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Daheim — 50.1914

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Hefte 1-4, August 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.2837#0091
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Nr. t«.

witterten sie die Schlacht. Und nun erst auf den Bahnhöfen!
Wie ziehen unsere Reservisten hinaus, von Weib und Kind
und liebgewordenem Beruf: Glänzen in den Augen und Ent-
schlossenheit und Freude, daß ihnen vergönnt ist, was, ach so
vielen versagt bleibt, ihr Blut zu geben für das Vaterland.
Aber ehe es soweit ist, vergeht noch eine quälende Zeit des
Wartens. Da kommt die mühsame Einkleidung. Der Kam-

z,08^91

merkorporal ist in diesen Tagen eine der Hauptpersönlichkeiten.

Das ist auch für ihn ein Tag des Eramens, und, die er sonst
wie einen Augapfel gehütet hat, die ersten Garnituren, jetzt
muß er sie herausgeben und tut's mit Seufzen und schwerem
Herzen. Das ist der Krieg. Es muß jeder geben, was ihm
am teuersten ist, und es geht wie im Märchen, da der Vater,
sein Gelöbnis haltend, das eigene Kind darbringt.

Lüttich unser!

Wenn die Herren Moskowiter geglaubt hatten, unser treues
Ostpreußen mit ihren Reiterscharen überschwemmen zu können.

teilung in beispielloser Kühnheit die Festung durch einen Hand-
streich zu gewinnen. Dieser mißlang. Jn der Nacht zum

Das eroberte LLttich. Photoglob To., Zürich, phot.

so haben sie sich gründlich getäuscht. überall, wo sie einzu-
brechen suchten, sind sie sofort mit blutigen Köpfen heimgeschickt
worden. Das hat nian nicht viel anders erwartet. Wer von
uns aber HStte zu hoffen gewagt, daß un-
sere tapferen Krieger noch vor vollendeter
Mobilmachung eine große, von allen Mit-
teln moderner Kriegstechnik umgürtete
Festung mit stürmender Hand nehmen
könnten?! Tie Kriegsgeschichte kennt
kaum ein Beispiel, in dem selbst unter
dcn einfachen Verhältnissen früherer Zeit
solch ein Sturm geglückt wäre. Lüttich
aber, dessen Werke einst von dem berühm-
ten Festungsbaumeister Brialmont ent-
worfen wurden, ist in den letzten Jahren
zu einem Waffenplatz ersten Ranges aus-
gebaut worden, auf den die belgische Ar-
mee nicht wenig stolz war. Außer der
großen hochgelegenen Citadelle schützten
ungemein starke, weit vorgeschobene Forts
die Stadt. Solch ein modernes Fort,
ausgestattet mit Riesengeschützen in Pan-
zerdeckungen, mit Gräben, die wieder
durch Leaeminen und Maschinengewehre
gesichert sind, mit Drahthindernissen und
Wolfsgruben, gilt im allgemeinen als
durchaus „sturmfreies" Werk; der tech-
nische Ausdruck besagt schon, daß die Fach-
leute einen Sturm ohne vorherige lang-
wierige Belagerungsarbeiten fast für eine
Unmöglichkeit erachten. Und doch ist es
geschehen: das stolze reiche Lüttich ist
unser! — Noch stehen, während wir dies schreiben, die Einzel-
heiten des Kampfes aus. Nur das kann gesagt werden: am
8. August versuchte eine weit vorgeschobene kleine deutsche Ab-

7. August aber wurde durch General von Emmich mit stärkeren
Kräften der Sturm wiederholt, wobei aller Wahrschemlichkeit
nach unsere schwere Feldartillerie wacker vorgearbeitet habcn
wird, und um 8 Uhr früh war die Feste
gefallen! Damit ist die große, durch ihre
Waffenfabriken weltberühmte Stadt Lüt-
tich (etwa 200000 Einwohner) und mit
ihr das Maastal in unseren Händen samt
einem umfangreichen Straßen- und Eisen-
bahnnetz. — Und kaum war der Fall von
Lüttich bekannt gcworden, da brachte der
Draht die Kunde, daß der von der Kai-
serlichen Marine übernommene kleine
Bäderdampfer „Königin Luise" die fast
unglaubliche Kühnheit besessen hat, vor
den englischenKriegshafen an der Themse-
mündung zu fahren und dort Spreng-
minen auszuwerfen. Das kleine Schiff
wurde bei diesem Handstreich freilich zum
Sinken gebracht; aber seine kühne Tat
hatte Erfolg, denn der Kreuzer „Am-
phion", ein neues wertvolles Schiff der
englischen Kriegsmarine, lief aufeine von
der „Königin Luise" geworfene Mine und
flog in die Luft. — Gewaltige Erfolge
wurden uns also geschenkt, bedeutungs-
voll nicht zuletzt in ihrer moralischen
Wirkung auf unsere eigenen Truppen zu
Wasser und zu Lande, vor allem aber
auf den Feind und das Ausland. Da
wird so mancher sich vor die Brust schla-
gen: das geht ja noch toller und schneller'
als Anno 1870! Wir aber wollen nicht übermütig werden.
Nur weiter hoffen wollen wir und dem Herrn der Heerscharen,
unserm guten Gott, vertrauen.

General von Cmmich.

Zz Von der russischen Grenze. Feldpostbrief Nr. 1. D

Vor acht Jahren kannte in Deutschland kaum jemand den
Namen Skalmirzyce, und jetzt ist es ein Grenzübergangsort
geworden, der an Personen- und Güterverkehr bereits die alt-
berühmten Übergängc Eydtkuhnen, Alerandrowo und Sasno-
wice übertrifft. Das alte Dorf Skalmirzyce liegt noch jetzt in
friedlicher Abgeschiedenheit abseits des großen Weltverkehrs;
es hat ganz und gar polnische Bevölkerung. Dagegen ist durch
den neuen gewaltigen Bahnhof ein zweiter, Lberwiegend deut-
scher Ort entstanden, der auch den verdeütschten Namen Neu-
Skalmierschütz erhalten hat. Dort flutet jetzt fast zu jeder
Jahreszeit ein mächtiges Treiben hin und her; alle möglichen
ausländischen Gestalten, unter denen die russischen Iuden niit
ihrer altväterlichen Tracht in den langen Kaftanen, niedrigen
Mützen, hohen Stiefeln und stattlichen Bärten nicht die letzte
Rolle spielen, erfüllen den Bahnhof. Vor acht Iahren bei Er-

öffnung der Qbergangsbahn, wohnten kaum 200 Seelen in dem
neu gegründeten Ort; jetzt ist die Bevölkerung bereits auf mehr
als 2000 gestieaen. Der weit überwiegende Teil der neuen Be-
wohner gehört oem evangelischen Bekenntnisse an. Nach Fertig-
stellung der Eisenbahnverbindung hat natürlich der früher
allein benutzte Chausseeübergang erheblich an Bedeutung ein-
gebüßt. Jmmerhin entwickelt sich auch dort noch ein lebhaftes
Treiben, und die sogenannte Rogatka (Grenzkette) bei Szczy-
piovno (dicht hinter Neu-Skalmierschütz und 6 Klm. vor der
russischen Gouvernementhauptstadt Kalisch) mit ihren schroffen
Gegensätzen zwischen russischem und deutschem Wesen hüben
und drüben ist das Ziel zahlreicher Spaziergänger.

Fe mehr sich die Spannung zwischen Lsterreich und
Serbien in den letzten Wochen vcrschärfte und je näher die
Gefahr eines deutsch-russischen Krieges rückte, desto höher stieg
 
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