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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Hilberseimer, Ludwig: Exotische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41962#0046

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in Vergleich mit der elementaren Ursprünglichkeit der Exoten um eine artistische Angelegen*
heit, freilich im höchsten Sinne, handelt. Beide sind jenem Punkte des In*einander*greifens
der Enden der ringförmigen Welt entscheidend nahe gerückt. Ihre Werke sind einer eminenten
Geistigkeit entsprungen, die aber in ihrer Isolation jene rituelle Gebundenheit der Exoten
nicht zu ersetzen vermag.
Der Urmensch steht der Welt als einem Chaos in haltloser Erschrockenheit gegenüber. Was
wir Kunst nennen, ist ihm ein Mittel, Unfaßbares in Faßbares abzugrenzen. So entstehen
die Werke, die elementaren Ereignissen gleich erschüttern. Unbegreifliches begreifbar, Form
werden lassen.
Der Urmensch fürchtet die Natur. Sie ist ihm unbegreiflich. Fassungslos steht er der elemen*
taren Gewalt ihrer Ausbrüche gegenüber. Ihren Wundern: dem Leben, dem Tode. Er ahnt
Gewalten, denen er sich versöhnen zu müssen glaubt. So erfindet er sich den Gott, die
Götter. Schafft sich mit deren Bildern Symbole der Andacht und des Schutzes. Beruhigende
Zeichen seinem Innern. Schafft sich einen Ritus gesetzmäßigen Verhaltens. Eine Organisation
des Lebensablaufs. Des Diesseitigen und Jenseitigen.
So macht er sein ganzes Leben, sein ganzes Tun zu einem Gottesdienste. Seine Werke tragen
die Spuren tiefen religiösen Erlebens, sind Zeugnisse konsequenter Einheit, Dokumente
eines Lebens aus dem Urbewußtsein, eines Lebens unter einer allumfassenden Gottheit. Der
Glaube an Unbedingtes entspricht dem Vollgefühl, aus dem allein ein kosmisches Werk er*
wachsen kann. Der Gestalter scheidet aus als Person. Sein Werk ist überpersönlich.
Die exotische Kunst ist im wesentlichen hieratisch. Auswirkung des Kultus. Fetischismus,
Ahnenkult, Geheimbundwesen und Totemismus sind bei den exotischen Völkern weit ver*
breitet. Ihnen verdanken wir die zahlreichen holzgeschnitzten Skulpturen, deren über*
raschende Prägnanz unsere Bewunderung erzwingt. »Das Kunstwerk wird nicht als willkür*
liehe und künstliche Schöpfung angesehen, vielmehr als mystische Realität, die an Kraft die
natürliche übertrifft. Das Kunstwerk ist real durch seine geschlossene Form. Da es selb*
ständig und überaus mächtig ist, wird das Distanzgefühl eine ungeheuer intensive Kunst
erzwingen.« (Carl Einstein: Negerplastik. Kurt Wolff, München.) Die Fähigkeit, zur formalen
Geschlossenheit zu kommen, ist von dem Grade der Intensität abhängig, denn
Intensität ist der einzige Gradmesser. Mit der Fähigkeit, Bedingnisse zu überwinden, schafft
sie das große Werk; Werke, die allgemein menschlich, überzeitlich, ewig sind.
Der schöpferische Mensch ist nicht Artist: sondern Umdeuter des Erl ebensinZeichen,
zur Sichtbarmachung und Verständigung. So ist das primitive Ornament, das der Prähistorik
wie das der Exoten, seinem Ursprünge nach religiöses Symbol. Entspringt einer unheim*
liehen düsteren Phantastik. Ist ein Versuch, Unübersehbares durch Abgrenzung übersehbar
zu machen. DieKunst beginnt, wenn derMensch anfängt durch Abgrenzung den
Zwang der Erscheinungen zu brechen. Sein Inneres erscheinen läßt. Aus solchen Ur*
Sachen hervorgehend, ist die exotische Kunst gegen die Natur gerichtet. Das exotische Ornament
wurzelt wie alles Ursprüngliche in der Geometrik. Nächst dem Bedürfnis abzugrenzen, ist
es funktionaler Ausdruck, stellt dem Chaos des Lebens Ordnung, dem Unmeßbaren Maß,
der Willkür Rhythmus gegenüber, denn das sogenannte Schmuckbedürfnis gehört bereits in
das Gebiet des Kunstgewerblichen, ist nicht Ursache zur Entstehung des Ornaments, wohl
aber das Bedürfnis zu ordnen, Maß und Rhythmus einzuführen. Ornamentik und Malerei
gehen aus einem Ursprung hervor. Sie bedienen sich der Fläche, die sie gestalten. Ihre Mittel
sind daher Flächenhafte: Linien und Flächenkompartimente. DieVerbindung beider, ihre Kom*

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