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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Erhardt, Otto: Moderne Opernregie
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0615

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MODERNE OPERNREGIE

OTTO ERHARDT

Die Frage der Opernregie, für die es bis heute keine feste Norm gibt, hat sich in den letzten
Jahren insofern geklärt, als ihre das Handwerkliche überwindenden, geistigen Vertreter
den Weg vom Experiment zur Problemstellung gefunden haben. Damit ist zugleich der Weg
zu einer Lösung gegeben und kann beschritten werden, wenn die schöpferischen Persönlich*
keiten sich in den Grundfragen zusammenfinden.
Von einer Reform der Opernszene im einzelnen konnte man bereits vor einem Jahrzehnt
sprechen; der als das Heil gepriesene naturalistische Stil des modernen Dramas wurde mei*
stens falsch, selten richtig, auf das musikalische Drama übertragen. Die mißverstandene Plastik
bekam den Vorzug; selbst Mozart blieb von ihr nicht verschont. Es wurde viel auf der Bühne
gebaut, aber wenig Erbauliches geschaffen. Vor allem erstreckten sich die Reformen mehr auf
Einzelerscheinungen der musikdramatischen Literatur. Man bemühte sich, Bayreuth zu über*
winden, ohne, bei besserer Gestaltung des Dekorativen, für die »innere« Regie Ersatz bieten
zu können; man war ferner bestrebt, Mozart wiederzubeleben, ohne die genügenden histo*
risch*ästhetischen Grundlagen zu besitzen. Bayreuth blieb dennoch für Wagner maßgebend,
München für Mozart; Wiesbaden verfiel in den Zustand der byzantinisch angehauchten,
englischen Ausstattungspantomime. Gregors »Komische Oper«, zunächst verdienstlich, trug
das Schauspiel in die Oper.
Zu Beginn des Krieges machte sich ein weiterer Anlauf bemerkbar. Der moderne Maler wurde,
anstelle des bisherigen Theatermalers, mehr und mehr als künstlerischer Beirat auch für die
Oper hinzugezogen. Daraus ergaben sich wiederum Verbesserungen im einzelnen; besonders
für das moderne Musikdrama waren diese Persönlichkeiten ein Gewinn, da sie, und nicht
als Opernregisseure fungierende ehemalige Sänger, das Bühnenbild bestimmten.
Von einer durchgreifenden Änderung im W'esen der Operninszenierung konnte erst die Rede
sein, nachdem die geeigneten Männer da waren, welche die Opernregienichtim Nebenamt aus*
übten, entweder als notwendiges Übel ansahen oder die mit der »Regieverpflichtung« ver*
bundene Gehaltserhöhung gern mitnahmen, sondern aus ihr den Hauptberuf machten, in
ihrer Ausübung eine Lebensaufgabe sahen. Diese Männer reiften der deutschen Opernbühne
allmählich, und in nicht eben großer Anzahl, heran. Sie kamen nicht vom Darsteller her, son*
dern vom Kunstwerk, sie waren entweder als Kapellmeister, Schriftsteller oder als bildende
Künstler vorgebildet. Ihr Streben ging dahin, nicht nur bei Wagner, sondern bei jeder Oper,
die es verlohnte, das Gesamtkunstwerk wieder herzustellen, beziehungsweise es in vielen Fällen
überhaupt erst zu schaffen. Nach heftigen Kämpfen, die, man kann es sich bei der Verfassung
und dem Bildungsgrad der meisten singenden Darsteller bis vor zwei Jahrzehnten denken,
bei der Oper besonders hartnäckig waren, hat sich der wissenschaftlich gründlich vorgebildete,
dabei aber nichts weniger als unpraktische und nicht theaterfremde, sondern vom Theater
besessene, zuerst immer als »lateinischer« bezeichnete, nicht spielende und nicht singende,
nur im Notfälle zum Einspringen befähigte moderne Opernregisseur endlich durchgesetzt.
Die wenigen Repräsentanten dieses entsagungsvollen Berufes, die sich noch immer im Kriegs*
zustand mit der Tradition befinden, sind bemüht, für den geeigneten Nachwuchs zu sorgen,
der ihre Versuche aufzunehmen und weiterzutühren imstande ist.
Daß der Opernregisseur nicht nur musikalisch sein muß, sondern durchaus als Musiker aus*
gebildet, scheint selbstverständlich zu sein, muß aber leider immer wieder betont werden, da

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