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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Verweyen, Johannes Maria: Vom Dreiklang der Lebenskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0180

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VOM
DREIKLANG DER LEBENSKUNST

PROF. JOHANNES M. VERWEYEN
Nicht nur politisch und sozial-wirtschaftlich; auch moralisch ist cs eine an-
strengende Zeit; in der wir leben. Von vielen Seiten drohen der Seele; der
Innerlichkeit; heute Gefahren; da die Not des äußeren Daseins alles Sinnen
und Trachten in den Dienst roher Selbsterhaltung zu zwingen sucht. Aber mit den
Gefahren stellen sich auch ebenso viele Aufgaben ein; uns froh allem in der ide-
alen Wegerichtung zu erhalten; uns als Meister der Lebenskunsf zu bewähren.
Die Kunst einer in sich gefestigten; der Idee zugewandten Lebensführung — schon
in dem ruhigeren Gleichmaß vergangener Friedenstage eine schwierige Angelegen-
heit — fordert heute mehrfach verdoppelte Anspannung.
Versuchen wir einen Akkord aufzubauen; dessen Töne uns aufwärts zu leiten ver-
mögen in allen Lagen und Wirrsalen unseres Menschendaseins.
Als Grundfon empfiehlt sich ein Prinzip; dessen Name oft an unser Ohr klingt;
dessen Gesamfbedeufung eine tiefere Würdigung verlangt: Sachlichkeit! Im
Bunde mit den Sachen; mit dem, was wir die objektive Wirklichkeit nennen oder
als Sachverhalte bezeichnen; sind wir lebensstark; als Erkennende und als Wollende.
Ohnmacht und Hilflosigkeit des Kindes wie des primitiven Menschen stammt vor-
wiegend dahep daß ihre Seele fast ausschließlich von Gefühlen und Trieben be-
herrscht ist. Erst allmählich lösen Subjekt und Objekt ihre anfängliche un-
geschiedene Einheit, Seele und Welt beginnen sich zu trennen. Das Ich sieht sich
einer Welf von Dingen gegenüber; die ihre Eigenrechfe und Eigengeseße bean-
spruchen. Es erlebt „Gegen-stände“ und reift heran zu „sachlichem Urteilen;
das in der Wissenschaft seine höchsten Triumpfe feiert. Zumal die moderne For-
schung dankt ihre Erfolge der immer mehr sich vollendenden Erfüllung des Im-
perativs: Zur Sache! Scharf trennt sie Dichtung und Wahrheit; Phantasie und
V erstand.
Derselbe Imperativ bewährt sich als Wegweiser in jeder Lebenslage, so oft der
Mensch erkennend irgendwelche Dinge zu bezwingen und zu lenken hat. Mag
die restlose Erfassung des Gegenstandes ein ideales Wunschziel bleiben, schon
der entschlossene Wille zur höchstmöglichen Sachlichkeit bedeutet nicht Weniges.
Er weist die Richtung und verhütet Versuche mit untauglichen Mitteln. Im ganzen

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