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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Rukser, Udo: Tradition und Orginalität
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0545

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TRADITION UND ORIGINALITÄT

UDO RUKSER

„Die Hauptsache ist, dalj man ein großes Wollen habe
und Geschick und Beharrlichkeit Besitze, es auszuführen.“
GOETHE.

Immer wieder hören wir Kunstwerke tadeln, weil sie nicht neu, nicht original seien, und ebenso
oft wird der Verlust aller Tradition beklagt. Man begreift dabei in der Regel das Traditionelle
als das durch Herkunft, Überlieferung und Sitte Bestimmte; das Original als dessen Gegen-
teil, als das Neue im Gegensah zum Alten, als das „Eigene“, Noch - Nidrt - Dagewesene.
Beide Begriffe werden also als Gegensähe verstanden und gleidrzeitig wird ganz allgemein in
beide ein Werturteil hineingelegt: „nidrt Original, folglich nichts wert“, so oder auch umgekehrt lautet
die Quintessenz aller Kunstwertungen, Beide Begriffe werden ganz selbstverständlich als
Wertmesser verstanden, freilidr ohne je auf ihre Eignung hierzu geprüft zu sein. Diese Unklar-
heit findet eine gewisse Erklärung darin, daß die Begriffe Originalität und Tradition — wie die
meisten heutigen Begriffe — völlig unsicher abgegrenzf sind und im gewohnten Gebraudr immer
mehr verschwimmen. Und so wird die Sonderbarkeit begreiflidr, daß ein großer Teil der kunsf-
gesdiidrflidren Literatur sich aussdrließiich damit beschäftigt, die Abhängigkeit irgendwelcher Werke
von einander, die „Beeinflussung“ festzustellen. Man glaubt damit etwas über den Wert aus-
zusagen; ist das, wie sidr aus dem Folgenden ergibt, irrig, so ist die Beredrtigung dieser Art
Literatur fragwürdig.
An sich ist jede mensdiliche Betätigung neu, d. h. nodr nicht dagewesen, urspriinglidr; denn stets
wird eine Veränderung im Weltganzen bewirkt, die zuvor nicht vorhanden war: duo cum faciunt
idem, non est idem! In diesem Sinne steht nur das rein tatsädrlidie Vorhandensein von Handlungs-
ergebnissen in Frage, lediglidr ihre räumliche und zeitlidre Beziehung und ihre Vornahme durch
eine bestimmte Person. Die Verbindung der Begriffe Originalität und Tradition aussdrließlidr in der zeit-
lidren Dimension ist also nidrt möglidr. Der Begriff der Tradition macht deutlidr, dah beide audr modal
verbunden sind, sidr also audr auf die Art und Weise von Äußerungen beziehen. Beide haben das
Moment der Ähnlichkeit insofern zur Voraussetzung, als man eine Handlung, die einer anderen ähnlich
ist, nidrt original findet. Andrerseits genügt audr die Analogie unter einigen wenigen Betätigungen
nodr nidrt zur Fixierung einer Tradition, da diese eine lange Übung und Schulung der Enrpfindungs-
und Vorstellungsweise in einer gewissen Ridrtung vorausseßt.
Ferner entsteht sofort die weitere Frage: ob die Beziehung beider Begriffe vom Künstler aus,
oder rein objektiv als auf die Existenz gleidrartiger Handlungsergebnisse abgestellt zu verstehen
ist? Es ist beispielsweise oft genug erwiesen, daß gewisse Ideen, sei es gleidrzeitig, sei es
nadreinander, von versdriedenen Individuen völlig unabhängig von einander formuliert worden
sind. Ist die Handlung des Späteren, der von der der Früheren nichts weiß, original? Bedeutet
original und traditionell dasselbe wie die Gegensaßreihe selbständig und unselbständig? Ersidrt-
lidr liegt audr diese Beziehung in beiden Begriffen verborgen, womit ihre Verbindung audr mit
der dunklen Weite der Künstlerpsydrologie offenkundig wird.
So beginnt sidr die Wirrnis des Problems zu klären: Man hat zwei Betrachtungsweisen mit-
einander vernrisdrt und verschiedene Dinge mit demselben Namen bezeidrnet, eine Ersdreinung,
die Nießsdre als typisdr modernes Phänomen festgestellt hat. Man hat nämlidr die objektive
Prüfung, ob eine Äußerung einer anderen irgendwie verwandt ist, mit der psychologischen
vermengt, ob jemand zu einer Handlung selbständig, ganz aus sidr heraus gekommen sei, oder

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