Seitc 24 «»««»«««««««««««»««««««»»«»«cvTSMKSKSSST»«:»»««»««:««;« Nr. 42.
Wie ich die letzten Zeilen hier wieder lese, muten fie mich
ein wenig fremdartig an. Warum so tragisch gegen den Hatz
Front machen, wo doch soviel Liebe und Fnede in der Welt
lst? So z. B. auf unserm Zuckerraffineriehof. Die Polen und
Tschechen und Galizier und Nngarn und Deutschen, die hier
arbeiten, verstehen einer die Sprache des andern nicht; aber
sie leben doch in Eintracht und tzarmonie, allein verbunden
durch die Weltsprache des Herzens. —
Was scharrt da übrigens an der Tür? Es ist der Wal-
dow, der stch sehr an mich gewöhnt hat und mir aufs Wort
folgt, mit dem Lieschen im Maul. Jetzt mufi ich hell auflachen,
denn der Hund wirft das Kätzchen in seinen Korb hinein
und springt dann hinterher. Und Lieschen ist es zufneden,
denn ste kuschelt sich weich und warm an ihn an. Die Tiere,
und wenn ste sich auch sonst wie Hund und Katze hassen, ver-
tragen sich, sobald ste stch aneinander gewöhnt haben. Aber
die Menschen? —
Als wir etwa sechs Wochen auf dem Raffineriehof waren,
gingen plötzlich zwei Kälbchen ein. Darüber entstand großes
Geschrei. Der Berwalter behauptete, die Schweizer wären
daran schuld, was diese aber entschieden in Abrede stellten. Ein
Wort gab das andere, und schließlich wurde der Streit so hestig,
daß der Verwalter die Schweizer Knall und Fall aus dem
Dienst jagen wollte. Das ging ja nun nicht so ohne weiteres,
aber es wurde uns doch nur acht Tage Frist gegeben, unsere An-
gelegenheiten zu ordnen und uns nach einer anderen Stellung
umzusehen. Jn acht Taaen müsse die Wohnung geräumt sein.
Das war ja Srgerlich. Nun war es also so weit, wie ich schon
seit einigen Tagen fürchtete: wir waren arbeitslos. Gerade
an deni kritischen Tage hatte auch iraend jemand — ob es
die Schafferin war, weiß ichnicht — dem Verwalter hinter-
bracht, ich verschenkte viel Milch. Der stellte meinen Mann
deshalb zur Rede, der doch von nichts wußte. Aufgeregt kam
dieser dann zu mir und machte mir eine heftige Szene.
Schließlich hatten stch bei seiner Wut in seinem Kopf alle Be-
griffe verschoben, und er behauptete zornbebend, ich sei schuld,
daß wir von der Stelle müßten — wie Lbrigens noch über-
all. Woher ich die Krast nahm, allen diesen Vorwürfen gegen-
über ruhig zu bleiben, weiß ich nicht, aber da ich ruhig blieb,
fand schließlich auch mein Mann feine Besonnenheit wieder,
und die letzten Tage auf dem Zuckerraffineriehof gingen eini-
germaßen friedlich vorüber.
Unangenehm für uns aber war, daß stch die Herrschaft
für die zwei eingegangenen KSlber an unserem Lohne schad-
los halten wollte. Wenn wir Zeit und Geld gehabt hätten,
vor Gericht zu klagen, so wäre das vielleicht abzuwenden gc-
wesen; so aber hatten wir schon alle unsere Ersparniffe em-
gebüßt. Erst die lange Reise von Berlin her für meinen Mann
und mich, dann der Transport und der Zoll für die Möbel.
Und nun wieder die Reise zu einer neuen Stelle, die wir erst
suchen mußten. Da mußten wir alle Kräste zusammennehmen,
um den Kopf oben zu behalten. Solange man gesund und stark
ist, darf man den Mut nicht stnken laffen; es ist ja bisher
immer noch gegangen, und es wird auch jetzt wieder weiter-
gehen!
Zunächst hieß es die Wirtschaft auflösen, denn die konn-
ten wir auf keinen Fall aufs ungewiffe mit uns herum-
schleppen. Auch gebrauchten wir Geld. Den drei Schweizer-
burschen muß ihr Recht werden. Da ihnen nicht rechtzeitig ge-
kündigt ift, bekommen ste noch für weitere vierzehn Tage Lohn.
Dazu kam, daß ich beim Metzger zwanzig Gulden Schulden
hatte für entnommene Waren. Jch ging also zum Althändler.
Der erste, bei dem ich anklopste, wollte keine Sachen kaufen;
er hätte noch genug dastehen, meinte er, Ja, dies kleine öster-
reichische Landstädtchen ist eben nicht Berlin, wo jeden Tag
eine Wirtschast verkaust werden kann. Der zweite dageaen
bezeigte schon eher Kauflust, und kam auch mit, um die Sachen
anzusehen. Aber es war em »billiaer Mann", das heißt, einer,
der es versteht, billig einzukausen. Und er stngdenn auch
an. an allem etwas auszusetzen, als wolle er die Sachen nicht
geschenkt haben. Freilich waren die Möbel nur einfach und
aus Tannenholz, dazu kam noch, daß einige Stücke auf dem
Transport angestoßen und beschädigt waren. Aber es waren
doch Tisch, Stühle, Sosa, Spiegel, Schrank und zwei Betten Und
was bot er? Er meinte zögernd: wenn ich ihm noch das
Geschirr dazugäbe, wolle er — vierzig Gulden zahlen, und
keinen Heller mehr. War das nicht ein unerhört niedriges
Anaebot? Auch zwei große Zinkwafchwannen und ein kleiner
kupferner Keffel rechneten mn dazu! Soviel ich auch in ihn
drang, er blieb fest, und wollte nicht mehr zahlen, und so ließ
ich ihm schließlich alles für den lächerlich geringen Preis.
Nur eine große alte Truhe und zwei Reifekörbe sowie das
allernotwendigste Geschirr behielten wir für uns. Die Hälfte
des Geldes zahlte er gleich an. Das war nun schon das dritte-
mal, daß wir unsere kleine Wirtschast auflösen und verkaufen
mußten! Wie oft wird es noch geschehen? Und werden wir
übcrhaupt jemals irgendwo festwurzeln?
Wie schwer und wie sauer wird es doch einem Arbeiter,
die Wirtschast Stück für Stück anzuschaffen! An jedem ein-
zelnen kleben Erinnerungen. Da ist es dann bitter, alles zu-
sammen für einen Bruchteil des Kostenpreises fortgeben zu
müflen. Als ich mir am nächsten Morgen das Haar ordnete,
erschrak ich ein wenig. Waren denn die Krähenfüße unter
den Augen Lber Nacht gekommen und die Furchen auf der
Stirn? Da brauche ich mich wohl nicht zu wundern, wenn
nun auch eines schönen Tages die weißen Fäden im Haar
kommen. Dann bin ich wirklich das, was mein Mann schon
lange zu mir sagt: „die Alte".
Jch habe einmal gelesen, daß die Ratten ein Schiff ver-
laffen sollen, das dem Untergange bestimmt ist. Da hat unser
Lieschen, die Katze, wie es scheint, denselben Jnstinkt beseffen.
Denn eines Tages war ste verschwunden und kam nicht wie-
der. Das nahm stch denn der gute, treue Tolpatsch, der Wal-
dow, sehr zu Herzen und stng in der Nacht jämmerlich an
zu heulen. Mir machte diese Anhänglichkeit des Hundes Freude,
und ich hätte ihn gern bis zu unserer Abreise behalten, aber
mein Mann bestand darauf, das Tier müffe fort. Da es ein
schönes Hündchen war, so nahm ihn mir der Gemischtwaren-
HSndler ab. Dort wird es der Waldow stcherlich gut haben.
Nun war unser letzter Tag auf dem Zuckerrasfineriehof
herangekommen. Mein Mann hatte seinen Lohn ausbezahlt
erhalten. Nachdem er den Schweizerburschen gerecht gewor-
den war, sahen wir, daß uns noch viel Geld sehlte, um an
eine neue Arbeitsstelle zu kommen. Es blieb uns also nichts
Lbrig, als noch etwas Kleider zu verkaufen. Das brachte denn
auch soviel Geld, daß wir fort konnten. Mein Mann wollte
es in Westfalen einmal versuchen. Von dem ersten Lohn nach
vier Wochen wollten wir uns dann wieder etwas Wirtschaft
anschaffen und später immer ein Stück nach dem andern. Bis
dahin aber gab es wieder eine Strohwirtschaft; aber diesmal
hatten wir wenigstens gleich von vornherein Federbetten da-
zu, denn .die hatten wir aus dem Zusammenbruch gerettet.
Der „billige Mann" hatte unsere Wirtschast abgeholt, die
Betten hatte ich in die Truhe hineingezwängt und die andern
Kleidunasstücke und Gebrauchsgegenstände füllten die Reise-
koffer. Die Wohnung, die ich gründlich gescheuert und ge-
säubert hatte, war also leer. Nun wollten wir fort, und die
Leute kamen, um Abschied zu nehmen. Zunächst die Ungar-
stau. Sie hatte Tränen im Auge und machte eine betrübte
Miene. Aber das ließ ich nicht aufkommen. Reden konnte
ich mit ihr nicht, denn wir verstanden ja gegenseitig unsere
Sprache nicht, so fing ich an zu singen und nahm sie beim
Wickel und tanzte mit ihr in der leeren Stube herum. Da
verging ihr die Traurigkeit, und ste lachte unbändig.
„Ach du lieber Augustin!
Alles ist weg!"
fielen die Schweizerburschen ein, die eben hereintraten.
Nun ging ich zu der armen polnischen Familie. Jch hatte
etwas ausgesucht von meinen Kleidern, das ich entbehren
konnte; das aab ich der Frau. Die fing dabei heftig an zu
weinen, und die Kinder stimmten ein und wollten mir nur
immerfort die Hände küffen.
Nachdem ich den übrigen Nachbarn Lebewohl gesagt hatte,
trieb es mich zu meinen lieben Zwillingen Joseph und Bozena.
Als ich ste umarmte und immer wieder herzte und küßte,
ahnten dre lüßen Dinger nicht, daß wir uns nie wiedersehen
würden. Sie waren die einzigen auf dem Zuckerraffineriehof,
von denen ich mich schweren Herzens trennte.
Nun traten wir fünf „Stallschweizet" den Gang zur Bahn
an. Auf dem Wege sagte ich noch dem Gemischtwarenhändler
und seiner Frau Lebewohl. Waldow hatte sich schon ein wenig
dort eingewöhnt, aber er jaulte, als ich nun fortging. Auch
beim Metzger sprach ich vor und brachte ihm die zwanzig Gulden,
die ich noch schuldig war. Die Metzgersstau schenkte mir noch
eine schöne große Fleischwurst, damit wir doch auf der Reise
nicht Not zu leiden hätten.
Am Bahnhof erwartete uns schon die tiroler Familie, die
es schmerzlich bedauerte, daß wir so bald schon wieder wan-
dern mußten. Aber, wenn man in abhängiger Stelluna ist,
steht man immer mit einem Fuß drinnen und mit dem anoern
Fuß draußen. Nach herzlichem Abschied stiegen wir in den
Zug, der uns wieder nach Deutschland bringen sollte.
Seitdem wir von dem Zuckerraffineriehof an der öster-
reichischen Grenze fortgezogen sind, hat sich schon wieder viel
ereignet in meinem Leben; vielleicht schreibe ich es später noch
einmal nieder; vorläufig liegen mir die Ereigniffe aber noch
zu nahe, und der Spiegel, in dem ich sst sehe, ist noch nicht
Üar genug.
Wenn ich mein bisheriges Leben überschaue, so ist es mir
wie eine eindringliche Predigt über den Segen der Scholle.
Meine Väter und Vorväter waren festgewurzelt in der Heimat
und haben die Nase wenig herausgesteckt aus ihrem Dorfe.
Jch habe keine Scholle, keine Heimat, bin dagegen weit herum-
gekommen in Deutschland. An einen Arbeiter verheiratet, bin
ich wie ein Zigeuner, heute hier, morgen da und dann wieder
woanders. Aber die Zigeuner haben es fast noch beffer als
ich, da ste ja ihr Haus stets mit stch führen. Wo werde ich
noch einmal festwurzeln? —
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Wie ich die letzten Zeilen hier wieder lese, muten fie mich
ein wenig fremdartig an. Warum so tragisch gegen den Hatz
Front machen, wo doch soviel Liebe und Fnede in der Welt
lst? So z. B. auf unserm Zuckerraffineriehof. Die Polen und
Tschechen und Galizier und Nngarn und Deutschen, die hier
arbeiten, verstehen einer die Sprache des andern nicht; aber
sie leben doch in Eintracht und tzarmonie, allein verbunden
durch die Weltsprache des Herzens. —
Was scharrt da übrigens an der Tür? Es ist der Wal-
dow, der stch sehr an mich gewöhnt hat und mir aufs Wort
folgt, mit dem Lieschen im Maul. Jetzt mufi ich hell auflachen,
denn der Hund wirft das Kätzchen in seinen Korb hinein
und springt dann hinterher. Und Lieschen ist es zufneden,
denn ste kuschelt sich weich und warm an ihn an. Die Tiere,
und wenn ste sich auch sonst wie Hund und Katze hassen, ver-
tragen sich, sobald ste stch aneinander gewöhnt haben. Aber
die Menschen? —
Als wir etwa sechs Wochen auf dem Raffineriehof waren,
gingen plötzlich zwei Kälbchen ein. Darüber entstand großes
Geschrei. Der Berwalter behauptete, die Schweizer wären
daran schuld, was diese aber entschieden in Abrede stellten. Ein
Wort gab das andere, und schließlich wurde der Streit so hestig,
daß der Verwalter die Schweizer Knall und Fall aus dem
Dienst jagen wollte. Das ging ja nun nicht so ohne weiteres,
aber es wurde uns doch nur acht Tage Frist gegeben, unsere An-
gelegenheiten zu ordnen und uns nach einer anderen Stellung
umzusehen. Jn acht Taaen müsse die Wohnung geräumt sein.
Das war ja Srgerlich. Nun war es also so weit, wie ich schon
seit einigen Tagen fürchtete: wir waren arbeitslos. Gerade
an deni kritischen Tage hatte auch iraend jemand — ob es
die Schafferin war, weiß ichnicht — dem Verwalter hinter-
bracht, ich verschenkte viel Milch. Der stellte meinen Mann
deshalb zur Rede, der doch von nichts wußte. Aufgeregt kam
dieser dann zu mir und machte mir eine heftige Szene.
Schließlich hatten stch bei seiner Wut in seinem Kopf alle Be-
griffe verschoben, und er behauptete zornbebend, ich sei schuld,
daß wir von der Stelle müßten — wie Lbrigens noch über-
all. Woher ich die Krast nahm, allen diesen Vorwürfen gegen-
über ruhig zu bleiben, weiß ich nicht, aber da ich ruhig blieb,
fand schließlich auch mein Mann feine Besonnenheit wieder,
und die letzten Tage auf dem Zuckerraffineriehof gingen eini-
germaßen friedlich vorüber.
Unangenehm für uns aber war, daß stch die Herrschaft
für die zwei eingegangenen KSlber an unserem Lohne schad-
los halten wollte. Wenn wir Zeit und Geld gehabt hätten,
vor Gericht zu klagen, so wäre das vielleicht abzuwenden gc-
wesen; so aber hatten wir schon alle unsere Ersparniffe em-
gebüßt. Erst die lange Reise von Berlin her für meinen Mann
und mich, dann der Transport und der Zoll für die Möbel.
Und nun wieder die Reise zu einer neuen Stelle, die wir erst
suchen mußten. Da mußten wir alle Kräste zusammennehmen,
um den Kopf oben zu behalten. Solange man gesund und stark
ist, darf man den Mut nicht stnken laffen; es ist ja bisher
immer noch gegangen, und es wird auch jetzt wieder weiter-
gehen!
Zunächst hieß es die Wirtschaft auflösen, denn die konn-
ten wir auf keinen Fall aufs ungewiffe mit uns herum-
schleppen. Auch gebrauchten wir Geld. Den drei Schweizer-
burschen muß ihr Recht werden. Da ihnen nicht rechtzeitig ge-
kündigt ift, bekommen ste noch für weitere vierzehn Tage Lohn.
Dazu kam, daß ich beim Metzger zwanzig Gulden Schulden
hatte für entnommene Waren. Jch ging also zum Althändler.
Der erste, bei dem ich anklopste, wollte keine Sachen kaufen;
er hätte noch genug dastehen, meinte er, Ja, dies kleine öster-
reichische Landstädtchen ist eben nicht Berlin, wo jeden Tag
eine Wirtschast verkaust werden kann. Der zweite dageaen
bezeigte schon eher Kauflust, und kam auch mit, um die Sachen
anzusehen. Aber es war em »billiaer Mann", das heißt, einer,
der es versteht, billig einzukausen. Und er stngdenn auch
an. an allem etwas auszusetzen, als wolle er die Sachen nicht
geschenkt haben. Freilich waren die Möbel nur einfach und
aus Tannenholz, dazu kam noch, daß einige Stücke auf dem
Transport angestoßen und beschädigt waren. Aber es waren
doch Tisch, Stühle, Sosa, Spiegel, Schrank und zwei Betten Und
was bot er? Er meinte zögernd: wenn ich ihm noch das
Geschirr dazugäbe, wolle er — vierzig Gulden zahlen, und
keinen Heller mehr. War das nicht ein unerhört niedriges
Anaebot? Auch zwei große Zinkwafchwannen und ein kleiner
kupferner Keffel rechneten mn dazu! Soviel ich auch in ihn
drang, er blieb fest, und wollte nicht mehr zahlen, und so ließ
ich ihm schließlich alles für den lächerlich geringen Preis.
Nur eine große alte Truhe und zwei Reifekörbe sowie das
allernotwendigste Geschirr behielten wir für uns. Die Hälfte
des Geldes zahlte er gleich an. Das war nun schon das dritte-
mal, daß wir unsere kleine Wirtschast auflösen und verkaufen
mußten! Wie oft wird es noch geschehen? Und werden wir
übcrhaupt jemals irgendwo festwurzeln?
Wie schwer und wie sauer wird es doch einem Arbeiter,
die Wirtschast Stück für Stück anzuschaffen! An jedem ein-
zelnen kleben Erinnerungen. Da ist es dann bitter, alles zu-
sammen für einen Bruchteil des Kostenpreises fortgeben zu
müflen. Als ich mir am nächsten Morgen das Haar ordnete,
erschrak ich ein wenig. Waren denn die Krähenfüße unter
den Augen Lber Nacht gekommen und die Furchen auf der
Stirn? Da brauche ich mich wohl nicht zu wundern, wenn
nun auch eines schönen Tages die weißen Fäden im Haar
kommen. Dann bin ich wirklich das, was mein Mann schon
lange zu mir sagt: „die Alte".
Jch habe einmal gelesen, daß die Ratten ein Schiff ver-
laffen sollen, das dem Untergange bestimmt ist. Da hat unser
Lieschen, die Katze, wie es scheint, denselben Jnstinkt beseffen.
Denn eines Tages war ste verschwunden und kam nicht wie-
der. Das nahm stch denn der gute, treue Tolpatsch, der Wal-
dow, sehr zu Herzen und stng in der Nacht jämmerlich an
zu heulen. Mir machte diese Anhänglichkeit des Hundes Freude,
und ich hätte ihn gern bis zu unserer Abreise behalten, aber
mein Mann bestand darauf, das Tier müffe fort. Da es ein
schönes Hündchen war, so nahm ihn mir der Gemischtwaren-
HSndler ab. Dort wird es der Waldow stcherlich gut haben.
Nun war unser letzter Tag auf dem Zuckerrasfineriehof
herangekommen. Mein Mann hatte seinen Lohn ausbezahlt
erhalten. Nachdem er den Schweizerburschen gerecht gewor-
den war, sahen wir, daß uns noch viel Geld sehlte, um an
eine neue Arbeitsstelle zu kommen. Es blieb uns also nichts
Lbrig, als noch etwas Kleider zu verkaufen. Das brachte denn
auch soviel Geld, daß wir fort konnten. Mein Mann wollte
es in Westfalen einmal versuchen. Von dem ersten Lohn nach
vier Wochen wollten wir uns dann wieder etwas Wirtschaft
anschaffen und später immer ein Stück nach dem andern. Bis
dahin aber gab es wieder eine Strohwirtschaft; aber diesmal
hatten wir wenigstens gleich von vornherein Federbetten da-
zu, denn .die hatten wir aus dem Zusammenbruch gerettet.
Der „billige Mann" hatte unsere Wirtschast abgeholt, die
Betten hatte ich in die Truhe hineingezwängt und die andern
Kleidunasstücke und Gebrauchsgegenstände füllten die Reise-
koffer. Die Wohnung, die ich gründlich gescheuert und ge-
säubert hatte, war also leer. Nun wollten wir fort, und die
Leute kamen, um Abschied zu nehmen. Zunächst die Ungar-
stau. Sie hatte Tränen im Auge und machte eine betrübte
Miene. Aber das ließ ich nicht aufkommen. Reden konnte
ich mit ihr nicht, denn wir verstanden ja gegenseitig unsere
Sprache nicht, so fing ich an zu singen und nahm sie beim
Wickel und tanzte mit ihr in der leeren Stube herum. Da
verging ihr die Traurigkeit, und ste lachte unbändig.
„Ach du lieber Augustin!
Alles ist weg!"
fielen die Schweizerburschen ein, die eben hereintraten.
Nun ging ich zu der armen polnischen Familie. Jch hatte
etwas ausgesucht von meinen Kleidern, das ich entbehren
konnte; das aab ich der Frau. Die fing dabei heftig an zu
weinen, und die Kinder stimmten ein und wollten mir nur
immerfort die Hände küffen.
Nachdem ich den übrigen Nachbarn Lebewohl gesagt hatte,
trieb es mich zu meinen lieben Zwillingen Joseph und Bozena.
Als ich ste umarmte und immer wieder herzte und küßte,
ahnten dre lüßen Dinger nicht, daß wir uns nie wiedersehen
würden. Sie waren die einzigen auf dem Zuckerraffineriehof,
von denen ich mich schweren Herzens trennte.
Nun traten wir fünf „Stallschweizet" den Gang zur Bahn
an. Auf dem Wege sagte ich noch dem Gemischtwarenhändler
und seiner Frau Lebewohl. Waldow hatte sich schon ein wenig
dort eingewöhnt, aber er jaulte, als ich nun fortging. Auch
beim Metzger sprach ich vor und brachte ihm die zwanzig Gulden,
die ich noch schuldig war. Die Metzgersstau schenkte mir noch
eine schöne große Fleischwurst, damit wir doch auf der Reise
nicht Not zu leiden hätten.
Am Bahnhof erwartete uns schon die tiroler Familie, die
es schmerzlich bedauerte, daß wir so bald schon wieder wan-
dern mußten. Aber, wenn man in abhängiger Stelluna ist,
steht man immer mit einem Fuß drinnen und mit dem anoern
Fuß draußen. Nach herzlichem Abschied stiegen wir in den
Zug, der uns wieder nach Deutschland bringen sollte.
Seitdem wir von dem Zuckerraffineriehof an der öster-
reichischen Grenze fortgezogen sind, hat sich schon wieder viel
ereignet in meinem Leben; vielleicht schreibe ich es später noch
einmal nieder; vorläufig liegen mir die Ereigniffe aber noch
zu nahe, und der Spiegel, in dem ich sst sehe, ist noch nicht
Üar genug.
Wenn ich mein bisheriges Leben überschaue, so ist es mir
wie eine eindringliche Predigt über den Segen der Scholle.
Meine Väter und Vorväter waren festgewurzelt in der Heimat
und haben die Nase wenig herausgesteckt aus ihrem Dorfe.
Jch habe keine Scholle, keine Heimat, bin dagegen weit herum-
gekommen in Deutschland. An einen Arbeiter verheiratet, bin
ich wie ein Zigeuner, heute hier, morgen da und dann wieder
woanders. Aber die Zigeuner haben es fast noch beffer als
ich, da ste ja ihr Haus stets mit stch führen. Wo werde ich
noch einmal festwurzeln? —
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