke und Denkmäler gegen ferne, ausgebreitete Horizonte auf-
zurichten. Hinter ihnen dehnen sich wellig ansteigende Sandhügel oder erhebt
sich das Felsplateau. Tiefer unten die breite Furche des Stromes. Darüber
hängt das reine Blau der Luft, ohne Farbenabstufung, ohne Wolkenschatten.
Es gelang ihnen, in ihre Konzeptionen diese übermächtige Landschaft mit den
großen ruhenden Formen, den starken gesonderten Farben und dem intensiven
Licht, das die Gestalten weder verwischt noch überspannt, hineinzunehmen.
Sie beherrschten mit ihren Kunstvorstellungen diese Landschaft, die wiederum
alle künstlerischen Formen gleichsam aufgelöst enthält. Diese Natur gab ihren
Geschöpfen die Fähigkeit, groß zu sehen. Denn es bildet sich an den immer
wiederkehrenden Formen einer Landschaft — zumal in Ägypten — ein fester
Besitz an Formvorstellungen, ein bestimmtes Proportionsgefühl. Michelangelos