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Daheim — 51.1914-1915

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Hefte 31-35, Mai 1915
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- L16

Nr. rs. Scitr 1-

weiton, von einzelnen Wassertümpeln bedeckten Fläche. Weiter
geht es dann auf Wald- und Wiesenpfaden zum Donoper Teich
und zur Dörenschlucht, vermutlich dem Schauplatz der Varus-
schlacht. Es ist eigentlich keine Schlucht, sondern eine Tal-
mulde mit altem Sperrwall, die natürliche Durchgangspforte
von der lippi-
schen Seite des
Teutoburger
Waldes zur
westfälischen
Ebene. Hier
also soll es ge-
wesen sein, wo
Hermann im
September des
Jahres 9 nach
Christi Geburt
in dreitägiger
Schlacht die
drei Legionen
des Quintilius
Varus, mehr
als zwanzig-
tausend Mann
nebst Troß und
Gepäck, fast
gänzlich ver-
nichtete,worauf
der römische
Feldherr aus
Verzweiflung
Selbstmord be-
ging. Es ist in
gelehrten Krei-
sen über die
Örtlichkeit der
Varusschlacht gg
viel gestritten

worden. Der Laie, der dem Streit der gelehrten Herren un-
möglich in alle Einzelheiten zu folgen vermag, vermißt in der
freundlichen Dörenschlucht vielleicht „des Waldes Dufter", wie
es in dem vielgesungenen schönen Liede heißt, die wilde,
schaurige Szenerie des gewaltigen Dramas. Zu unserer Vor-
stellung von den alten Germanen gesellt sich ja unwillkürlich
die andere vom undurch-
dringlichen deutschen Ur-
wald. Nun muß man aber
bedenken, daß die römischen
Geschichtsschreiber, unsere
einzigen Gewährsmännerfür
die Schilderung des damali-
gen Deutschlands, ihren
Stoff den aus Germanien
heimgekehrten Kriegern ver-
dankten. Für die Söhne des
waldarmen, sonnigen Jta-
liens hatte das deutsche
Waldgebirge erklärlicher-
weise etwas Erschreckendes,
und mit südländischer Über-
treibung stellten sie dann
Germanien als ein furchtbar
rauhes, unwirtliches Land
hin. Zweifellos hat es in
Deutschland zur Römerzeit
außer den ausgedehnten
Wäldern auch weite Flächen
Acker- und Wiesenlandes ge-
geben, waren die Deutschen
doch in der Hauptsache ein
Bauern- und Diehzüchter-
volk. Sonst hätten sich die
Römer auch schwerlich von
Deutschland so angezogen
gefüblt.

Nach Südwesten öffnet
sich die Dörenschlucht auf die
Senne, jenen Teil der west-
fälischen Heide, der in bun-
ter Abwechslung Sand- und
Heideflächen, Wald und
Ackerland zeigt. Die von
den Kennern sehr geschätzten
Sennepferde können wir im
Gestüt des fürstlichen Jagd-
schloffes Lopshorn bewun-
dern. Von Lopshorn geht
es auf lauschig einsamen
Bergwaldpfaden quer über Kj

Aus dem Naturschutzpark Tonoperteich.

den Gebirgskamm wieder zur anderen Seite zurück, nach dem
waldumfriedigten, von der ehemaligen Falkenburg überraaten
Tal der Ortschaft Berlebeck, einer beliebten Sommerfrische.
Jm weiteren Verlauf unserer Wanderung gelangen wir dann
an den Berlebecker Quellen und der Falkenburg vorbei zur

umfangreich-
sten Felsenpar-
tie des Gebir-
ges, den sagen-
umwobenen
Erternsteinen.
Es ist eine
Gruppe von
füns Sandstein-
felsen, M-40
Meter hoch und
an einer Seite
von einem klei-
nen Gewässer
egrenzt. Man
at in wissen-
schaftlichen
KrersendenUr-
sprung des Na-
mens Ertern-
steine ebenso
lebhaft erörtert
wie das Alter
und die Bedeu-
tung der hier
befindlichen
Kultusstätte;in
den frühesten
Urkunden wer-
den die Felsen
Agistersteine
R genannt. Die
Kultusftätte

befindet sich im westlichsten Felsen in Gestalt einer geräumigen
Grotte, die nach einer vorhandenen Jnschrist aus dem Jahre
1115 damals vom Bischof Heinrich von Paderborn als Heilige-
grabeskapelle eingerichtet wurde. Aus derselben Zeit stammt
das neben dem Eingang aus der Felswand gemeißelte große
Relief der Kreuzabnahme, ein im wesentlichen gut erhaltenes,

hochbedeutendes Denkmat

Dic Krcuzabnahme. Hochrelicf an den Erternstcinen.

früher christlicherKunst. Aber
vermutlich reicht der Aus-
bau der Grotte auf sehr viel
ältere Zeiten zurück; allerlei
Zeichen deuten daraus hin,
daß sich hier ein altgerma-
nisches Heiligtum befunden
hat, das dann später von
den Mönchen, wie ste es
überall zu tun pflegten,
durch ein christliches ersetzt
worden ist. Natur, Kunst
und weihevolle Erinnerun-
gen treffen zusammen, um
aus den Erternsteinen eine
der besuchenswertesten Stät-
ten Mitteldeutschlands zu
machen.

Der Wanderer, der die
ganzehierbeschriebeneStrecke
mit diesem oder jenem Sei-
tensprung behaglich in etwa
drei Tagen zurücklegt, wird
vom Lippischen Walde nicht
scheiden wollen, ohne seinem
südöstlichen Abschluß und
zugleich seiner bedeutendsten
Erhebung, dem 468 Meter
hohenVölmerstod, einen Be-
such abzustatten. Ein präch-
tiger Rundblick belohnt dre
kleine Mühe des Steigens;
der Teutoburger Wald, die
Senne, die Hochebene von
Paderborn, das Egge-
gebirge, das lippische Land
bis zu dem fernen Kamm
der Weserberge, unzählige
kleine und größere Ort-
schaften, das liegt wie ein
buntgewebter Teppich zu
Füßen, einer der schönsten,
gesegnetsten Gaue unseres
teuren Paterlandes.

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