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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Wolfenstein, Alfred: Der Freund
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0156

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1 " alrgwi.

ALFRED WOLFENSTEIN
DER FREUND
Franz
(Am Fenster — von seinen Schultern eihcben sich die knochigen Dächerlinien in den Abendhimmel —
Glockenläuten verstummt)
Ende eines Siems — Anfang einer Wüste — Gottes Glocken stehen und es knirscht von
Mensdienmarsdi —
Die Glocke verklingt wie unser letzter Schritt, unsre Sdiritte werden nun nicht mehr klingen.
Untergehen sie in Sand, Sand wirbelt auf, endlos trocken gemein wie Trommelwirbel.
Denn jet^t treten sie in die Wüste Krieg, jeht treten sie den sinnlosen mensdienlosen Marsdi
ohne Ziel an.
Sieh, wie die Leere rings, die sidi als Himmel preist, nodi etwas rot ist vom ersten Rausch —
Was bejubelt sie ahnungslos? Des Lidites Untergang! — Aber sdion verfliegt es und alles wird grau.
(Ins Zimmer umgewandt)
Was — was muh idi jetjt tun? Gott — Wilder — Unmerklidier — Haltloser — Wen meine ich?
Mir ist, als wüljte idi nicht mehr, wer idi bin — wie ich heilje — luftlose Ode vor meinem
Mund — unter meinen Sohlen nidits — aufgehoben die Welt — und idi — o Hilfe —!
riefe midi einer bei Namen —
(Stil(e)
Was soll idi tun — Da stehen die Biidier, gerade Ordnung, sdiaurig unverändert vom Gesdiehen,
Da liegen meine Blätter und wollen auch ein Budi werden.
Haha! ein Gedanke wie Spiralfeder leicht sdmellt midi auf —dah ich tun könnte, als sei
nidits geschehen —!
Idi — Idi — und die ganze Erde rings sei etwas anderes —
(In der Milte des Zimmers stehend)
Mein Ohr heult von Glocken, sie haben nidit auf gehört, sie kommen als Erz der Waffen,
Kein Un:ersdiied — kein Unterschied zwisdien Gott und Mensdien, sein läutendes Herz und
ihr sdineidendes Erz sehen einander nur fort!
Idi aber muh midi — muh midi nun besinnen — Worauf? — Auf wen? — Ich kann
niemand fragen,
Alle Welt ist im Krieg — Gott und Mensdien, Leib und Seele, und idi habe nur nodi midi allein,
O weh, — und wünschte nodi niemals so innig, für Andere zu sein! — und bin ganz für mich.
Sie aber schwellen von einander an, von Nadibarn, Stadtgenossen, Staatsbürgern und Landsleuten,
Wie Kristalle sehen sie Schicht um Sdiicht um sidi an. Kameraden, Führer, Fürsten und Gott,
Bis jeder ein Volk ist, ein Reidi voller Ströme und Städte, und nidit nur sein Reidi: in end-
losem Sdiwalle
Durdibredien sie ihre Grenzen, fluten jenseits über alles, jeder wird die Erde. So groh sind sie.

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