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STIL DER RUNDPLASTIK
Erscheinung aus. Es ist eine schwierige künstlerische Aufgabe, die im Grunde
wenige Zeiten glücklich gelöst haben, die charakteristischen und augenfälligen
Stoffunterschiede der Haut, der Augen, Haare und Gewänder in das gleich-
artige Material der Figur zu übertragen, d. h. sie als Formunterschiede
zu interpretieren, ohne die plastische Einheit zu zerstücken. Die Spätaritike
und die Renaissance waren in dieser Hinsicht unerträglich formlos. Die
Künstler machten den problematischen Versuch, die verschiedenen Stoffe als
verschiedenartig bewegte Formen wiederzugeben. Um natürlicher zu wirken,
kopierten sie die zufällige Lage einzelner Locken und Falten, wobei die
Zwischenräume materielle Löcher in den Block hineinbrachten, und häuften
so die Formkontraste in beunruhigender Weise. Die Ägypter setzten neben
Form und Farbe einen besonderen gleichwertigen Bildfaktor ein, um die Stoff-
differenzen zu vermitteln: das zeichnerische Ornament, mit dem zumal
die Künstler des neuen Reiches überraschende Kontrastwirkungen erzielten. In
den Frauenfiguren aus Kalkstein und Holz, Tafel 64 — 67, 70—76, überrieseln
die feinen Linien der Haarsträhne die massigen Perücken wie Zierlinien ein
Kapitell, und die gleichlaufenden Fältchen des durchsichtigen Byssus erhöhen
den Reiz der feingliedrigen Körper: In Ägypten schuf man sich — 1000 Jahre
vor dem Entstehen des bewunderten Ludovisischen Thrones mit der Geburt der
Aphrodite im Thermen-Museum in Rom —noch raffiniertere Formsensationen.
So wurde auch am Kalkstein, der sich als besonders geeignet hierfür erwies,
eine vorher unbeachtete Qualität entdeckt. Es entsprach dem koloristischen
Charakter der Figuren, daß die Ägypter die lebhaftere Farbe und den Glanz
der Augen oft durch schimmerndes Material Wiedergaben. Ein Lidrand aus
Kupfer umgab den Augapfel aus weißem Quarz oder Kalkstein, die Pupille
war meist aus Bergkristall; ein kleiner Stift aus Ebenholz oder Metall bezeichnete
den Augenstern. Im übrigen war man in Ägypten in der Verwendung mehrerer
Materialien sehr zurückhaltend. Von größtem koloristischen Reiz sind einige
inkrustierte Bronzen aus der Spätzeit, z. B. Tafel 100, Frauenfiguren, deren
Körper und Gewand mit silbernen Lineamenten überziert ist.
Ein großer Anteil an der Erziehung des plastischen Fühlens und Sehens, das
sich im Stil der ägyptischen Figuren äußert, fällt der Architektur zu. Hölscher
hat schon für die IV. Dynastie im Torbau des Chefren einen Saal mit 16 mono-
lithen Granitpfeilern nachgewiesen, den 23 überlebensgroße Königsstatuen
schmückten. Dem architektonischen Ganzen mußte die Figur sich unterordnen.
STIL DER RUNDPLASTIK
Erscheinung aus. Es ist eine schwierige künstlerische Aufgabe, die im Grunde
wenige Zeiten glücklich gelöst haben, die charakteristischen und augenfälligen
Stoffunterschiede der Haut, der Augen, Haare und Gewänder in das gleich-
artige Material der Figur zu übertragen, d. h. sie als Formunterschiede
zu interpretieren, ohne die plastische Einheit zu zerstücken. Die Spätaritike
und die Renaissance waren in dieser Hinsicht unerträglich formlos. Die
Künstler machten den problematischen Versuch, die verschiedenen Stoffe als
verschiedenartig bewegte Formen wiederzugeben. Um natürlicher zu wirken,
kopierten sie die zufällige Lage einzelner Locken und Falten, wobei die
Zwischenräume materielle Löcher in den Block hineinbrachten, und häuften
so die Formkontraste in beunruhigender Weise. Die Ägypter setzten neben
Form und Farbe einen besonderen gleichwertigen Bildfaktor ein, um die Stoff-
differenzen zu vermitteln: das zeichnerische Ornament, mit dem zumal
die Künstler des neuen Reiches überraschende Kontrastwirkungen erzielten. In
den Frauenfiguren aus Kalkstein und Holz, Tafel 64 — 67, 70—76, überrieseln
die feinen Linien der Haarsträhne die massigen Perücken wie Zierlinien ein
Kapitell, und die gleichlaufenden Fältchen des durchsichtigen Byssus erhöhen
den Reiz der feingliedrigen Körper: In Ägypten schuf man sich — 1000 Jahre
vor dem Entstehen des bewunderten Ludovisischen Thrones mit der Geburt der
Aphrodite im Thermen-Museum in Rom —noch raffiniertere Formsensationen.
So wurde auch am Kalkstein, der sich als besonders geeignet hierfür erwies,
eine vorher unbeachtete Qualität entdeckt. Es entsprach dem koloristischen
Charakter der Figuren, daß die Ägypter die lebhaftere Farbe und den Glanz
der Augen oft durch schimmerndes Material Wiedergaben. Ein Lidrand aus
Kupfer umgab den Augapfel aus weißem Quarz oder Kalkstein, die Pupille
war meist aus Bergkristall; ein kleiner Stift aus Ebenholz oder Metall bezeichnete
den Augenstern. Im übrigen war man in Ägypten in der Verwendung mehrerer
Materialien sehr zurückhaltend. Von größtem koloristischen Reiz sind einige
inkrustierte Bronzen aus der Spätzeit, z. B. Tafel 100, Frauenfiguren, deren
Körper und Gewand mit silbernen Lineamenten überziert ist.
Ein großer Anteil an der Erziehung des plastischen Fühlens und Sehens, das
sich im Stil der ägyptischen Figuren äußert, fällt der Architektur zu. Hölscher
hat schon für die IV. Dynastie im Torbau des Chefren einen Saal mit 16 mono-
lithen Granitpfeilern nachgewiesen, den 23 überlebensgroße Königsstatuen
schmückten. Dem architektonischen Ganzen mußte die Figur sich unterordnen.