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Fechheimer, Hedwig; Cohn, William [Editor]
Die Kunst des Ostens (Band 1): Die Plastik der Ägypter — Berlin: Bruno Cassirer Verlag, 1922

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IV. Stil der Rundplastik, Statuen
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V. Reliefstil, Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.63179#0061
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RELIEFSTIL

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verkehrten Größenmaßstabes ausnutzt. Die Ägypter vermochten das tierische
Wesen zu einzigartiger religiöser Gewalt zu steigern. Wie zwingend sie Gebilde
der mythischen Phantasie in die Plastik übertrugen, erweist der Löwenleib mit
dem Haupte des Chefren, Tafel 43, noch in der Zerstörung wohl die gewaltigste
Skulptur der Erde.
Amenophis III., der Vorgänger des Religionsstifters, hatte mehr als fünfhundert
2 m hohe Granitstatuen der löwenköpfigen Sechmet in den Tempel der Mut zu
Karnak gestiftet. Die Tafeln 77, 78 zeigen ein Fragment dieser Statuen der ägyp-
tischen Kriegsgöttin — überzeugend in derVerbindung des Menschen- und Tier-
körpers—, die die Legende mit Trieben animalischer Grausamkeit ausstattete.
Einst hatte Re sie, nach dem Rat der anderen Götter, auf die Erde gesandt, um
die Menschen, „die Böses gegen ihn sannen“, zu vernichten. Sie stieg nachts
auf die Erde, tötete die fliehenden Menschen und war so furchtbar in ihrem
Grimm, daß von der Stadt Chenensuten an alles im Blute schwamm. „Als es
tagte, siehe, da hatte diese Göttin die Menschen geschlachtet. Da sprach die
Majestät des Re: Wie schön ist das, ich werde die Menschen vor ihr schützen.“
Er ließ die Felder mit einem berauschenden Trank überfluten. „Als die Göttin
am Morgen daherkam, so fand sie diese Felder überflutet und ihr Antlitz spiegelte
sich schön darin. Da trank sie davon und wurde vergnügt, betrunken ging sie
umher und erkannte die Menschen nicht mehr.“

V.
Kunstgeschichte ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Elemente
des Sehens konstant sind. Veränderlich sind allein die optischen Abstrak-
tionen derWirklichkeit und die Auslese der Formen. Sie entspringen der eigen-
tümlichen Körperphantasie eines Volkes, seiner Kraft, die innere Wirklichkeit
in Bildern abzuzeichnen.
Das ägyptische Relief, die strengste Flächenplastik, die wir kennen, wurde
schon im Altertum durch die griechische Reliefauffassung so vollständig verdrängt,
daß sie allmählich aus dem allgemeinen Formbewußtsein ausschied und den
Wiederentdeckern der ägyptischen Kunst als deren fremdartigster Bestand-
teil erschien. Selbst bei den Kennern dieser Kunst gilt das ägyptische Relief
wegen der mangelnden Figurenperspektive als rückständig gegenüber dem
griechischen. H. Schäfer wies kürzlich in seinem Aufsatz „Scheinbild oder
Wirklichkeitsbild“ (Zeitschrift für ägypt. Sprache und Altertumskunde, Bd. 48)
 
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