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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Verweyen, Johannes Maria: Vom Dreiklang der Lebenskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0181
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Umkreise menschlicher Aufgaben ist der sachliche Typus nach außen und innen
von ruhiger, gemessener Gebärde, als solcher überflüssigen, unfruchtbaren Rei-
bungen mit Dingen wie Menschen abhold. Die Logik der Sachverhalte als Lebens-
prinzip erwählen, heißt sich bekennen zu einer Aristokratie der Sachverständigen
und ihr die Führung anvertrauen.
Einer Vergewaltigung des Objekts durch das Subjekt, der sachfremden Ichheit
entspricht als Gegensah die ichfremde Sachlichkeit. Audi das Ich selbst zählt zu
den Gegenständen, welche eigene Ansprüche stellen. Darum fordert es seinerseits
eine gewisse Ent-sachlichung und gemahnt an die Grenze der Ver-sachlichung,
an die eigene Lebendigkeit gegenüber der Einseitigkeit einer sachlichen Vertrock-
nung. Indem sich das Ich vom Zwang der äußeren Dinge befreit und gleichsam
über sie hinschwebend mit den Kräften der Phantasie ein Reich selbständiger
Innerlichkeit aufbaut, bringt es eine gewisse Freiheit an den Tag. Verwandelt es
dabei seine Selbständigkeit in allzu vermessene Selbstherrlichkeit, erhebt es sich
in seiner Zuständigkeit allzu sorglos über die Forderungen gegenständlicher
Wirklichkeit, so gefährdet es das Gleichgewicht von Seele und Welt.
Alle Sachen gliedern sich in Haupt- und Nebensachen. Solche Unterscheidung
leitet den Sinn für das Wesenhafie: Großzügigkeit heißt der zweite Ton in
unserem Lebensakkorde!
Aberglaube betet den Zufall an. Er beruht auf unkritischem Denken, weiches
nicht das „Entscheidende“ sieht, worauf es ankommt. Aller Fortschritt des Natur-
erkennens ist geknüpft an eine immer reinlichere Scheidung der Wesenszusammen-
hänge von ihren zufälligen Umständen. Ebenso trennt das geschichtliche Erkennen
ein im Wechsel seiner zeitlichen Erscheinungen beharrendes Wesen, den Kern
geistiger Strömung und Institutionen von ihren sich wandelnden Hüllen. Ge-
schichtsphilosophisch betrachtet, lösen sich Grundformen und Grundmotive von
den mannigfaltigsten Einzelformen ihrer Erfüllung ab. Die Geschichte der Mensch-
heit enthüllt auf jeder Entwicklungsstufe das Streben zur Verabsolutierung der
gerade herrschenden Einzelformen, in denen der rückwärts gewandte Blick späterer
Geschlechter nur relativ wertvolle Durchgangsstufen, gleichsam vom Weltgciste
gutgeheißene Umwege und Illusionen erkennt.
Vor ähnliche Aufgaben, großzügigen Sinn walten zu lassen, stellt uns die prak-
tische Lebensgestaltung. Der Glaube an den gesunden Lebenskern eines Men-
schen blickt über dessen vorübergehende Entartung hinweg und bewahrt vor einer
vorschnellen Gesamtverurteilung. Eine tiefere Erfassung der Struktur eines Men-
schen, seines seelisch-leiblidien Aufbaus, läßt sich nicht blenden durch bloße äußere
Situationsvorteile, durch irgendwelchen Nimbus, und nimmt auch hinter schlichtem
Gewände echten Menschenwert wahr. Sie weiß um die wesenhafte Wichtigkeit der
ü ormung des inneren Menschen und erkennt in der überschäßung äußerer Organi-
sation einen sozialen Aberglauben. In der Trennung von Person und Sache, von

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