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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Saekel, Herbert: Ein Jahrbuch christlicher Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0249

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EIN JAHRBUCH
CHRISTLICHER KUNST
HERBERT SAEKEL

Treis aller Divergenz im Formalen, die das von Ahnungslosen noch immer als Sammelbezeichnung
gebraudrte Modeschlagwort „Expressionismus“ auf ihren Gesamtkomplex anzuwenden als
ein törichtes und unfruchtbares Beginnen erscheinen läßt, haben unzweifelhaft die versdriedenen
„Richtungen“, in denen der jungen Generation Kunstwille sidi auswirkt, ein Gemeinsames. Es
eignet Futurismus wie Kubismus, Äternismus und Expressionismus („Expressionismus“ im engeren,
logischen Sinne) und trennt als Gesamtheit sie von der Kunst der vergangenen Generation: die
starke Betonung der hinter der künstlerischen Persönlichkeit stehenden, in jedem einzelnen Werke
sich dokumentierenden Gesinnung, ja: die Wertung des Kunstwerkes nach der Gesinnung, die
aus ihm spridrt. Dies erklärt nidit nur die Ablehnung uns, der, trotj allen Ausstellungen, Monographien
und wohlmeinenden Aufsähen bürgerlicher Revuen, nodi immer die junge Kunst in der bürgerlidren
Atmosphäre begegnet, es läßt auch jeden Versudi, dies Bürgertum für sie zu gewinnen, als
aussichtslos erscheinen. Eine Schicht, die, selbst für Rubiners gewaltigen Mahnruf „Entscheidet
euch!“ taub, noch immer nur die Maximen praktischer Lebensgestaltung und vorsichtiger Real-
politik kennt, hat für Gesinnung kein Organ. Und das Proletariat, vordem schon in künstlerischen
Dingen fast immer des Bürgertums Schleppenträger, glaubt in seinen breiten Schichten durch seinen
unverdient leichten vermeintlichen Sieg des Angewiesenseins auf kämpferischen Idealismus, auf
Gesinnung sich enthoben, weih, gleich materialistisdr, um nidit zu sagen: kapitalistisch wie das
Bürgertum, ebensowenig wie dieses mit einer Gesinnungskunst etwas anzufangen.
In gehässige politische Verdädrtigungen ausgemünzte Ablehnung auf der bürgerlichen, Verständnis-
losigkeit und Gleichgültigkeit auf der proletarisdren Seite lassen, kunstpolitisch gesprochen, die
„splendid isolation“ und damit die kulturelle Unfruchtbarkeit der jungen Kunst als nahezu unvermeidlich
ersdieinen. Denn jener um die groben Gestalten Landauers und Rubiners gescharten „Sozialisten
des Herzens“, bei denen allein sie eine der ihren verwandte Grundeinstellung und vollkommenes
Verständnis fand, sind zu wenig, als daß mit dieser Gefolgschaft breitere Kulturwirkung zu er-
reichen je sie hoffen dürfte.
Erst in allerjüngster Zeit hat eine Änderung der so gekennzeichneten Situation sich angebahnt,
und zwar mit solcher Energie und in so rascher Entwicklung, dah vielleidrt heute sdion jene
oben geäußerten Befürchtungen als grundlos erscheinen könnten, machten nicht gewisse Erinnerungen
aus der Gesdiidrte der dabei wirksamen Faktoren eine gewisse Vorsicht des Urteils zur Pflidit.
Dem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, daß seit einigen Jahren, vor allem
seit den in allen Lagern den Willen zu Selbstprüfung und Reformen weckenden Ereignissen
vom Herbst 1918, in gewissen christlichen, vornehmlich katholischen Kreisen ein neues Verhältnis
zur Kunst, insbesondere zur Kunst unserer Tage, sich anbahnte. In angesehenen katholisdren


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