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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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DER EKSTATISCHE FLUSS. RHEINKLÄNGE
OHNE ROMANTIK.* — Diskrepanz zwischen solchem
Ober- und Untertitel ist, geht des Verfassers Gedanken-
gängen man nach, nur scheinbar. Daß skataaic:
Schauung der Welt von individuellster metaphysischer
Grundlage aus nidit ohne jene periphere geistige Haltung
denkbar, die als im tieferen Sinne „romantisch“ wir
bezeichnen, ist Carl Maria Weber, der diese Verse
um den Rhein schrieb, nidit weniger selbstverständlich
als uns. Betont er daher: »Rheinklänge ohneRomantik«,
so ist offenbar dies nur distanzierende Bewegung gegen
jene bourgeoise Sentimentalromantik, die der rhein-
ländischen Verkehrsvereine beliebtestes und wirksamstes
Propagandamittel ist. Daß soldie Disfanzseßung nötig
sei, glaube idi freilich verneinen zu dürfen, da für das im
schönsten Sinne romantisdie, d. h. individuell verklärte
Erleben der geistigen Atmosphäre dieses Völkerstroms,
das aus jenen Versen spricht, der Bürger — gott-
lob ! — kein Organ hat, Mißbrauch nidit zu befürch-
fen ist. Ebensowenig wie Alfons Paguets weifspannen-
dem Vorfrag »Der Rhein als Schicksal« ** dieser Bürger
(und, mit wenigen Ausnahmen, seine Presse) Ver-
ständnis entgegenbrachfe, wird mit Webers in dem
Vorwurf kongruenter, kraftdurdipulsfer Schwere fließen-
den Rhythmen er etwas anzufangen wissen.
Es steht dieser junge Dichter, in dem der jungen
Generation kampfbedingte geistige Regsamkeit und
Auforifätsfeindschaff in eigenartiger Weise mit der
ruhevollen Glaubenssicherheif des in katholischer Mystik
Beheimateten sidi vereinen, nach geistiger Haltung
wie Form ebenso gesondert außerhalb des Kreises der
„expressionistischen“ Jugend wie außerhalb jenes der lese-
zirkelreifen Revolutionäre von gestern und vorgestern,
und nur bei Werfel oder Jammes mag man seiner
Art Verwandtes spüren. Sdion sein erster Versband ***
wies diese auszeichnend isolierte Stellung ihm an. Hier
war nicht krampfiges Sdireien eines jäh vor enfseß-
lichcr Leere sich Erblickenden nach dem Freund und
Bruder in jedem Menschen, wie in den Büdiern der
vielen durch den Krieg aus der preziösen Ruhe des
„elfenbeinernen Turmes“ Auf geschreckten: hier wuchs
in Freundschaft, Liebe zu Tier und Natur, schlichter
Gottbejahung selbst verständlidi sich auswirkendes
Menschentum in dem gigantischen Geschehen des
Krieges ungesudit ins Menschhcifsumspannende, Kos-
mische. Nidit sagt postulierend der Dichter aus:
„Der Mensch ist gut!“; er weiß: „daß einst alle Wesen
gut und friedlich waren“, fordert Erwachen nur aus
dem Rausch, Rückkehr zu guter Bestimmung. Ohne
verbissene Anklage, ohne große Geste, mit schlichtem,

überzeugendem Wort, natürlicher Religiosität, in
schwebenden Rhythmus melancholisch verhalfner Verse
gebannt.
Konzentrierter noch, gesteigerter und geklärter doku-
mentiert im »Eksfatisdien Fluß« diese Art sich. Immer
ausgehend vom persönlichen Einzelerleben und immer
Ekstasen des Ich, wadisen doch im Bewußtsein der
Landschaft und Menschen, Vielheit und Ich in gleidier
Weise durchdringenden göttlichen Sendung diese Verse
so ins überpersönliche, Allgemcingilfige, daß erhabener
noch nie Vielfältigkeit des Lebens, geistiger wie ding-
licher Struktur im Bereidi dieses gewaltigen Stromes
uns zusammen geschaut dünkt. Orfsbezeichnung, ak-
tuelle Beziehung sind hier nebensächlich, wirken
störend fast, wo sie gegeben; wesentlich allein ist:
wie alles hier, anonym und belanglos in seiner Einzel-
exisfenz, prägnant und bedeutungsvoll wird als Inkar-
nation des Geistigen, des göttlichen Atems über diesem
Fluß, dieser Landschaft. Wie sehr Webers Verse
dieser schönen Mission gerecht werden, wissen freilich
die nur ganz zu würdigen, denen selbst die
Rheinlandschaff, ihre Städte, ihre Menschen so starkes
persönliches Erlebnis wurden wie diesem Dichter. Für
diese sei als lebendigster Fürsprecher des Buches aus
dem Abschnitt »Landschaft« jenes Gedicht hier wieder-
gegeben, das, an ein Tafelbild Willy Jäckels anlehnend,
»Heroische Flußlandschaff« betitelt ist:
In leicht gewundenem, zärtlichem Schmiegen,
Was trägt der Fluß dahin von Strand zu Strand?
Hingewürfelt an die Bergeswand,
Im Morgen schimmernd, Turm und Dächer liegen.
Zyklopenmassen ragen. Brücken fliegen
In weitgespanntem Schwung, den Gott erfand.
Ruine bröckelt. Unsidifbare Hand
Zieht schlitternd Fahrzeug hin durchs Wogenwiegen
Und greift gespenstisch in das Wälderwehn. —
O, wag' ich noch auf diesen Höh'n zu steh’n!
Erfaßt midi sdion der Rhythmus der Gewalten . .?
Bin hingelodert in das große Dreh'n
Des Welf winds — Auf zum Wesenlosen sich gestalten! —
Idi muß midi halten . . .
Gottes Hauch in meines Kleides wildem Falten.
Daß diesem Didifer sidi Graphiker gesellen, deren
Griffel, von verwandtem Geist gelenkt, seine visionären
Gestaltungen dem Auge in oft überraschender Treue
vermittelt, macht sein Buch besonders wertvoll. Es
gilt dies zwar nidit von allen (Original-) Sfeinzeich-
nungen des Bandes ohne Einschränkung, doch sind

* Verlag A. Bagel,
Düsseldorf, M. 235.

** Erschienen als Hefl 6
des „Strom“ (Kairosver-
lag in Köln), in erweiter-
ter Form neuerdings bei
Kurt Wolff, München.

*** Carl Maria Weber :
Erwachen und Bestim-
mung. (ln „Der jüngste
T ag“, V erlag KurtWolff,
München.)

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