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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Kuchenbuch, Herbert: Über die Wiedergeburt der Tragödie aus der Musik deutschen Wortes
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https://doi.org/10.11588/diglit.41962#0166

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ÜBER DIE WIEDERGEBURT DER
TRAGÖDIE AUS DER MUSIK
DEUTSCHEN WORTES

HERBER T KUCHENB UCH

I


er Blutkörper Erde rollt in den Adern des Welttiers, ist Blut, ist Feuer, ist Erde, ist er

selbst, wie alle Dinge sie selbst sindinder Riesenstadt Welt. Der Mensch wird geboren
auf der Erde. Blitz, Donner, Liebe, Ruhe erschreckt, erfreut ihn. Sein Hauch formt darüber
Ah und Oh und Ach. Die Sprache ist erfunden. Fortan sind die Dinge nicht nur die Dinge,
sie sind Hauch und Klang aus Menschenmund. Diese zweite Welt zeugt der Mensch, setzt
sie selbstherrlich für die erste ein, weiß noch nicht, daß Ah und Oh und Ach etwas nur be«
bedeuten, auf etwas nur hindeuten.
Die Sprachenwelt wächst, wächst nach den Gesetzen ewigen Maßes, wie alles wächst, was
hier gezeugt wird ab von Geist oder Körper. Gedrängt von der Sehnsucht nach Vielheit bil*
den sich Arten. Da gibt es Sprachen wie tropische Wälder, wie glänzende Sattheit des Fisches,
wie Gletscherklarheit, wie Dämmerlicht. Und jede dieser Sprachen ist die Welt für den Men*
sehen, der sie spricht. Viele bunte neue Welten, ähnlich sich irgendwie gleich Kindern, ge*
zeugt von derselben Mutter, Urform Welt.
Das Menschengeschlecht wächst heran, Werke schleudernd, werkgeschleudert. Noch Sinn*
bild ringt es für das Geheimnis der Tat, nimmt die Sprache, seine Sprache, läßt die Tat reden
mit ihren tausend Worten, reden durch Menschenmund: neugezeugt, weiterzeugend, entsteht
die Tragödie, das doppelte Sinnbild der Welt, in ihren Worten tragend Klang und Duft
der Dinge, in ihrer Fügung weisend auf das abgrundtiefe Weltgeheimnis Tat.
Klang und Duft der Dinge! Und je tiefer jegliche Sprache sie selber wird, je besser Ausdruck
ewigen Gesetzes, je mehr Klang, je mehr Duft! An jeglichem Ende tönet Musik. Nur singen
kann der Mensch von den Geheimnissen, nicht reden: Die Tragödie singt.
Auf langer, langer Wanderung zu sich selbst, kommt ein Teil der Menschen dort auf der
Erde, wo so dicht sich die Menschen drängen, abgeplagt von Handel und Wandel, zur schein*
baren Erkenntnis, daß Name nicht Wesen, Wort nicht Ding ist, daß nur in Trugbildern wir
reden.
Erste Bestürzung schließt allzurasch: Aller Gesang war Täuschung. Hart, kalt, ewig fern
unserm Träumen ist das Wahrhaft*Seiende.
Das Wissen des Künstlers ums Symbol, um das Wesen, das sich nur im Spiegel zeigt, ist
den Händlern verschüttet. Musik ward Sünde. Wohl klang und duftete die Sprache weiter,
aber der Mensch vermochte sie nurmehr zu sprechen. Wohl entstanden Tragödien, aber
glaubenslos, voll Hautgeschehens nur, nicht voller Seelentat. Die tragischen Menschen
auf der Bühne sangen nicht mehr, — wovon hätten sie singen sollen! — Plattheit des Alltags
nur wurde wiederholt. Die Bühne, der Spiegel des Lebens, spiegelte das Leben, wie es sich
gab, als Ereignis der Gasse.
Musik flüchtete sich in das Lied, in abstrakten Klang von Blech und Holz; ein wenig Be*
gebenheit dazu, und es vermählten, vermischten sich das entgeistete Wort mit begeistetem
Blech und Holz. Die Oper wuchs und weil Musik, die uns ewig notwendige, hier Befreiung

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