Nr.4«. «eite ll
ein Blick in eine fremde Welt aufgetan, die echt balkanisch
war: in diesem Reiche des Schmutzes, des Verfalls und der
Verkommenheit gab es auch Schönheit, gab es Tanz und
Freude. Freilich war ein gut Teil Geschästsinstinkt dabei ge-
wesen; doch das schmälerte oie Eindrücke nicht, die wir empfan-
gen hatten.
Übrigens ist diesen Kindern der Natur, Kindern der Freiheit
das Leben auch ein enger Kreis geworden. Sie spüren den
Krieg auf ihre Art, da die neuen Landesherren rhnen mit
guteni Recht scharf auf die Hände sehen. Jn allen Dörfern
liegen bulgarische Wachen. Gendarmerieposten halten die Zu-
gangsstraßen besstzt, und der „Bulgarski", den man sonst über-
all im mazedonischen Land mit Freuden aufnahm, ist an den
Zigeunerstätten nicht gern gesehen; denn seine Hand ist hart,
sein strenges Regiment drückt unanyenehm, da er für die not-
wendige Ordnung sorgt, die den Zigeunern eine Tyrannei zu
sein scheint. Alte Rechte meinen ste stch gegenüber angetastet,
nnd es wird noch Arbeit kosten, das verworfene Gestndel
niederzuhalten.
Wir ritten. Die Landstraße lag nun frei vor uns. Forsch
ging es vorwärts. Bulgarischen Troßzügen begegneten wir,
die sich langsam und ungeheuer malerisch vorwärtsbswegten.
Starkgliedrige Ochsen gingen vor merkwürdigen Gefährten in
schweren Jochen; dann kamen ganze Züge, die die Wagen mit
kleinen, dunkelhaarigen Büffeln bespannt hatten. Jn selbstge-
fälligem, langsamem Trott marschierten die Kolonnen auf der
Bergftraße voran. Bulgarische Soldaten, Landsturmleute, die
Gewehre lässig über den Rücken gehängt, zogen als Begleit-
mannschaften mit, und die Fahrer, phantastische Gestalten, fast
jeder für stch ein Charakterkopf aus dem VSlkergemisch des
Balkanlandes, saßen auf den niedrig gebauten Wagen oder
schritten in schleppendem Gang neben ihren Zugtieren einher.
„Heidi! Heidi!" trieben ste das Vieh zeitweise an. „Komm!
Komm!" Viel mehr redeten sie nicht.
Höchstens preßtenste zwischendenungeheurengelbenZähnen
noch einige Zischlaute hinaus: „Tsch! Tschäh!", und dieTiere
hörten darauf. Wollte es gar nicht gehen, war die Berg-
straße zu steil, so kam der Stock in Bewegung, den ste fest
unter einen Arm geklemmt trugen. Aber kein Schlag fiel damit!
Nur zum zeitweiliaen Stoßen gegen die Hinterschenkel der Tiere
wurde er gebraucht, und Ochse und Büffel taten, was ste zu
leisten imstande waren.
Durch kahles, wildes Bergland ritten wir. Weite Schluchten
öffneten sich, die in ihrer unfruchtbaren Lde und Nackt-
heit auf die alte Mißwirtschaft hinweisen, die Mazedonien zu
einem dünn-
bevölkerten
Lande mach-
te. Jn den
breiten, welli-
gen Becken
lagen die
durch nicht
viel Arbeit
gut zu kulti»
vierenden
Lößpartien
als ungenutz-
te, unfrucht-
bare, nackte
Geröllhalden.
Kein Baum,
kein Strauch
in der ganzen
weiten Run-
de. Wirtra-
fen immer
wieder nnr
anf Hirten,
die mit riesi-
gen, nach
Hunderten
von Stücken
zählenden
Hammelher-
den langsam
über die Hal-
den, über die
Kuppen von
Berg zuBerg
vorwärts-
zogen. Grau- ^
grün, trocken
und arm lagen die Hänge. Der Hnmus fehlte. Seitdem die
Türken das Holz auf diesen Bergen Mazedoniens schlugen,
ohne jemals daran zu denken, für neuen Anbau zu sorgen,
efegt.
haben Regen und Winde alle Erdkrume zu Tal gef>
Was an spärlich sprießenden Moosen, an ärmlichen Gräsern
und durch Flugwind herbeigetragenen sonstigen Samen auf-
geht, knabbern die gefräßigen Herden ab, so daß nichts zur
Entwicklung kommen kann.
Traurig lag das Land. Es war streckenweise eine durch
ihre Stille und Einsamkeit erhebend schöne, aber auch mitunter
erschreckende und niederdrückende Welt. Graudraun war der
Grundton, um den stch alles einstimmte, die Felfen und
Geröllmaffen, die Bergkuppen vorn, während die dahinter-
liegenden, stch fortgesetzt staffelnden Höhen mehr und mehr
in ein Graublau hmüberspielten. Rote Gründe, rostfarbene
eisen- und kupferhaltige Erdschichten lagen plötzlich in einer
Ausweitung, und dann folgten grünlichbraune Bergketten,
die im Sonnenlichte von dunkelen Wolkenschatten überflogen
standen.
Als wir aus dem Zigeunerdorfe hinausgeritten waren,
flog zuerst das Gespräch munter zwischen uns einher. Wir
lachten. Doch nun, je mehr wir in das Land hineinkamen
und bald im Schritt, bald im ruhigen Traben der stch über
die Höhen auf und nieder schlängelnden Straße folgten,
wurden wir still. Ein merkwürdiges Gefühl überkam uns:
deutsche Reiter auf mazedonischer Erde. . . Jn Frankreich,
an der flandrischen Nordseeküste, in Polen, Galizien, Weiß-
rußland und Serbien waren wir im Verlaufe des Krieges
schon gewesen. Die einen unseres HSufleins im Westen, die
anderen im Osten. Nun trafen wir uns im Süden. Wir
ritten auf der Straße Skoplje-Kalkandelen ziemlich genau
auf dem 42. Breitengrad einher. Die wilde Bergwelt des
Kara Dagh schaute auf uns hernieder, und in der Ferne vor
uns — fern, doch auf dem Vormarsch nach Süden längst
überholt, lag die Schar Planina, deren massige Felsbrocken
noch ttef herniederreichende Schneemützen trugen. Südlich
blau, klar selbst in den lichten Wolken, die ihn Lbersegelten,
lag der weite Himmel. Er hing über uns wie ein wunder-
volles Zeltdach, aus deffen unausmeßbaren Höhen das Licht
leuchtend zu träufeln schien. Gigantisch ragten in diese hohe
Flut die Gebirgsspitzen hinein; sie strahlten, und alle über-
ragte die wie Eis gleißende, von durchsonnten Nebeln leicht
verschleierte Pyramive des Ljubeten, die stch als das Wahr-
zeichen Mazedoniens majestätisch über zweieinhalbtausend
Meter erhebt.
Kalkandelen erreichten wir auf diesem Ritt nicht mehr,
da wir nach Skoplje zurück mußten. Die Schar Planina
— Skardos nannten ste die Menschen des Altertums — wies
uns den Weg, der nach Nordalbanien führt. Jhre und die
Schneebergketten des Kara Dagh traten aber in unsern
Gedankenkreis, der stch mit dem schönen und doch jetzt so
traurig ar-
men Lande
beschästigt;
denn zu sei-
ner Größe
sinddiefurcht-
baren Becken
der Flüffe
doch nur ge-
ring ausge-
nutzteAnbau-
flächen. Rie-
sige Aus-
blicke erge-
ben sich. Ge-
waltige Auf-
gaben warten
der bulga-
rischen Tat-
krast. Jn
Mazedonien
gibt es Kul-
turprobleme
sen, wie
sie sich
vor-
stellen kann.
Erzreiche Ge-
birgsstöcke,
aus denen die
Alten schon
Nutzenzogen,
dürften sich
neu entdecken
laffen. Da-
mals, als
R Üesküb das
alte Scupr,
Mittelpunkt der dardanischen Provinz der Römer war, sah es
gewiß anders im Lande aus. Wir fanden Spuren davon; denn
auf unserm Ritt trafen wir noch auf alte, römische Bogenbauten
einer großzügig angelegten Wafferleitung. Beherrschend stehen
die Reste der altrömischen Jngenieurkunst als Zeugen verganae-
ner Grötze jetzt noch in der Wildnis des Landes, deffen Schick-
Zlgeunerin mit ihrem Knaben.
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ein Blick in eine fremde Welt aufgetan, die echt balkanisch
war: in diesem Reiche des Schmutzes, des Verfalls und der
Verkommenheit gab es auch Schönheit, gab es Tanz und
Freude. Freilich war ein gut Teil Geschästsinstinkt dabei ge-
wesen; doch das schmälerte oie Eindrücke nicht, die wir empfan-
gen hatten.
Übrigens ist diesen Kindern der Natur, Kindern der Freiheit
das Leben auch ein enger Kreis geworden. Sie spüren den
Krieg auf ihre Art, da die neuen Landesherren rhnen mit
guteni Recht scharf auf die Hände sehen. Jn allen Dörfern
liegen bulgarische Wachen. Gendarmerieposten halten die Zu-
gangsstraßen besstzt, und der „Bulgarski", den man sonst über-
all im mazedonischen Land mit Freuden aufnahm, ist an den
Zigeunerstätten nicht gern gesehen; denn seine Hand ist hart,
sein strenges Regiment drückt unanyenehm, da er für die not-
wendige Ordnung sorgt, die den Zigeunern eine Tyrannei zu
sein scheint. Alte Rechte meinen ste stch gegenüber angetastet,
nnd es wird noch Arbeit kosten, das verworfene Gestndel
niederzuhalten.
Wir ritten. Die Landstraße lag nun frei vor uns. Forsch
ging es vorwärts. Bulgarischen Troßzügen begegneten wir,
die sich langsam und ungeheuer malerisch vorwärtsbswegten.
Starkgliedrige Ochsen gingen vor merkwürdigen Gefährten in
schweren Jochen; dann kamen ganze Züge, die die Wagen mit
kleinen, dunkelhaarigen Büffeln bespannt hatten. Jn selbstge-
fälligem, langsamem Trott marschierten die Kolonnen auf der
Bergftraße voran. Bulgarische Soldaten, Landsturmleute, die
Gewehre lässig über den Rücken gehängt, zogen als Begleit-
mannschaften mit, und die Fahrer, phantastische Gestalten, fast
jeder für stch ein Charakterkopf aus dem VSlkergemisch des
Balkanlandes, saßen auf den niedrig gebauten Wagen oder
schritten in schleppendem Gang neben ihren Zugtieren einher.
„Heidi! Heidi!" trieben ste das Vieh zeitweise an. „Komm!
Komm!" Viel mehr redeten sie nicht.
Höchstens preßtenste zwischendenungeheurengelbenZähnen
noch einige Zischlaute hinaus: „Tsch! Tschäh!", und dieTiere
hörten darauf. Wollte es gar nicht gehen, war die Berg-
straße zu steil, so kam der Stock in Bewegung, den ste fest
unter einen Arm geklemmt trugen. Aber kein Schlag fiel damit!
Nur zum zeitweiliaen Stoßen gegen die Hinterschenkel der Tiere
wurde er gebraucht, und Ochse und Büffel taten, was ste zu
leisten imstande waren.
Durch kahles, wildes Bergland ritten wir. Weite Schluchten
öffneten sich, die in ihrer unfruchtbaren Lde und Nackt-
heit auf die alte Mißwirtschaft hinweisen, die Mazedonien zu
einem dünn-
bevölkerten
Lande mach-
te. Jn den
breiten, welli-
gen Becken
lagen die
durch nicht
viel Arbeit
gut zu kulti»
vierenden
Lößpartien
als ungenutz-
te, unfrucht-
bare, nackte
Geröllhalden.
Kein Baum,
kein Strauch
in der ganzen
weiten Run-
de. Wirtra-
fen immer
wieder nnr
anf Hirten,
die mit riesi-
gen, nach
Hunderten
von Stücken
zählenden
Hammelher-
den langsam
über die Hal-
den, über die
Kuppen von
Berg zuBerg
vorwärts-
zogen. Grau- ^
grün, trocken
und arm lagen die Hänge. Der Hnmus fehlte. Seitdem die
Türken das Holz auf diesen Bergen Mazedoniens schlugen,
ohne jemals daran zu denken, für neuen Anbau zu sorgen,
efegt.
haben Regen und Winde alle Erdkrume zu Tal gef>
Was an spärlich sprießenden Moosen, an ärmlichen Gräsern
und durch Flugwind herbeigetragenen sonstigen Samen auf-
geht, knabbern die gefräßigen Herden ab, so daß nichts zur
Entwicklung kommen kann.
Traurig lag das Land. Es war streckenweise eine durch
ihre Stille und Einsamkeit erhebend schöne, aber auch mitunter
erschreckende und niederdrückende Welt. Graudraun war der
Grundton, um den stch alles einstimmte, die Felfen und
Geröllmaffen, die Bergkuppen vorn, während die dahinter-
liegenden, stch fortgesetzt staffelnden Höhen mehr und mehr
in ein Graublau hmüberspielten. Rote Gründe, rostfarbene
eisen- und kupferhaltige Erdschichten lagen plötzlich in einer
Ausweitung, und dann folgten grünlichbraune Bergketten,
die im Sonnenlichte von dunkelen Wolkenschatten überflogen
standen.
Als wir aus dem Zigeunerdorfe hinausgeritten waren,
flog zuerst das Gespräch munter zwischen uns einher. Wir
lachten. Doch nun, je mehr wir in das Land hineinkamen
und bald im Schritt, bald im ruhigen Traben der stch über
die Höhen auf und nieder schlängelnden Straße folgten,
wurden wir still. Ein merkwürdiges Gefühl überkam uns:
deutsche Reiter auf mazedonischer Erde. . . Jn Frankreich,
an der flandrischen Nordseeküste, in Polen, Galizien, Weiß-
rußland und Serbien waren wir im Verlaufe des Krieges
schon gewesen. Die einen unseres HSufleins im Westen, die
anderen im Osten. Nun trafen wir uns im Süden. Wir
ritten auf der Straße Skoplje-Kalkandelen ziemlich genau
auf dem 42. Breitengrad einher. Die wilde Bergwelt des
Kara Dagh schaute auf uns hernieder, und in der Ferne vor
uns — fern, doch auf dem Vormarsch nach Süden längst
überholt, lag die Schar Planina, deren massige Felsbrocken
noch ttef herniederreichende Schneemützen trugen. Südlich
blau, klar selbst in den lichten Wolken, die ihn Lbersegelten,
lag der weite Himmel. Er hing über uns wie ein wunder-
volles Zeltdach, aus deffen unausmeßbaren Höhen das Licht
leuchtend zu träufeln schien. Gigantisch ragten in diese hohe
Flut die Gebirgsspitzen hinein; sie strahlten, und alle über-
ragte die wie Eis gleißende, von durchsonnten Nebeln leicht
verschleierte Pyramive des Ljubeten, die stch als das Wahr-
zeichen Mazedoniens majestätisch über zweieinhalbtausend
Meter erhebt.
Kalkandelen erreichten wir auf diesem Ritt nicht mehr,
da wir nach Skoplje zurück mußten. Die Schar Planina
— Skardos nannten ste die Menschen des Altertums — wies
uns den Weg, der nach Nordalbanien führt. Jhre und die
Schneebergketten des Kara Dagh traten aber in unsern
Gedankenkreis, der stch mit dem schönen und doch jetzt so
traurig ar-
men Lande
beschästigt;
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doch nur ge-
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flächen. Rie-
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ben sich. Ge-
waltige Auf-
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Mazedonien
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Erzreiche Ge-
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laffen. Da-
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alte Scupr,
Mittelpunkt der dardanischen Provinz der Römer war, sah es
gewiß anders im Lande aus. Wir fanden Spuren davon; denn
auf unserm Ritt trafen wir noch auf alte, römische Bogenbauten
einer großzügig angelegten Wafferleitung. Beherrschend stehen
die Reste der altrömischen Jngenieurkunst als Zeugen verganae-
ner Grötze jetzt noch in der Wildnis des Landes, deffen Schick-
Zlgeunerin mit ihrem Knaben.
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