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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Saekel, Herbert: Das neue Bühnenbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0542

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DAS NEUE BÜHNENBILD
HERBERT SAEKEL

Nichts kennzeichnet besser und eindringlicher dieser Zeit kulturelles Elend als ihre Unsicherheit
in künstlerischen Dingen, ihr krampfhaftes Experimentieren und Sudren nach der ihr gemäßen
Kunst, ihr Mangel an Stilgefühl. Zu sehen, welcher grandiosen Unsinnigkciten, welcher
grotesken Stilwidrigkeiten diese Generation fähig ist, genügt ein Blick auf die deutsdren Theater-
kritiken auch nur einer Wodie, eines Tages. Da hat man hier der Toller, Friedrich Wolff, Sorge
in milieufernster Gedanküchkeit brennendes Pathos durdr naturalistische Einrichtung vergewaltigt,
dort Strindberg romantisch verwässert; dieser Spielleiter glaubte dem groben Schweden ein kubistisches
Bühnenbild schuldig zu sein, ein anderer hielt es für notwendig und zeitgemäß, Ibsen, einer
gar Grillparzer in ein „expressionistisches“ Gewand zu stecken — — — und so fort in lieblidrer
Reihe! Die „kubistischc“ Berg- und Tal-Bahn im Lunapark und der „expressionistische“ Film
lassen selbst dem armseligsten Sdimierendirektor in irgend einem PosemuckeI keine Ruhe mehr,
und wenn seine Bühne in der „Pflege der Moderne“ audi über Hauptmann (Gerhart), Sudermann
und Fulda nie hinauskam — er muß seine „moderne“ Einriditung haben!
Bezeichnend für die kulturelle Unsicherheit dieser Zeit, für ihr Nichtwissen um die organische
Verbundenheit jeder „Richtung“ der bildenden Kunst mit dem gröberen kulturellen Gesamtstil
einer Epoche, sind diese unerfreulichen Erscheinungen hisforisdr als lebte Auswirkungen jener Ent-
wicklung im Bühnenwesen zu werten, die, durdr die tlberspibung des Prinzips der Illusionsbühne
entfesselt und im aussichtslosen Konkurrenzkampf des Theaters gegen den ihm an technischen
Möglidrkeiten (und zumeist auch an Kapital!) bedeutend überlegenen Film immer mehr in eine
bedenkliche Richtung gedrängt, über Reinhardts prunkvolle Aufmachungen der Neuromanfiker,
Bonns Ausstatfungszauber und letztlich über das Zirkusfheater zu vollkommener Autonomie des Bühnen-
bildes, zur Zerreißung jeder Einheitlichkeit im Stil der Aufführungen, wo nicht zur Tyrannis des
Gestalters des äußeren Bühnenrahmens über alle anderen an der Einriditung eines Dramas beteiligten
Faktoren führte. Es ist gewiß erfreulich, daß heute jede mittlere, ja, vielfadr sogar kleine Bühnen
einen eigenen „künstlerischen Beirat“ haben und daß viele unserer besten jüngeren Maler soldre
Posten übernommen haben, daß das Bühnenbild heute nicht mehr mit jener sträflichen Nadr-
lässigkeit behandelt wird wie ehedem, da nadr ein paar nebenbei hingeworfenen Bemerkungen
des Regisseurs der Theatermeister es „schuf“, das heißt aus kunterbunt in allen Ecken zusamnren-
geklaubtcn Requisiten es zusammenflickte — aber daß vielfadr diese künstlerischen Beiräte diktatorisdre
Gewalt an sidr gebracht haben, daß vielfadr die Stücke vor allem oder gar ausschließlich nadr den
Gesichtspunkten ihres Ressorts eingerichtet werden, ja: daß dichterisdr unzulänglidre Werke an-
genommen und aufgeführt werden nur, weil sie dem kiinstlerisdren Beirat die Möglidrkeit sensationeller
Leistungen geben — das zwingt zu sdrärfster Bekämpfung dieser ganzen Einrichtung in ihrer
jeßigen Gestalt. Denn es ist zu oft schon nadrgewiesen worden, daß selbst für eine aufWirklich-
keitsvortäuschung, auf Milieuechtheit und Zeitkolorit abgestellte Gesamtkunst soldre Vormachtstellung
des Bühnenbildners sehr bedenklich ist, als daß cs nodr eines besonderen Beweises dafür bedürfte,
daß sie der Richtung des neuen Dranras auf Innerlichkeit und milieuferne allgemeingüliige Gedanklich-
keit diametral entgegenwhkt und die von diesem Dranra erstrebte Wirkung aufs schwerste gefährdet.
Dodr ist leider die Einsidrt, daß jedem Typ der Bühnendichtung ein durdr die gleidren geistigen
und formalen (zeitlich bedingten) Strebungen bestimmter Bühnenstil (in Spradre, Zusammenspiel,
Bühnenbild sidr dokumentierend) entsprechen müsse, und jene andere: daß das Primäre und
Ridrtunggebende auf der Bühne nur die Dichtung, daß alles andere nur sekundär, der Dichtung
dienend sein dürfe, in der von den Gesichtspunkten eines wüsten kapitalistisdrcn Konkurrenzkampfes

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