denen das zweite die boshafte und erheiternde
Psychologie der französischen »Portiersfrau«
auf blättert und niederschreibt, schuf H. Dau«
mier Illustrationen. Beide Essays, Prosa ech«
ten gallischen Geistes, ironisch, klug, liebens«
würdig bis zur Bonhomie, klar, scharfäugig,
witzig, elegant geformt, finden in Daumier ihre
Parallele.
Diese Federzeichnungen Daumiers sind Dinge
zugespitzter Ironie, kostbare Persiflagen des
Spießbürgers, die ihm das hohle, böse Herz aus
der Brust reißen, die seine Torheit, seine gigan«
tische Dummheit, seine unendliche Beschränkt«
heit in grotesken Schnörkeln festlegen. Es sind
Brandmale seiner Schändlichkeit und seines
Neides, Plakate seines brütenden Ungeistes und
seiner Starrnackigkeit, Zeichen seiner hundert«
fähigen Lächerlichkeiten, Dokumente seiner
Aufgeblasenheit und Leere,Scheinwerfer in seine
schwatzenden Intimitäten, Bloßsteller seiner
bodenlosenU nwahrhaftigkeiten,es sind schmun«
zelnde,meckernde,totmachende,blitzendeRand«
bemerkungen, Geiseln, die in Liebenswürdig«
keit versteckt sind, Pfeile, die aus Samt heraus«
schnellen, Nadeln, die ihn blitzschnell stechen
und überall durchlöchern.
Die kleinen delikaten Bücher erschienen im Mau«
ritius«Verlag zu Berlin. Alle Anti«Spießbürger:
lest sie! Anton Schnack
JULIUS BAB: »DER MENSCH AUF DER
BÜHNE«. (Verlag Oesterheld & Co., Berlin.)
Das so betitelte, 1910 erschienene und jetzt ver«
griffene Buch gibt Bab nun umgearbeitet heraus.
Die Umarbeitung hatte den Zweck, Zwittriges
der ersten Ausgabe sowohl inhaltlich wie for«
mell zu beseitigen, um der Uridee näher zu
kommen: für den Schauspieler eine Ge«
schichte des Dramas zu schreiben. Bab ist sich
bewußt, daß seine Forderung, die auch die
Forderung Otto Ludwigs war, noch bei wei«
tem nicht erfüllt ist und daß sein Buch nur ein
Regielehrbuch für Schauspieler darstellt. Wenn
man aber seinen Führungen durch die Ideen und
Vorgänge der behandelten Dramen folgt, so
möchte man doch wünschen, daß sein arbeits«
reiches Leben ihm Zeit ließe, »die Geschichte
des Dramas von der Schauspielkunst her« zu
schreiben. Er wäre mit seinem dramaturgischen
Rüstzeug wohl der Geeigneteste dazu unter den
Kritikern von heute. Willi Dünwald
MAX STEINITZER, ZUR ENTWICK«
LUNGSGESCHICHTE DES MELODRAMS
UND MIMODRAMS. Das anregende Büch«
lein erschien als 35. Band der »Musik« mit
einem Geleitwort Arthur Seidls, der diese von
Richard Strauß begründete Sammlung seit 1918
herausgibt. Es verfolgt beide Gattungen von
Rousseaus Pygmalion und Bendas Ariadne bis
in die jüngste Gegenwart, wobei man nur eine
eigentliche ästhetische Fundierung des Begriffs
vermißt. An die gesanglose Dramatik reiht sich
die Epik, die vertreten wird durch das Konzert«
Melodram (Schumanns Manfred, Strauß’ Enoch
Arden, Sigwarts Hektors Bestattung) und durch
Balladen, unter denen Liszts Lenore nach Bür«
ger und Schillings Hexenlied nach Wildenbruch
wichtige Stationen bezeichnen. Nur ein schein«
barer Sprung führt dann zu den Mischformen,
zu Berlioz’ seltsamer Lelio und Schönbergs gro«
teskem Pierrot«lunaire«Zyklus; bei der sonst
spärlich bedachten Lyrik macht der Verfasser
auf die russischen »Melodeklamationen« auf«
merksam. Auch die graphische Darstellung be«
handelt er, unentbehrlich zur Aufzeichnung des
»gebundenen Melodrams« — einer Wortprä«
gung Humperdincks, dessen Melodram »Die
Königskinder« (1898) Steinitzer künstlerisch
höher bewertet als das nachmals zur Oper um«
gewandelte erfolgreichere Werk. Den Schluß
bildet eine Betrachtung der musikalischen Panto«
mime, des Mimodramas, das neuerdings durch
Richard Strauß’Josephslegende wieder ein aktu«
elles Interesse gewonnen hat. Steinitzer erweist
sich als ein eifriger Verfechter des Melodrams, das
jaals»Zwittergattung«vielfach angegriffen,sogar
prinzipiell abgelehnt wird. Dr. James Simon
TANZ UND TANZLITERATUR DER
GEGENWART. Bewegungskunst und Tanz
streben in den letzten Jahrzehnten heraus aus
Niederungen leichten Vergnügens und Varietes,
in heftiger Opposition zu herkömmlichem Ge«
sellschaftstanz und Kunsttanz (Ballet), deren
Wert in immer weiteren Kreisen fragwürdig
erscheint. Sind sie schön an sich? oder immerhin
eine Schule der Anmut oder wenigstens ein
Sport, eine gesunde Bewegung? — ist noch
»Natur« in diesem Flirt zu Musik? sollen
Rumpf und Arme ruhen, während die Beine
sich toll drehen? werden nicht alle Gesetze der
»natürlichen« Bewegung und Harmonie ver«
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Psychologie der französischen »Portiersfrau«
auf blättert und niederschreibt, schuf H. Dau«
mier Illustrationen. Beide Essays, Prosa ech«
ten gallischen Geistes, ironisch, klug, liebens«
würdig bis zur Bonhomie, klar, scharfäugig,
witzig, elegant geformt, finden in Daumier ihre
Parallele.
Diese Federzeichnungen Daumiers sind Dinge
zugespitzter Ironie, kostbare Persiflagen des
Spießbürgers, die ihm das hohle, böse Herz aus
der Brust reißen, die seine Torheit, seine gigan«
tische Dummheit, seine unendliche Beschränkt«
heit in grotesken Schnörkeln festlegen. Es sind
Brandmale seiner Schändlichkeit und seines
Neides, Plakate seines brütenden Ungeistes und
seiner Starrnackigkeit, Zeichen seiner hundert«
fähigen Lächerlichkeiten, Dokumente seiner
Aufgeblasenheit und Leere,Scheinwerfer in seine
schwatzenden Intimitäten, Bloßsteller seiner
bodenlosenU nwahrhaftigkeiten,es sind schmun«
zelnde,meckernde,totmachende,blitzendeRand«
bemerkungen, Geiseln, die in Liebenswürdig«
keit versteckt sind, Pfeile, die aus Samt heraus«
schnellen, Nadeln, die ihn blitzschnell stechen
und überall durchlöchern.
Die kleinen delikaten Bücher erschienen im Mau«
ritius«Verlag zu Berlin. Alle Anti«Spießbürger:
lest sie! Anton Schnack
JULIUS BAB: »DER MENSCH AUF DER
BÜHNE«. (Verlag Oesterheld & Co., Berlin.)
Das so betitelte, 1910 erschienene und jetzt ver«
griffene Buch gibt Bab nun umgearbeitet heraus.
Die Umarbeitung hatte den Zweck, Zwittriges
der ersten Ausgabe sowohl inhaltlich wie for«
mell zu beseitigen, um der Uridee näher zu
kommen: für den Schauspieler eine Ge«
schichte des Dramas zu schreiben. Bab ist sich
bewußt, daß seine Forderung, die auch die
Forderung Otto Ludwigs war, noch bei wei«
tem nicht erfüllt ist und daß sein Buch nur ein
Regielehrbuch für Schauspieler darstellt. Wenn
man aber seinen Führungen durch die Ideen und
Vorgänge der behandelten Dramen folgt, so
möchte man doch wünschen, daß sein arbeits«
reiches Leben ihm Zeit ließe, »die Geschichte
des Dramas von der Schauspielkunst her« zu
schreiben. Er wäre mit seinem dramaturgischen
Rüstzeug wohl der Geeigneteste dazu unter den
Kritikern von heute. Willi Dünwald
MAX STEINITZER, ZUR ENTWICK«
LUNGSGESCHICHTE DES MELODRAMS
UND MIMODRAMS. Das anregende Büch«
lein erschien als 35. Band der »Musik« mit
einem Geleitwort Arthur Seidls, der diese von
Richard Strauß begründete Sammlung seit 1918
herausgibt. Es verfolgt beide Gattungen von
Rousseaus Pygmalion und Bendas Ariadne bis
in die jüngste Gegenwart, wobei man nur eine
eigentliche ästhetische Fundierung des Begriffs
vermißt. An die gesanglose Dramatik reiht sich
die Epik, die vertreten wird durch das Konzert«
Melodram (Schumanns Manfred, Strauß’ Enoch
Arden, Sigwarts Hektors Bestattung) und durch
Balladen, unter denen Liszts Lenore nach Bür«
ger und Schillings Hexenlied nach Wildenbruch
wichtige Stationen bezeichnen. Nur ein schein«
barer Sprung führt dann zu den Mischformen,
zu Berlioz’ seltsamer Lelio und Schönbergs gro«
teskem Pierrot«lunaire«Zyklus; bei der sonst
spärlich bedachten Lyrik macht der Verfasser
auf die russischen »Melodeklamationen« auf«
merksam. Auch die graphische Darstellung be«
handelt er, unentbehrlich zur Aufzeichnung des
»gebundenen Melodrams« — einer Wortprä«
gung Humperdincks, dessen Melodram »Die
Königskinder« (1898) Steinitzer künstlerisch
höher bewertet als das nachmals zur Oper um«
gewandelte erfolgreichere Werk. Den Schluß
bildet eine Betrachtung der musikalischen Panto«
mime, des Mimodramas, das neuerdings durch
Richard Strauß’Josephslegende wieder ein aktu«
elles Interesse gewonnen hat. Steinitzer erweist
sich als ein eifriger Verfechter des Melodrams, das
jaals»Zwittergattung«vielfach angegriffen,sogar
prinzipiell abgelehnt wird. Dr. James Simon
TANZ UND TANZLITERATUR DER
GEGENWART. Bewegungskunst und Tanz
streben in den letzten Jahrzehnten heraus aus
Niederungen leichten Vergnügens und Varietes,
in heftiger Opposition zu herkömmlichem Ge«
sellschaftstanz und Kunsttanz (Ballet), deren
Wert in immer weiteren Kreisen fragwürdig
erscheint. Sind sie schön an sich? oder immerhin
eine Schule der Anmut oder wenigstens ein
Sport, eine gesunde Bewegung? — ist noch
»Natur« in diesem Flirt zu Musik? sollen
Rumpf und Arme ruhen, während die Beine
sich toll drehen? werden nicht alle Gesetze der
»natürlichen« Bewegung und Harmonie ver«
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