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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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* Ernst Bertram: Nietz-
sche, Versuch einer My-
thologie, Blätter für die
Kunst, Berlin, Georg
Bondi 1919.

DAS ERLEBNIS DER ARCHITEKTUR. Von
H. Hansen (Köln, Kairos-Verlag). Dalj hier Aufsähe,
Vorträge und diditerisdie Prosa zu einem Ganzen
zusammengefafjt erscheinen, weldres dadurch nodr kein
redifes Ganzes, d. h. fest Geschlossenes, zielhaft Gebautes
geworden ist, da seine Einzelbestandteile verschiedenen,
mehr oder weniger zufälligen Anlässen ihre Entstehung
verdanken, mag ein Naditeil sein, — trohdem bekenne
ich dankbar, viel Ehrenhaftes, Positives, Kluges, Ernstes
und Beglückendes in dieser kleinen Sdirift gefunden zu
haben. Widrtiger als die Erörterung des gotischen Bau-
willens, auf die man sdion geradezu unvermeidlich in jedem
neuen, architektonischen Problemen gewidmeten Buche
stöljt, kamen mir die Absdmitte vor, die das Wesen
des Barock zu verdeutlichen suchen, das hier in seiner
vollen Aktualität uns vor Augen tritt; ferner sei der
historischen Überblicke gedadrt, da sie ausgezeichnete
klärende Leistungen bedeuten, sie finden sich vor allem
in zwei Vorträgen (»Erziehung zur Ardiitektur« und
»Architektur und Politik«), die mit schöner prophetischer
Gebärde heranführen an die Welf einer neuen archi-
tektonischen Verwirklichung, der wir alle entgegenleben,
ohne indessen den Versuch zu madien, mehr als über die
Ridifung auszusagen, in der der neue Weg verlaufen
mu|. Hier wäre eine Auseinandersebung mit dem,
was heute sdion ist oder im Werden steht, erwünscht,
ja notwendig gewesen, wenn audi unbestreitbar ridifig
bleibt, dah ein neuer umfassender Baustil erst aus einer
geistig und politisdi neu geeinten völkisdien Gemeinsdiaft
heraus entstehen kann, während uns — wer weih, wielange
nodi — in Wirrnis und Übergang zu leben und zu
harren schicksalmäbige Bestimmung ist. BEYER.
ZUM MYTHOS: NIETZSCHE, GEORGE UND
EIN BUCH*. Da uns alles verloren ging, wir sdion
nidits mehr sind, trachten wir, über unsern Tod hinaus,
Erfüllung unseres Geistes zu schauen. Nicht ist dem
Gesdilecht, in dem wir leben, die Kraft zur Gestal-
tung, zur sdiöpferisdien Bindung der in ihm ruhenden
Wesenheiten gegeben: Erbe und eigener Wille zum
großen Gehalt ringen vergeblidi um die Form, die
groljc Reditferfigung vor dem zukünftigen Geiste, ver-
geblidi wartend des Magiers, der sie erlöst.
Bei allem Suchen, bei allem Wissen davon, dalj diese

Zeit wirklidi frädifig des Myfhenbildenden ist, dalj
vielleidit, und möglidierweise bei uns, ini verborgenen
bereits der Evangelist lebt: wie wenige Wissen um
das Wesen des Mythos und seine Entstehung. Nidif
einmal der Begriff ist klar umschrieben — nicht ein-
mal die einfadisfen Bedingungen des Mythenbildenden
sind klar erkannt!
Dies geschieht selbst klareren und fast sdion hell-
sichtigen Köpfen, wie dem Autor des Budies, von
dem hier zu reden ist. Der grobe Werdegang einer
Welfgesfaltung, vom Dennodi des Häretikers zum
Heiligen und von ihm durdi seine Legende zum
Mythos — und von da zu seiner Erfüllung in der
Kultur bis zu seinem endlichen Sterben in der Zivili-
sierung seiner freiwalfenden Essenz ist ihm nicht
klar. Wohl wird der Wandel des „Heiligen“, sein
besonderes einmaliges Sdiicksal, deufüdi und in Partien
mit evangelisfisdier Klarheit herausgestcllf: nicht aber,
wie es notwendig wäre, um erst seine besondere mythische
Sendung zu erweisen, gezeigt, wie er selbst Schicksal
für eine Zeit wird.
Von diesem abgesehen wird Wesentliches zu einer künf-
tigen Mythologie gesagt: nicht nur der Niebsdies, dem
viel eher der Geist des Täufers eignet, als vielmehr des
Messias der Zeit, — nidif der fin de siede- oder fin
du monde-Zeif, in der wir zu leben wähnen, sondern
dieser, die irgendwie, verborgen im Mufferleibe heutigen
Gesdiehens, schon empfangen ist. Ich meine, dalj es
fiiglidi nidif darauf ankomme, wenn sdion mit philo-
logischem Apparat, die Erscheinung des Meisters als
Evangelist zu zeichnen — welches ini Sinne der Evan-
gelien viel eher Dostojewski tat, indem er aus den
Zufallsersdieinungen des So-Seins, ihrem Hin- und
LIergefriebensein in der Zeit, ein neues Bethlehem,
Fludit nach Ägypten, Versuchung in der Wüste, Predigt
am See Genezareth und Golgatha kondensierte —
sondern mit aller Sorgfalt des Gelehrten zu zeigen,
wie im zufälligen Wandeln und Wirken einer Gestalt
das Einmalige und Sinngebende in Erscheinung tritt,
wobei es noch immer nicht nötig ist, dah diese Er-
scheinung schon wirklidi der Messias ist.
Dies gesagt, können wir festsfeilen, wieviel mit diesem
Budie gewonnen ist: für die Perspektive des euro-
päisdien Menschen, das Blickfeld auf sein Werden.

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