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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Benz, Richard: Das Formproblem in der deutschen Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0738
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DAS FORMPROBLEM
IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG

RICHARD BENZ
I.
Läßt man ästhetische Theorien und die Gewohnheiten begrifflicher Registrierung beb
seite und hält sich an die Wirklichkeit des Kunstwerks und die Art seiner Hervor#
bringung, so wird eine Betrachtung des Formalen die Künste in einer Stufenfolge erschei#
nen lassen, die uns aufs erste überrascht: man wird dann die Künste, die man gemeinhin,
ihrer Wirkung wegen, die unmittelbarsten nennt, Architektur und Musik, die mittelbarsten
nennen müssen, diejenigen, die am meisten Handwerk und Technik zwischen das Ausdruck#
verlangende und das Ausgedrückte stellen: damit ein Dom dastehe, damit eine Symphonie
erklinge, ist nicht nur ein enormes handwerkliches Können des erfindenden Künstlers nötig,
das Meistern einer ursprünglich ungeistigen Materie, die erst durch tausend Vorbereiter zu
menschlicher Redefähigheit gesteigert wurde: sondern es bedarf auch der Ausführung
durch Hunderte von Händen, die nicht mehr unmittelbar vom schöpferischen Willen beseelt
sind, sondern nur im Befehl und Auftrag des Schöpfers handeln. So muß eine Unsumme von
technischer Geschicklichkeit, Kraft, Ausdauer, Wissen, Gehorsam Zusammentreffen, damit
hier das Kunstwerk erst lebe.
Anders ist es schon beim Bildner: wohl verdeutlicht auch er sich durch eine Materie, deren
Formung Technik erfordert — aber die Technik braucht hier nicht notwendig in einem er#
lernten Handwerk zu bestehen, sondern kann unmittelbare Handhabung von Farbe und
Linie in ihrem Ausdruckswert sein, ohne eine Wirklichkeit in erlernter Weise konventionell
nachzubilden: so daß das Technische bloß im materiellen Gebrauch von Stift oder Färb#
material bestünde. Der Weg vom Auszudrückenden zum Ausgedrückten ist hier näher und
kürzer: es ist der Umweg über die formende Hand, nicht über ausführende Hände.
Am unmittelbarsten aber scheint der Dichter zu schaffen. Er bedient sich des Organs, das
ursprünglich allein geistigen Ausdruck vermittelt und aus der Not solchen Ausdrucks ge#
boren ist, der Sprache. Er hat im eigentlichen Sinne keine Technik: er dichtet bloß, er ver#
dichtet, was im Alltagsgebrauch der Sprache locker und ungeistig geworden ist; dies
vermag er nicht zu lernen, so wenig er denken lernen mag — das Material des Ausdrucks
liegt ihm überall bereit: ist der Gedanke groß und das Gefühl echt, das er sagt, so ist es
geformt. Der Weg vom Gedanken zum Ausdruck, vom Gefühl zum Wort ist hier der denk#
bar kürzeste: gedichtete Worte sind Inhalt und Form zugleich in ganz anderem Sinne noch,
als Linien, Farben oder Töne es sind — sie sind nicht Formung eines außer ihnen bestehen#
den Inhalts, da es ein Denken ohne Wortbilder gar nicht gibt. Deshalb ist aber das Dichten
nicht leichter oder häufiger, weil es unmittelbarer ist und keiner technischen Bewältigung
fremder Materie bedarf; es ist im Gegenteil seltener und schwerer, weil das eigentliche Schaffen
hier nicht in einem erlernbaren Technischen, sondern in der Erfindung selbst liegt; nicht auf
dem Weg vom Inhalt zur Form, sondern im Erschaffen des Inhalts selbst liegt die wesentliche
1 ätigkeit des Dichters. Darum ist die Dichtung eigentlich nur das Bereich des schöpferischen
Genius, der neue innere Erlebnisse, Gedanken, Schauungen hat und damit eigenen geistigen
Stoff besitzt; während der bloße Techniker und Könner hier nichts vermag, da die Sprache
nur als geistiger Ausdruck von innen belebt werden kann, nicht technisch von außen, unab#

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