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Scite 2 Nr. 10.

sammeln sich die Leute, Ungarn, Slavonier, Serben.
Die Ungarn vom Lande schwarzbraun, bedächtig, gern
mit spitz gewichstem Schnurrbart, die Slooaken heller,
häufig strohblond, die Serben finster und düster, meist
in hohen dunklen Lammfellmützen, an die Ruffen erinnernd.
Teilnahmios sehen sie deni Zuge nach, dessen Feuster von
Soldaiengesichtern gesüllt sind. Sie wissen. alle diese Svldaten,
die das Dampfroß in immer neuen Massen herbeiführt, sollen
üder die Donau zum Kampf gegen die serbischen Brüder;
aber kein Ausblitzen im Düster ihrer Augen verrät, was in
ihnen vorgeht. Eie sind fügsam geworden.

Das war nicht immer so. Jn Südungarn hatten sich
ebenso wie in Slavonien bei Kriegsbeginn gefährliche Nester
gebildet, von denen bei gegebener tselegenheit eine neue
„serbische Bewegung" ausgehen sollte. Als die Serben vor
Jahressrist die Donau überschritten und sich für kurze Zeit
in Semlin festgesetzt hatten, packten die „Swabas" in diesen
kleinen Grenzstädten ihre Habseligkeiten ein und flüchteten
tiefer in das Jnnere, um vor dem seindlichen Einbruch geschützt
zu sein. Die Zurückgebliebenen aber warteten klopsenden
Herzens auf die „Bratje", die Brüder von drüben, die auf
den Schwingen des weißen Doppeladlers ihnen die „Erlösung"
bringen sollten; die Popen hielten flammende Rcden, und neben
den rot-blau-weißen Flaggen wurde wohl auch die Militär-
fahne hervor-
gesucht, die
lange ver-
steckt gehal-
tene blutrote
mit dem Bil-
de des heili-
gen Andreas.

Aber man
wartete ver-
gebens. Statt
der Serben
kamendieUn-
garn wieder,
diesmal in
Uniform und
mit donnern-
dem „Zivio",
und da ver-
kroch man stch
schleunigst,
denn nun
wußte man,
daß es aus
war mit
der neuserbi-
schen Bewe-
gung im Ar-
padreiche. —

Der alte Put-
nik, der ehe-
malige ser-
bische Gene-
ralstabschef,
scheint für die
Serbensoeine

Art Nationalheld zu sein. Jch hatte gelegentlich mit einem ser-
bischen Herrn, dessen Familie seit über hundert Jahren in Süd-
ungarn angeseffen ist und der alle revolutionären Bewe-
gungen sür wahnfinnig hält, eine interessante Unterhaltung
über die Zeitverhältnisse. Nach seiner Ansicht ist das Unglück
Serbiens seine Dynastien. Das haus Obrenowitsch tangte
nichts, und das Haus Kara-Georgewitsch taugt noch weniger.
Der alte König Peter ist ein bemitleidenswerter Greis, Prinz
Gjorgie ein Schlingel, der Kronprinz Alerander als General-
inspekteur der Arniee eine Unmöglichkeit. Und nun siecht
auch Putnik dem Tode entgegen, der greise Wojwode, der
das durch russische Umtriebe zn Grunde gerichtete Land noch
hälte retten können. „Wir hatten da drüben einmal einen
Fürsten," sagte mcin Gewährsmann, „der Putnik glich — das
war der große Milosch. Wie er es war, so ist auch Putnik
ein Kriegsmann von altem Schrot und Korn, unerbittlich,
grausam, rücksichtslos, durchaus Gewaltmensch, aber ein Riese
an Wollen und Können. Er hat in Albanien ganze Ort-
schaften vom Boden vertilgen lassen, um etnographisch rcinen
Tisch zu schaffen, und ließ ein Regiment deziiiiieren, weil der
Kommanoeur ihm Widerstand leistete. Jn vier Feldzügen
hat er sich unvergängliche Lorbeeren errungen, und als der
Weltkrieg ausbrach, war er als Greis der Erste am Platze.
Bei seiner Durchsahrt im vorigen Sommer habe ich ihn zuni
letztcn Male gesehn. Er kam aus einem österreichischen Heil-
bad und wurde in Budapest sestgehalten. Aber man ließ den
kranken Alten wieder srei. Ich sche ihn noch vor mir: ge-
beugt, hinfällig, mit gnnz fahlem Geficht, in dem nur die
Augen lebten. Da wußte ich, daß es mit Serbien vorbei

war. Seit fünfzig Jahren liegt Serbien in der Auflösung.
Die Dynastien und die Gesellschaft sind sein Untergang. Der
serbische Bauer ist anspruchslos, schlicht, tapfer und ausharrend,
hält noch an seinen alten Sitten fest, ist gläubig und gibt sein
Herzblut für das Vaterland. Die sogenannte Gesellschaft
aber, der Kreis der oberen Zehntausend, ist von Erund aus
verderbt. Frankreich und Rußland hiben an ihr genagt.
Jn Belgrad wurde man zum Affen des Parisers und zum
Zerrbild des geschniegelten Pflasterireters vom Newskij-Pro-
spekt. Den letzten Anstoß gab die verderbliche Politik des
Schlaufuchses Pa.itsch. Er hat sich gründlich verrechnet.
Nun ist kein Halten mehr."

Jch glaube, daß mein Gewährsmann mit seiner kurzen
Charakt risierung dcr Verhältnisse so ziemlich recht hat . . .

Tiefer ging es in das Grenzland hinein: Über denFranzens-
Kanal. der Donau und Theiß verbindet und das Komitat
Bacska durchschneidet, ehemals eine sumpfige Wüstenei, jetzt
entwässert und in fruchtbares Land verwandelt, mit Zombor
als Hauptstadt, einem der Hauptsitze des ungarischen Serben-
tums. Endlich Neusatz — Ujvidek, wie es magyarisch heißt —
das vorläufige Endziel unserer Reise. Der Delegierte des
Roten Kreuzes, Herr Dehns, ein mecklenburgischer Kuts-
besitzer, erwartete uns bereits. Die Koffer der Schwestern
warcn auch hier nicht, so daß wir nochnials energisch den Draht

spielen lie-
ßen, mit dem
Erfolg, daß
das in Oder-
berg liegen
gebliebene
Eepäck am
nächstenMor-
gen denn auch
glücklich ein-
traf. Nun ge-
leiteten wir
die Schwe-
stern an den
Platz ihrer
Tätigkeit,
nach einem
ausgedehn-
ten Baracken-
lager, gut ge-
baut in den
Einzelheiten,
leider etwas
tief in der
Niederung
liegend, so
daß an Re-
gentagen der
Weg unbe-
quem wird.
Russische Ge-
fangene be-
schästigten
sich freilich
schon mit der
Auffüllung

der Wege, auch hatten die Pflegerinnen des Lazaretts sich
hohe ungarische Bänerinnenstiefel gekauft, in denen sie
tapfer dirrch den tintigen Urschleim tappten. Die größte
Anzahl der Schwestern und Pfleger war schon seit zehn
Monaten im Dienst. Sie hatten in Russisch-Polen und Galizien
unter erschwerenden Umständen wacker ausgehalten und waren
bei der Verschiebung des Lazaretts an die serbische Grenze
ihrem Delegierten gefolgt. Jch bin im Laufe des letzten
Jahres doch nun anf allen Kriegsschauplätzen gewesen und
kann immer nur wiederholen, wetche Bewunderung mir die
Schwestern des Roten Kreuzes und der Ritterorden abge-
nötigt haben. Die Schwestern stammen aus allen Gesell-
schaftsschichten, aus dem hohen Adel wie aus dem kleinen
Bürgertum, aber das gleiche Pflichtbewußtsein, das gleiche
Gefühl werktätiger Liebe hält sie zusammen und verleiht auch
ihnen eincn Schein des Heldentums.

Neun meiner Schwestern wurden eine Station weiter
gebracht, in das Lazarett von Karlowitz, zwei nach Slan-
kamen, der Theißmündung gegenüber, einem historischen Ort,
wo an einem heißen Augnsttage 1691 Markgraf Ludwig Wil-
helm von Baden — der große Reichsseldmarschall, dessen
Namen heute noch ein badisches und ein österreichisches Jn-
fanterieregiment führen — die Türken besiegte. Zwei
Schwestern cndlich kamen in das Lazarett des serbischen
Gymnasiums in Ujvidek.

Daß Ujvidek u. a. auch ein serbisches Gymnafium besitzt,
beweist schon, wie stark es von Serben bewohnt ist. Die
Stadt, erst 1740 angelegt und hundert Iahre später in den
österreich-ungarischen Kämpfen unter Iellalich fast völlig zer-

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