Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Frank, Bruno: Traum des Richters
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0608

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
TRAUM DES RICHTERS

BRUNO FRANK

Die hier folgende Szene ist meinem neuen Schauspiel »Das Weib auf dem Tiere« ent*
nommen. Eine Frau, die aus Rache getötet hat, wird von den Geschworenen verurteilt.
In der Nacht vor ihrer Hinrichtung hat der präsidierende Richter dieses Traumgesicht.
Schauplatz ist wie im ganzen Stück der Schwurgerichtssaal. Erliegt nun in einem schwachen,
bläulichen Halblicht. Die Geschworenenbank ist gefüllt mit Frauen, jungen und älteren, die
meisten bloßhäuptig, wenige mit Tüchern überm Haar. Am Richtertisch, auf dem Platz des
Präsidenten, aufrecht Reginens Gestalt. Vor ihr, inmitten des Saales, den Rücken dem Zu*
schauer zugewendet, als Angeklagter eine männliche Gestalt, die an die Erscheinung des
Vorsitzenden erinnert. Beleuchtung, Figuren, Bewegungen, Sprechweise müssen durchaus
etwas Traumartiges, Visionäres haben.
REGINE:
Gericht soll sein über den Mann. Das Weib klagt ihn an. Es stöhnt das Mädchen, es seufzt
die Geliebte, es weint die Mutter. Wollt ihr reden, ihr dort auf der Bank?

STIMMEN VON DER GESCHWORENENBANK:
Wir klagen.
REGINE:
Soll ich euch fragen, kraft meines Amtes?

Frage!

DIE STIMMEN:
REGINE:

Die Letzte war ich — drum bin ich erhöht. Ausgeschlossen war ich — nun bin ich auserwählt.
Durch welches Gesetz — sagt es!
DIE STIMMEN:
Durch Leid.

REGINE:

Weil ich niedrig war, wurde ich tiefer geworfen. Weil ich ohne Recht war, hat man mich
feige besudelt. Weil kein Schutz für mich war, drum hat man mein Herz gemordet. Die
hinterste war ich — doch ich habe geliebt.

DIE STIMMEN:
Gelitten hast du — du bist erhöht. Frage. Frage!
REGINE:
Sprich du, das Mädchen!

DAS MÄDCHEN von der Geschworenenbank:
Froh war ich, und er, er trübte mich. Harmlos war ich — er schuf mir Harm. Unschuldig
war ich — er raunte von Schuld. Gläubig ging ich — immer fiel mir sein Schatten über den
Weg. Ein glatter See war mein Herz — er rührte ihn auf. Meine Gedanken waren hell wie
ein Himmel — als grauer Rauch zog er drüber hin.
DIE STIMMEN murmelnd:
Schuldig. Schuldig.

575
 
Annotationen