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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0080

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FUNKEN

KUNST UND RELIGION. Ein Versuch über die
Möglichkeit neuer religiöser Kunst von G. F. Hartlaub
1919. Kurt Wolff Verlag.
G. F. Hartlaub taucht mit diesem monumentalen Buche,
weldies 112 Textseiten und 76 Bilderseiten umfaßt,
nicht plöblidr aus dem Unbekanntsein auf, sondern
seit Jahren hat er in Zeitschriftbeiträgen beides be-
wiesen: wie dringend ihn das Problem beschäftigt, ob
heute religiöse Kunst möglich ist, und über ein wie
ausgebreitetes Wissen er verfügt, um auf dieses Pro-
blem eine best -gesfübte Antwort zu geben. Wenn er
nun diese Einzelerkundungen, welche er bisher unter-
nahm, zu einem umfassenden Überblicke zusammenfaljf,
so triff vor allem eins in die Erscheinung: Hartlaub
weif> eine Antwort zu geben, und diese Antwort fallt
bejahend aus.
Um dieser methodologischen Ergiebigkeit willen dünkt
mir, ist das Buch, abgesehen von der Neuartigkeit
seines Inhalts, in sich selber ein Gewinst und An-
zeidien froh stimmender Geisfesumkehr. Denn die
Kunstschriftstellerei, welche den Impressionismus be-
gleitete, welches war ihr offen zur Schau getragenes
Wunschbild? So zu sein wie die Malerei, die sie mit
ihren Worten spiegelte, nämlich Halbföne zu geben,
Beziehungen zu häufen, Einfälle zu verflediten, Reize
zu wecken. Als ärgsten Vorwurf empfand diese Schrift-
stellern den, sie entwickle ein vorbedadrfes Linien-
gefüge, sie wolle Endgültigkeiten auf stellen. So relativ
wie die Wahrheit des impressionistischen Bildes bestand,
nämlich relativ zur Gestalt des draufjen befindlichen
Naturmotivs, so relativ suchte sidr ein Meyer-Graefe,
ein Sehe ff ler als Kunstlehrer zu halten und immerzu
das nur Beziehenflidre hervorzukehren, das Beziehent-
liche zu der eigenen, unruhigen, reizerpichfen Empfind-
samkeit, die als das leiste und eigenflidr feststehende
Kriferum galt. Die Biidrer, weldre auf diese Weise
zustande kamen, bedeuteten wohl Eroberungen im
Sprachlidren, bedeuteten Verfeinerung und Steigerung
des Geschmacksnervs, bedeuteten eine unendliche Ge-
schwindigkeifszunahme des Kombinierens und Asso-
ziierens, aber der Fluch des Relativismus verfolgte sie
noch bis in ihren Daseinszweck: sie bedeuteten sdiriff-
sfellerisdre Erläuferungsleisfungen, flimmerndes Rück-
spiegeln und Nachzeichnen; nicht trugen sie sidr
selber, nicht blieben sie wahr aus eigener Daseins-
nofwendigkeit.

G. F. Harflaubs Buch ist eine derjenigen Schöpfungen,
die in der lebten Zeit offenbar zum Ziel der Kunsf-
schriffsfellerei werden und sich damit grundsätzlich vom
Wunschbild der vorherigen Generation unterscheiden
— zu einer Sdröpfung, die nadr Absolutierung strebt.
Diese Art der Niederschrift geht dadurch, dalj sie
dem impressionistischen Relativismus Lebewohl sagt,
keineswegs einen Bund mit dem systematischen Ge-
baren der deutschen Universifäfslehrerästhefik ein; letz-
tere ist, auch wo sie das schaffende Erlebnis in den
Mittelpunkt rückt und Seelenkunde treibt, kaum mehr
als Philologie und füglich an den nachberichtenden,
objektiven Ton dieser Wissenschaft gebunden; sie lie-
fert das Material, aus dem die freie Kunstschriff-
sfellerei schöpft.
Die Absolutierung, für die Harflaubs Buch ein über-
aus wohlgelungenes Beispiel ist, verfährt so, dalj sie
ihre Mittel aus sich selber entwickelt, ihr Reidi von
dem Gegenstände aus, um den es geht, abmiljf und
mit ihm ausfüllt, Fragen formuliert und je nachdem
deren Beantwortung vornimmf oder deren Unbeanf-
wortbarkeit nachweisf. Ein solches Buch beginnt und
endet ganz in seiner eigenen Idee, was nadr auljen
hin die Wirkung hat, dalj es die Dinge nidrf nach-
fräglidr glossiert, sondern vor den Dingen führend
vorangehf. Das ästhetische Urteil, wie es jetjf gefällt
wird, bleibt nicht mehr „Wort", sondern bedeutet „Tat".
Und diese Tat enthält die Persönlidikeif des Ver-
fassers in aller eindeutigen Gegenwärtigkeit, umge-
kehrt wie ehedem, wo beim Abgeben bloßer Worte
die Verfasserpersönlichkeit sidr verfliichtete.
Es wurde bereits erwähnt, dah Harflaub das gesamte,
sowohl kunsthistorischc wie religionsphilosophische Rüst-
zeug mifbringf, welches für die Bewältigung eines
Themas, wie er es sidr stellt, notwendig ist. Fülle
des Forschungsmaferials ist bei einem solchen, auf ab-
solutkrende Erkenntnisfeststellungen zusteuernden Un-
fersüchungsverfahren, das leicht in dürren Doktrinaris-
mus abbiegen kann, noch mehr erforderlich als bei
der Darstellungskunst im Stil des Impressionismus.
Mit großer Anschaulichkeit arbeitet er den Expressio-
nismus, dem seine Worte und dem die beigefügfen
Abbildungen gelten, als eine präreligiöse Seinssfimmung
heraus und erkennt ihm vor dem Impressionismus,
den er auch weltanschaulich als Verfallsabschnitt kenn-
zeichnet, die grolje Überlegenheit synthetischer Willens-

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