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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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MUSIK IN STUTTGART. Wer es unter*
nimmt, ein Bild von dem Musikleben in
Stuttgart zu entwerfen, ist bei weitem nicht
in der gleich glücklichen Lage wie der, weh
eher den gegenwärtigen Zustand des schwä*
bischen Kunstlebens schildert. Wo ist zum Bei*
spiel die enggeschlossene Gruppe von Kom*
ponisten schwäbischen Geblütes, die es nach
dem Vorbilde der bildenden Künstler dazu ge*
bracht hätte, eine bestimmte Zielrichtung ein*
zuhalten? Wir haben sie noch nicht, wenn auch
Anzeichen vorhanden sind, daß jüngere Kräfte
sich regen wollen. Wir sind mit Recht stolz auf
gewisse Stammeseigentümlichkeiten, sie haben
uns aber auch schon in Schaden gebracht. Wider*
spruchsgeist gegen das, was von fremder Seite
als bedeutend hingestellt wird, eine Art Scheu,
für Neues offen einzutreten, hat uns in der
Musik oft schon in den Ruf der Rückständig*
keit gebracht. Mit Recht durfte man gegen
solcheVorwürfe darauf hinweisen, daß man sich
in der Schwabenhauptstadt auch nicht in Strö*
mungen hat hineinreißen lassen, in denen nicht
fortzukommen war, die vielmehr eine Umkehr
notwendig machten.-An Tabellen ge?
messen, wie sie die täglich sich abspielende
Oper und die nahezu täglich belegten Konzert*
säle ergeben, ist die Musikfreudigkeit in Stutt*
gart auf einen kaum zu überbietenden Grad
gestiegen. Die Symphoniekonzerte des Lan*
destheaterorchesters haben sich geradezu
Volkstümlichkeit erworben. Fritz Busch hat
es verstanden, die Stätte der Wiedergabe von
Orchesterwerken großen Stiles und modernen
Gepräges zu einem Anziehungspunkt für weite
Schichten der Bevölkerung zu machen. Frisch,
impulsiv vorgehend, wie bei seiner Direktions*
weise ist Busch in ein engeres Verhältnis zum
Konzertbesucher getreten, als die meisten seiner
Vorgänger. Büschs eigenste Liebe gehört wohl
den Werken der Brahms*Regerschen Richtung
an. Es würde nichts schaden, selbst einmal auf
die Gefahr hin, sich dem Vorwurf des Experi*
mentierens auszusetzen, wenn lebende Meister
noch stärker berücksichtigt würden, aber es
darf nicht vergessen werden, daß Stuttgart nur
ein Orchester zum Verdolmetschen symphoni*
scher Offenbarungen hat. Wo deren zwei, würde
sich von selbst die Teilung in ein modernes und
in ein klassizistisches Lager ergeben.

Unter den Künstlern, welchen ein besonderer
Einfluß auf die Geschmacksrichtung in der Ge*
samtheit der Musikgenießenden zukommt, steht
voran Karl Wendling. Das Quartettspielen
hat ihn so gänzlich in Beschlag genommen, daß
er nun als Konzertmeister aus dem Verbände
des Orchesters austritt. Ich sage nicht zu viel,
wenn ich das Wendling?Quartett als eine
Künstlervereinigung bezeichne, auf die ganz
Deutschland stolz sein darf. Es kann kein grö*
ßeres Lob für eine Stadt geben, als daß man
ihr nachsagen darf, sie wisse das Edelgut der
Kammermusik in richtige Pflege zu nehmen.
Das eine ist auffallend. Wir haben das Muster*
Streichquartett, können aber keine ständige Kla*
viertrio*Vereinigung aus einheimischen Künst*
lern neben ihm anführen. Und doch fehlt es
uns nicht an Pianisten und Pianistinnen. Max
Pauer ist der Pianist in Stuttgart. Er bleibt
jetzt hoffentlich für immer ans Schwabenland
geknüpft. Das unmittelbar vor dem Abschluß
seiner Umwandlung in eine »Hochschule für
Musik« stehende Konservatorium wird ihn als
Direktor an seiner Spitze behalten und Pauer
ist ein Spieler, der strengste künstlerische Grund*
sätze einhält. Josef Haas, kein gebürtiger
Schwabe, aber als Bayer uns stammverwandt
ist derjenige, der am meisten dafür sorgt, daß
der Name Stuttgarts auch als Komponistenstadt
im Reiche gebührendes Ansehen erhält. Er liebt
das Seelisch*Feine, das Zarte, auch das Drollige.
Er hat Dinge geschaffen, die sich wie feine
Juwelierarbeit ausnehmen, sich aber auch er*
folgreich auf das Gebiet der großen Formen
begeben, über das man nicht mit leichtfüßigem
Tritt hinwegwandeln kann.
Unserem Chorwesen scheint ein neuer Auf*
Schwung bevorzustehen. Viel darf man von dem
der Leitung Büschs sich anvertrauenden Phil*
harmonischen Chor erwarten, der sich neben
den leistungsfähigen älteren Schwester* oder
Brudervereinen sehr wacker gehalten hat. Der
Württembergische Tonkünstlerverein
hat sich die besondere Aufgabe gestellt, ge*
legentliche Überblicke auf modernes Schaffen
zu gewähren, Hermann Kellers regelmäßige
Kirchenkonzerte zeichnen sich durch literatur*
kundige Programmauswahl aus verschiedensten
Stilperioden aus. Spricht man von Stuttgart als
Konzertstadt, so darf der Gedanke vom Plan

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