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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Kesser, Hermann: Theater: Erwähnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0673

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THEATER
ERWÄHNUNGEN

HERMANN KESSER
Das typische Theater der meßbaren jüngsten Vergangenheit ist durch*
aus, auch innerhalb allertüchtigster Betriebsbewältigung, Betriebsnot
und Stilnot gewesen; ohne die Möglichkeit, Rhythmen der Zeit auf
der Bühne in dramatischer Gestalt zu summieren; ohne einheitlichen und
überzeugenden Inhalt. Und Versuche, diesen unzulänglichen Zustand zu
durchbrechen, mündeten fast immer in Resignation oder offenen Konflikt
aus. Das Theater ist schließlich das Ergebnis einer wechselseitigen Kapitu*
lation geworden; der Bühne vor dem Parkett und umgekehrt; war jeden*
falls alles andere als eine Verständigung zwischen Bühne und Parkett in der
Richtung auf ein kulturelles Theater. Unzweideutig ist zu betonen, daß ein
anderes als dieses Zivilisationstheater in der Regel gar nicht vorhanden sein
konnte. Dieses Betriebstheater ist ein folgerichtiges Erzeugnis der Zeit ge*
wesen; es war durch eine einseitige Bereitschaft von Dramatikern, Kompo*
nisten, Direktoren, Regisseuren und Schauspielern gar nicht zu verwandeln,
solange an den Betrieb Zumutungen gestellt wurden, die eine dauerhafte
und ernsthafte künstlerische Arbeit ausschlossen.
Was heute als wirtschaftliche Krisis der Theater gilt, ist nichts anderes als
eine Krisis der inneren Lebensform des Theaters! Und sie ist seit vielen
Jahren sichtbar; sie stammt nicht aus diesen Tagen; sie ist nur durch die
Erschütterungen unserer Zeit allseitig verdeutlicht worden. Sinnlos wäre,
sie als ein Versagen des Theaters zu bezeichnen, ohne der Gesellschaft zu
denken, die das nun versagende Theater gewollt und mitgeschaffen hat.
Es gibt kein Theater ohne Zuschauerraum. Erst durch die Gemeinde zu
Füßen der Bühne entsteht »Theater«; durch ihre Abwanderung hört es auf;
durch ihre Zusammensetzung wird es in höchstem Grade mitbestimmt.
Nimmt ein erheblicher Teil der vorbildlichen und fähigen Menschen einer
Zeit am Theater nicht mehr ständig und bejahend teil, so ist dies unter allen
Umständen der Beweis für eine unfruchtbare Beziehung. Die Bühne fällt
dann entweder einer Schicht anheim, die im besten Fall sich selbst abgebildet
und bestätigt sehen will, oder es wird vor leeren Bänken gespielt. Sie kann
dann nicht für die Gemeinschaft den Platz einnehmen, durch den sie gleich?
gesetzt ist öffentlichen Instituten wie Schulen, Fiochschulen, Galerien und
Bibliotheken, deren ungeschäftliche Grundlage auch der radikalste Geld*
macher längst eingesehen hat. Die Rettung derjenigen Theater, von denen

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