Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Beyer, Oskar: Der Plastiker Barlach
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0515
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zu wissen, dal} sich dasBauernhaftespäterzugunstendesKleinbürgerlichen gewandelt
hat, es ist widifiger, dal} es auch dann noch gelang, den äußeren Anlaf} (oder wie man
es nennen will) zur künstlerischen Leistung vergessen zu machen, das übermenschlich-
Mythische herauszuschlagen, kosmische Beziehungen bildhaft zu gestalten. Nur
so war dies möglich, wenn nicht die Darstellung eines bestimmten Bauern oder
Kleinbürgers oder irgend eines bestimmten, als „Modell“ benuhten Menschen
gemeint war, sondern Versichtbarung einer absichtslos zutagegetretenen Formvor-
stellung. Aus allen den verschiedenen, untereinander tiefverwandten Masken und
Verkleidungen blickt immer wieder das Seelenanflib Barlachs hervor, es ist immer
wieder er selber, der sich Ausdruck verschaffen mu|, um leben zu können, der in
immer neuen Formen sich selber, sein Wollen, seine nur ihm eigentümliche Art
zu sein im Stofflichen objektivieren möchte, diese geistig-persönliche Wesensart,
die als solche ihn aber keineswegs von seiner engeren Volksgemeinschaft, seinem
Stamme abzuscheiden brauchte und auch keineswegs geschieden hat (man denke
daran, dal} seine Heimat Typen wie Jörn Uhl erzeugt!) Von jeder einzelnen seiner
Schöpfungen weif} man, sie sind ihm nicht zugeflossen, als Geschenke in den Schob
geworfen, sie sind abgerungen, entrissen, geboren (vielleicht unter Tränen), sie sind
ein qualentrungenes Dennoch gegenüber dem trüben, niederzerrenden Alltagsdasein
mit seinen Schein Wirklichkeiten, sie sind, obwohl ein „Stammeln der ungelenken
Zunge“, doch Erlösung, ja Triumphgeschrei der schöpferischen Seele, deren Lei-
stung immer positive, formgebärende Tat, rückhaltlose Bejahung geistiger Wirklich-
keit ist.
Dab dieser Barlach vor allem Einzelfiguren schuf, an den Körpergesten einer einsam
in die Welt gestellten Menschenform das zu verdeutlichen bestrebt war, was er ge-
stalterisch mitzuteilen sich gedrängt fühlte, ist nicht allein imWesen dieses Einsam-
Abseitigen selbst begründet, trifft auch mit den natürlichen Schranken der plastischen
Schöpfung als saldier zusammen. Man kann sein rundplasiisches und sein
re lief plastisches Werk gesondert betrachten, da die Leistung auf beiden Seifen in
gleichem Mal}e bedeutsam ist. In seiner Rundplasfikhabenwirvor allemEinzelfiguren
und Gruppenarbeifen (diese gewöhnlich zweifigurig). Jeder der freien Einzelkörper
stellt sidi dar als typisch-unabänderliche Bindung eines Begriffs, der restlos umgesebf
wurde in eine plasfisdie Formvorsfeliung. Man sieht den Spaziergänger, d e nTrinker,
den Einsamen, den Sterndeuter, den Wüstenprediger, den Berserker, die Bettlerin,
die Sorgende, alle diese Symbole sind von einer solchen herrischen Gewaltsamkeit,
dab man sich von ihnen überzeugen läbL allen den menschlichen Funktionen, die
sie ausdrücken, ist restlos erschöpfender, für alle Zeiten bindender Ausdruck zuteil
geworden, sie sind unabhängig von dem Sdiicksal der zeitlich bedingten Stilbewegung
des „Expressionismus“. Die Züge dieser Menschen scheinen slavischer Art zu sein,
tatsächlich sind es Züge des Barlach-Geschlechts nicht nur, nein auch Züge von
Kindern einer Welf, die riesenhaft über alle menschlichen Schranken hinausragt.
Die Frage wäre denkbar, warum nicht gerade ein Barlach nackte Urmenschen hätte
formen können, in deren ungehemmterer Körpersprache die symbolhafte Einfalt

486
 
Annotationen