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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Bagier, Guido: Brücken
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0043

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BRUCKEN

GUIDO BAGIER

Es sei gestattet, nun, nach einjähriger Arbeit, an dieser Stelle, da die Künste
sich treffen und im einzelnen von einfühlender Seife gewürdigt werden,
den Komplex unseres künstlerischen Besißes im allgemeinen zu über-
schauen und eine geistige Inventur auf möglichst besonnener Grundlage zu ziehen»
Man sagt, unsere politische Situation sei zerrissen und in verwirrender Weise
zerfasert, zerwühlt: die Gebiete der Kunst, sonst geschmacklich sorgsam abge-
grenzf, werden von gleicher Leidenschaft und fähiger Fertigkeit umpflügt und
zerrodef, so, daß beide Felder den Schlachten gleichen, die dumpfrollend und
blutend am Horizonte verklingen. Wie es nicht leicht ist, sich im Gewirr der po-
litischen Parteien ein klares Urteil zu erkämpfen und Strömung von Unfersfrömung
zu sondern, so erfordert es eine nicht geringe geistige Intensität, die verschlunge-
nen Fäden des Gewebes der Kunst zu enflösen und Ehrlidikeü von Phrase,
Individuum von panzerner Schule, Geradheit von Snob zu sondern. Zumal der
Fierausgeber einer Kunsfzeitschrift, die gleichermaßen den drei Künsten der mensch-
lichen Anlagen dienen möchte, wird Mühe und Sorge haben, diesem Getümmel,
das mit dem Namen „Betrieb“ noch viel zu gut benannt wurde, Sinn und Rich-
tung, Ursache und Folge zu entnehmen. Er wird sich ln erster Linie auf sein
intuitives Vermögen verlassen müssen, mit geistiger Wünschelrute die Bezirke
seiner Arbeit auf und ab zu schweifen, um erst nachträglich intellektuellen Maß-
stab anzulegen, vielleicht gänzlich verwerfend, vielleicht verbessernd und beschnei-
dend, im besten Falle völlig sich unterjochend.
Die Stellung deutscher Kunst drängt, das fühlen wir alle, einer Krise entgegen:
nachdem die jüngste Jugend den Frieden mit kühnster künstlerischer Tat begrüßte,
schritt sie, berauscht und überwältigt von ihren plößlichen Erfolgen, zur unum-
schränkten Autokratie. Die durch lange Absperrung von jeglidier Kultur und
Arbeit bis zum Bersten gefüllten seelisdien Räume strömten in begeisterndem
Schwünge ab, und eine Reihe explosiver Kunstwerke wurde geschaffen, so als
Signum jenes Jahres Bestand haben wird. Ganz langsam schwenkte die heißblütige
Politik des Krieges in die des Friedens über, und große Linien schrumpften zur
kläglichen Geste lokaler Polifisiererei zusammen. Eine Zahl von Leuten, denen der
Atem ausging, verfiel ins Nichts, sog Kunstwerke aus den Paragraphen sozia-
listischer Tendenzen und glaubte damit ihrer Zeit in jedem Falle Genüge zu tun.

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