Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 32. Seitc 3

deutsche umgewandelt worden. Die Bezeichnungen „Helgo-
länderstraße", „An der Außenalster", „Altonaerweg", weisen
darauf hin, daß hanseatische Regimenter früher hier ge-
legen haben. An einer Mauer hängt noch ein vernagelter
französischer Brieskasten: „vimsncbe. 7." ist auf dem Schild
zu lesen. Welcher siebente und welcher Sonntag gemeint ist,
läßt sich nicht feststellen; der Regen hat die Schrift verwaschen.
Daneben flattern die Papierfetzen der ersten Kundgebung an
die Bevölkerung im Winde; das ist lange Monate her —
zweimal vergingen Herbst und Winter darüber, die Schwalben
zogen davon und kehrten zurück; in ihrem Nest auf der
Schniiede fanden Storch und Störchin sich wieder zusammen.
Jn diesen langen Monaten ist die Bevölkerung auch ruhig
und fügsam geworden. Anfänglich regten sich wohl Trotz und
Widerstand, gegebene Befehle wurden nicht beachtet, kein
Mensch grüßte; aus verfinsterten Mienen sprühten wütende
Blicke. Jetzt wird die Mütze vom Kopfe gerissen, wo ein
Offizier sich zeigt; die Leute sind willig geworden, man ver-
trägt sich gut.

Eine lange Mauer aus verwittertem Gestein, darüber
das junge Grün alter Bäume. Dann biegen wir in einen
Park ein und halten vor einem äußerlich recht niedlichen
Schlößchen, dem Quartier des Stabs. Jn der Halle reicht mir
die Königliche Hoheit begrüßend die Hand.

Jch bin keine byzantinische Natur und bin nicht hof-
männisch geschult. Aber ich bin Monarchist und Legitimist
und liebe mein Königshaus und bringe eine besonders warm-
herzige Verehrung dem Prinzen Eitel Friedrich entgegen, der
einmal — das ist fast zehn Jahre her — auf meinem kleinen
Landsitz im Manöverquartier lag und mir und meinen literarischen
Arbeiten seitdem ein überaus gütiges Wohlwollen bezeugt hat.
Jch habe ihn seit dieser Zeit öfters gesehen, aber er scheint zu
den Unveränderlichen zu gehören: mit seiner hochgewachsenen
starken Soldatenfigur, dem frischen, offenen Antlitz und den
sonnigen Augen. Er ist in erster Linie Soldat, und seine
Soldaten gehen sür ihn durchs Feuer, denn er hat für sie immer
ein offenes Herz und Ohr und sorgt wahrhastig für sie wie
ein Vater für seine Kinder. Aber der Prinz ist nicht allein
Soldat; bei seiner regen Geistigkeit interessiert er sich für Alles,
kennt die ganze neuere Literatur in ihren vielfachen Strömungen,
ist auch in der Kunstgeschichte erstaunlich bewandert und weiß
selbst auf entlegeneren Gebieten gut Bescheid. Es fällt mir
schwer, ihn zu schildern, wie er ist, und es wäre so leicht. Aber
täte ich es — vielleicht würde man mich doch, wenn auch un-
gerechterweise, des Byzantinismus beschuldigen, wo mich nur
ein Empfinden ausrichtigster Verehrung für den Menschen leitet.

Jch wurde im Schlosse einquartiert. Es gehört einem
Grafen B. d' A., den man indeß in den Genealogischen Al-
manachen vergeblich suchen würde. Jn der kleinen Halle find
auf der Holztäfelung freilich allerhand Wappen in bunten
Farben mit Jahreszahlen gemalt, beginnend so etwa um
1360 und endigend in unsern Tagen. Man könnte an-
nehmen, daß das die heraldischen Zeichen der Familie seien,
vielleicht die Wappen der Angeheirateten, aber ein handfester
Genealoge wird ohne weiteres erkennen, daß in diesen farbigen
Schildereien der Phantasie breitester Spielraum gelassen worden
ist. Das schadet ja auch nichts; trotz der Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit der Republik hält der jüngere Adel Frank-
reichs, der natürlich immer nur von päpstlichen Gnaden sein
kann, viel darauf, die Geschlechterfolge bis in verlorene Zeiten
zurückzuschieben. Auch Graf B. d' A. ist päpstlicher Adel, und
da er in der Picardie angesessen ist, wo die Erinnerung an die
große Königszeit noch immer in Legenden und Sagen und

tausend buntschillernden Geschichtchen lebt, so versteht es sich von
selbst, daß er zu den sogenannten Royalisten gehört. Er war
Diplomat, soll als junger Mensch auch einmal in Berlin ge-
wesen sein — ein Herr vom Stabe wollte von dem zurückge-
bliebenen Kastcllan sogar gehört haben, er habe eine geborene
Berlinerin zur Frau gehabt. Jedenfalls befinden sich in der
kleinen Bücherei des Schlosses auch einige deutsche Werke neben
vielen französischen Klassikern und zahlreichen Reisebeschrei-
bungen, zumal über Jndo-China, wo der Bruder des Grafen
gefallen ist. Ein Llbild im Empfangsraum zeigt ihn nnt
gezogenem Säbel zum Sturm vorgehend, ein anderes Bild
den Grafen selbst im Diplomatenfrack mit einem Brustpanzer
von Orden als schönen alten Herrn mit grauem Kopf und
langem, weißem Schnurrbart. Ein Bildnis der Gräfin habe
ich nicht entdecken können, dagegen eine ganze Anzahl Kopien
älterer Meister, die zum Teil recht gut ausgeführt sind.

Das Schlößchen ist ein ganz französischer Bau, schmal wie
ein Handtuch, aber mit Turm und Zinnen, einem eingebauten
alten Portal, das sich närrisch genug von den roten Ziegeln
der Umgebung abhebt, und mit vielen ineinander geschachtelten
Zimmern, Zimmerchen und Löchern. Hübsch ist der Park.
Die Landschaftsgärtnerei versteht derFranzose. Von der Rampe
aus schweift der Blick über eine weite, von alten Bäumen und
Buschwerk eingefaßte Rasenfläche in einen scheinbar sich end-
los hinziehenden Baumweg. Ähnliche Durchblicke habe ich
auch in anderen französichen Parkanlagen gefunden. Jm Park
arbeiten gefangene Russen unter der Aufsicht eines Unter-
offiziers, der gelernter Gärtner ist. Alles wird gut im Stande
gehaltcn; die Bäume sind gestutzt, die Rosen verschnitten,
neue Blumen wurden gepflanzt, neuer Rasen wurde gesät.
Auch im Schlosse hält man auf Schonung. Daß man die
Kamine vermauert und als besseren Schutz gegen die Winter-
kälte eiserne Lfen in die Gemächer gesetzt hat, wird der Graf
ebenso wenig übel nehmen, wie die Anlage elektrischer Be-
leuchtung, für die er eigentlich nur dankbar sein kann. Aber
vielleicht gefällt ihm der Anbau nicht, den man für die Ge-
schäftsräumlichkeiten für nötig hielt, dann kann er ihn wieder
abreißen lassen. Anders ist es mit dem „Heldenkeller", der
unter einem Tumulus im Park angelegt wurde. Da die
deutschen Quartiere an der Front immer von feindlichem
Granatfeuer wie auch von Fliegerbomben bedroht sind, so
hat man überall bombcnsichere Unterftände erbaut, in denen
man bei starker Gefährdung Schutz suchen kann. Auch für
den Divisionsstab wurde eine solche Zufluchtsstätte geschaffen,
die man in heiterer Laune „Heldenkeller" getaust hat: eine
kleine Anzahl durch starke Betonierung geschützter unterirdischer
Räume, die elektrisch beleuchtet werden können und in denen
es sich schließlich ganz behaglich wohnen läßt, wenn oben die
Granaten platzen und die Schrapnells pfeifen. Ein Rasen-
hügel wölbt sich über dem Ganzen, und freundliches Rhodo-
dendron wächst am Eingang. Bis jetzt ist das Schloß aller-
dings noch nicht unter Feuer genommen worden; vermutlich
hat der Graf gebeten, sein Besitztum zu schonen. Wenn er
einmal heimkehrt, kann er sich über den Unterstand freuen.
Jch habe mein Lebtag keine schöneren Weinkeller gesehen.
Ausgelassene Feste kann er hier geben und auch den Keller
besuchen, ohne daß seine Dienerschast es merkt, denn ein
unterirdischer Gang verbindet ihn mit dem Schlosse. Nach
hundert Jahren spinnt vielleicht die Sage ihre Fäden über
dies seltsame Verließ; es ist auch nicht ausgeschlossen, daß
dann Schatzgräber nach verborgener Beute forschen werden —
aber sie werden kaum mehr finden als einige gelerte Flaschen
Brauneberger und Burgeff grün.

lZ Walona und seine Bedeutung als Kriegshafen. D

Wer Walona besitzt, der ist Herr der Adria. Das war
schon seit Iahren die Überzeugung jedes Lsterreichers und
jedes Jtalieners. Und beide Teile waren seft entschlossen,
unter keinen Umständen dem Gegner diesen wichtigsten und
besten Hafen zu überlassen. Könnten doch die Kriegsflotten
der ganzen Welt gleichzeitig in ihm ankern, geschützt vor
Sturm und Feinden.

Nur die berühmte Boccche di Cattaro kann sich annähernd
mit dem Hafen von Walona messen. Allerdings lag der
größte Teil derselben bisher unter den Geschützen des monte-
negrinischen Lowtschen und hatte somit nur bedingten Wert.
Daher war auch Jtalien stets entschlossen, jeden österreichischen
Angriff gegen den Lowtschen als Kriegsfall aufzusassen. Man
wollte dem damaligen teuren Verbündeten unter keinen Um-
ständen einen brauchbaren Hafen an der mittleren Adria über-
lassen, weil man selber dort keinen besaß. Die ganze adriatische
Küste Jtaliens hat nämlich, mit Ausnahme von Venedig, keinen
einzigen guten Kriegshafen. Bari und Brindisi sind offene
Reeden mit kleinen Kunsthäfen.

Dazu liegt Walona noch an der engsten Stelle der Adria,
die dort nur fünfundsiebzig Kilometer breit ist. Wer also
diesen Hafen besitzt und ihn genügend befestigt, der kann

sich in der Tat wohl als den Herrscher der Adria betrachten.
Die weiter südlich gelegene Straße von Korfu ließe sich allen-
falls noch als Flottenstützpunkt ausbauen. Daher setzte Jtalien
auf der Londoner Konferenz von 1913 seinen ganzen Einfluß
ein, um das Korfu gegenüberliegende Festland dem neuge-
schaffenen Fürstentum Albanien zu sichern, das als Gegner
nie zu fürchten war.

Jetzt hat Griechenland die günstige Gelegenheit ergriffen,
um sich in den Besitz dieses südlichsten Teiles von Albanien
zu setzen. Die dortigen Albaner sind griechisch-orthodor und
durchaus damit einverstanden. Darob ist Italien stark er-
grimmt, und der Vierverband hat Einspruch dagegen erhoben.
Es wird ihm aber wohl kaum etwas helfen.

Auch nördlich Walona gibt es bis Cattaro keinen guten
Hafen mehr. Durazzo ist eine Reede mit einer schwer zu
überwindenden Barre, und St. Giovanni di Medua, dieser Hafen
mit dem wundervollen Namen, der aus sechs Häusern mit
fünfundzwanzig malariakranken Einwohnern besteht, hat nur
Platz sür etwa drei Dampfer. Dulcigno und Antivari sind
offene Reeden. ' <

Die große Bedeutung Walonas ift somit nicht zu be-
zweiseln. Wenn sich daher Österreich-Ungarn und Jtalien,

S
 
Annotationen